Die zunehmende Komplexität und Dynamik im Marktumfeld zwingt Unternehmen, schneller auf Änderungen zu reagieren und notwendige Anpassungen zeitnah zu implementieren. Für sie ist es daher unabdingbar, Veränderungen frühestmöglich zu erkennen, um Gefahren für das Unternehmen zu verhindern und sich ergebende Chancen zu identifizieren. Verschiedene systematische Früherkennungsansätze bieten dafür eine Hilfestellung.

Viele Unternehmen – insbesondere KMU – sehen sich vor die Herausforderung gestellt, während des laufenden Tagesgeschäfts die notwendigen Ressourcen bereitzustellen, um sich mit strategischen Früherkennungsansätzen auseinanderzusetzen oder diese gar zu ­implementieren. Eine Möglichkeit, wie sich Unternehmen trotzdem relativ einfach dem Thema nähern können, ist der in einer Forschungsarbeit an der Fernfachhochschule Schweiz (FFHS) entwickelte Früherkennungsdiamant (Lauener, 2016).

Früherkennungsdiamant mit drei Phasen
Der Früherkennungsdiamant ist ein Tool, mit dem Unternehmen ein optimal angepasstes Früherkennungsinstrument an die Hand bekommen, das heisst Unternehmen erhalten einen Rohdiamanten, welcher einem individuellen Feinschliff unterzogen werden soll. Das Tool basiert auf dem strategischen Früherkennungsprozess von Horton (1999) und unterteilt sich in drei Phasen mit den Themen­bereichen «Informationsquellen», «Früherkennungsmethoden» und «Transformation» (siehe Abbildung 1).

In der ersten Phase werden die notwen­digen Informationen aus internen und externen Informationsquellen gesammelt. In der zweiten Phase werden Früherkennungsmethoden eingesetzt, um Szenarien, Trends und Prognosen aufzuzeigen. In der dritten Phase werden die Ergebnisse mit den relevanten Treibern in einem managementgerechten Cockpitreporting aufgearbeitet und den Entscheidungsträgern zur Verfügung gestellt. Dieses Vorgehen soll sicherstellen, dass alle möglichen Einflussfaktoren von Unternehmen systematisch erfasst und bewertet werden.

Im Folgenden werden die drei Bereiche des Früherkennungsdiamanten im Detail ­vorgestellt. Da die Bedürfnisse bezüglich Früherkennung für jede Unternehmung ­unterschiedlich sind, lässt sich der Früh­erkennungsdiamant entsprechend firmen­spezifischen Anforderungen anpassen.

strategische Früherkennung
In der ersten Phase werden Informationen aus verschiedenen Quellen gesammelt. Der Früherkennungsdiamant zeigt im ­Bereich 1 mögliche interne und externe Informationsquellen auf, die ein Unternehmen prüfen und abfragen kann.

Zu den Informationen aus internen Quellen gehören solche, die durch Mitarbeitende aufgrund ihrer Aktivitäten gesammelt und an die verantwortliche Früherkennungs­person weitergeleitet werden. Interne Kennzahlen und Wissen über Kunden und Lieferanten sind weitere wichtige Quellen, die ebenfalls in die Analysen integriert werden. Besonders essenziell sind dabei Informationen, die die ­Bedürfnisse der Kunden und gegebenenfalls deren Veränderungen systematisch erfassen.

Externe Informationsquellen stützen sich auf Umfeldinformationen, die beispielsweise mithilfe der PESTEL-Analyse erhoben werden können. Im Rahmen der PESTEL-­Analyse werden sechs Segmente des Unternehmensumfeldes analysiert, die politische, ökonomische, soziale, technologische, ökologische und rechtliche Aspekte umfassen. Weitere Informationen werden durch Gespräche mit externen Fachspezialisten sowie aufgrund von Netzwerkaktivitäten erhoben. Dazu zählen wissenschaftliche Institutionen, Verbände, Partner aus der Wirtschaft und Erkenntnisse aus dem Wettbewerb. Konferenzbesuche, Studien von Forschungs­instituten, Publikationsanalysen und Patentrecherchen können ebenfalls nützliche Informationsquellen darstellen. Diese Informationsquellen sind absichtlich sehr breit gestreut, um möglichst viele Einflüsse aus allen Umweltbereichen abzudecken.

Oft ist es aufgrund beschränkter Ressourcen nicht möglich, alle Informationsquellen bei jeder Analyse zu konsultieren. Dies ist jedoch auch nicht zwingend notwendig, solange das Know-how vorhanden ist, bei Bedarf Informationen über alle entsprechenden Kanäle abzufragen. Essenziell ist es jedoch, dass Informationen regelmässig und systematisch gesammelt werden. Nur so kann eine solide Grundlage für die strategische Früherkennung gebildet werden.

Der zentrale Kern des Diamanten
Die zweite Phase beinhaltet die systematische Auswertung der gesammelten Informationen. Im Bereich 2 des Früherkennungsdiamanten sind die Früherkennungsmethoden dargestellt.

Auf der strategischen Ebene einer Unternehmung bilden die Entwicklung und Analyse von Szenarien die zentrale Methode. Sowohl die Erarbeitung einer Vision als auch die strategische Ausrichtung einer Firma bedürfen des frühzeitigen Erkennens von Zusammenhängen verschie­dener Faktoren. Die wichtigsten Methoden für Szenarienanalysen sind Szenariotechnik, Wechselwirkungs-Szenarien, Szenario Planning und Genius Foresight. Bei der Szenariotechnik beispielsweise wird ein Spektrum möglicher, wünschbarer oder vermeidbarer Zukünfte erstellt.

Für die taktische Ebene einer Unternehmung, in der die Umsetzung der Vision innerhalb eines Geschäftsmodells erfolgt, sind die Trends zentral. Um die strategischen Ziele zu konkretisieren, Roadmaps zu entwerfen und Simulationen  im Wettbewerbsumfeld durchzuführen, müssen ­erkennbare Trends identifiziert und bei den Entscheidungen mitberücksichtigt werden. Methoden, um Trends zu erkennen, sind insbesondere Trend-Analysen und Trend-Management, Wildcards sowie Issue-­Management. Trend-Analysen beispielsweise sind einfach anwendbar, flexibel und gut auf die Unternehmung anzupassen. Des Weiteren weisen diese mit dem Trend-Portfolio eine grafisch ansprechende Möglichkeit auf, die für anschliessende Diskussionen verwendet werden kann. Wildcards werden üblicherweise in Kombination mit der Szenariotechnik eingesetzt. Mit dem Durchspielen können Robustheit und Konsistenz der erstellten Szenarien und der Strategien überprüft werden.

Auf der operativen Ebene einer Unternehmung werden die vorgegebenen Leit­linien in konkrete Planungen umgesetzt. Dabei ist es unabdingbar, kurzfristig ein möglichst klares Bild der Zukunft zu erhalten. Aus ­diesem Grund kommen für diese Ebene vor allem quantitative und auf Extra­polation beruhende Prognosen zum Einsatz. Die bekanntesten Methoden dafür sind die Delphi-Technik, Zeitreihenprognosen, -kurven und -zyklen sowie historische ­Analogien, ökonometrische Modelle und Expertenbefragungen. Die Delphi-Technik ist beispielsweise bei technologischen Durchbrüchen, bei gerade entstehenden Märkten und auch bei der Verbreitung neuer Arbeitskonzepte besonders effektiv. Die Technik ist dann sinnvoll, weil für ­radikale Innovationen, wie zum Beispiel Strukturbrüchen, oft kein Datenmaterial vorliegt, obwohl gerade diese Technologien grosse Chancen bieten, gleichzeitig aber auch noch nicht erkannte Gefahren bergen.

Pro Ebene sollten eine bis zwei Methoden ausgewählt werden, welche für die Früherkennung angewendet werden. Die Auswahl der geeigneten Früherkennungs­methoden soll aufgrund der Kriterien Ressourcenverfügbarkeit und Methodenwissen innerhalb der Unternehmung, Komplexität der Methoden sowie der bestmöglichen Methodenergänzung über die strategische, taktische und operative Ebene hinweg erfolgen. Der Zeithorizont ist ein weiterer Faktor, der für die Auswahl der Methoden betrachtet werden soll. Je nach Fragestellung werden geeignete ­Methoden für kurzfristige oder langfristige Zeithorizonte gewählt.

Mit dem Cockpit die Transformation einleiten
In der dritten Phase werden die identifizierten neuen Zukunftsentwicklungen und weitere Erkenntnisse der zweiten Phase in aussagekräftigen Übersichten in einem Früherkennungscockpit aufbereitet und zusammengefasst. Im Bereich 3 des Führungsdiamanten sind Teile der manage­mentgerechten Entscheidungsdokumente dargestellt.

In einem ersten Schritt wird für jeden eruierten Einflussfaktor aus Phase 2 eine Detail­beschreibung gefertigt – die sogenannte Cockpitmeldung. Abbildung 2 stellt beispielhaft eine solche Cockpitmeldung für eine Unternehmung im Energiesektor dar. In einem zweiten Schritt werden die ein­zelnen Cockpitmeldungen in einem Früh­erkennungscockpit zusammengefasst. Die Einflüsse werden anhand der Kriterien «Einfluss» und «Dringlichkeit» in einen Raster eingetragen. Der Ressourcenaufwand, um die jeweiligen Einflussfaktoren anzu­gehen, ist durch die Grösse der Bubbles ersichtlich. Abbildung 3 zeigt beispielhaft ein Cockpit mit den fünf ­Einflussfaktoren «Prosumer Production», «Smarte Technologien», «Smart und Mega Cities», «Industrie 4.0» und den «Hochbauindikator» für eine Unternehmung im Energiesektor.

Das Früherkennungscockpit und die Cockpitmeldungen gehen an die Geschäftsleitung, die über das weitere Vorgehen entscheidet. Die anschliessende Transformation der eruierten Einflussfaktoren, das heisst die Umsetzung von Massnahmen, die diese Entwicklungen in die Unternehmensaktivitäten integrieren, erfolgt mittels mehrerer jährlichen Cockpitreporte.

Aktive Auseinandersetzung mit dem Umfeld
Die Auseinandersetzung mit Umfeldentwicklungen, neuen Möglichkeiten, Potenzialen, Annahmen, Ideen und Visionen erfordert Kreativität. Daneben spielt eine intensive, oft interdisziplinär geprägte Kommunikation eine zentrale Rolle, um den Informations-, Wissens- und Perspektivenaustausch innerhalb einer Unternehmung zu fördern. Das Auseinandersetzen mit strategischen Themen hat oft auch externe Kooperationen zur Folge. Da Unternehmen nicht alle Fähigkeiten intern besitzen, sind sie darauf angewiesen, das Wissen mit anderen Marktteilnehmern zu teilen. Aber erst eine Kontinuität der Interaktionen und die fortwährende Auseinandersetzung mit Umfeld- und Zukunftsentwicklungen verleihen Früherkennungsansätzen in Unternehmen einen Mehrwert. In diesem Sinne ist strategische Früherkennung eine Einstellung, die verdeutlicht, wie Unternehmen mit Neuerungen, Veränderungen und Wandel umgehen.

Um ein solches Modell erfolgreich einsetzen zu können, müssen entsprechende Kommunikationsmassnahmen aufgesetzt werden, um die Mitarbeitenden für den Teilprozess der Informationsgewinnung zu erreichen. Mit zunehmender Umfelddynamik wird sich diese Komplexität noch ­verstärken und Unternehmen vor neue Aufgaben stellen. Dabei kann der Früh­erkennungsdiamant als zentrales Tool für den Früherkennungsprozess einer Unternehmung genutzt werden. Der «Rohdiamant» wird unter Berücksichtigung der ­unternehmensspezifischen Anforderungen einem «Feinschliff» unterzogen. Durch diesen integrierten Früherkennungsdiamant können Entscheidungsträger ihre Kenntnisse über Einflussfaktoren substanziell erweitern und ihre strategischen Entscheidungen auf eine fundierte Grundlage stellen. Zusätzlich erhalten sie eine Gesamtbetrachtung, die Probleme fassbar und diskutierfähig macht und dadurch hilft, die Herausforderungen der Zukunft erfolgreich zu bewältigen.

Hintergrund und Literatur
Das Konzept des Früherkennungsdiamanten entstand im Rahmen der Master­arbeit von Martina Lauener als Teil ihres Masterstudiums M. Sc. in Business Administration mit Schwerpunkt Innovationsmanagement an der Fernfachhochschule Schweiz (FFHS).
Horton, A. (1999). A simple guide to successful foresight. Foresight, 1, 5–9.
Lauener, M. (2016). Strategische Früherkennung Ausarbeitung und Einführung eines Früherkennungsmodells. Masterarbeit. Regensdorf: Fernfachhochschule Schweiz.

Weitere Informationen:
www.ffhs.ch