Die Blockchain-Technologie, auf die sich ja auch die neuen Kryptowährungen beziehen, wird von einigen als Epochenwechsel angekündigt. Die Kolleginnen und Kollegen von GDI IMPULS haben beispielsweise ein «Blockchain-Manifest» publiziert. Wird gerade das Geld neu erfunden? 
Man muss zunächst zwischen Kryptowährungen, wie Bitcoin, und der Blockchain-Technologie unterscheiden. Kommen wir zunächst zu den Währungen. Die erste virtuelle Währung Bitcoin ist seit rund sieben Jahren auf dem Markt. Sie wird weltweit ­gehandelt und funktioniert ohne zentrale Kontrolle. Das ist für mich ein Erfolg, aber noch nicht ein historischer Epochenwechsel.

Und Blockchain?
Das ist die Technologie, die darunter liegt und im Fall von Bitcoin den Beweis erbracht hat, dass sie funktioniert.

Lassen Sie uns noch weitere Unterschiede zu klassischen Währungen ­herausarbeiten. Es geht hier um dezentrale und nicht wie üblich um zentrale Strukturen. Geht es um eine neue Form der Peer-to-Peer Economy, die wir ja auch von der Entstehungsgeschichte des Internets kennen?
In der Diskussion wird mit vielen Schlagworten um sich geworfen. Das führt eher zu verwirrenden Situationen. Blockchain wird dann als ein Supersystem oder eine fast schon unheimliche Bedrohung wahrgenommen. Man muss hier zunächst nüchtern analysieren. 

Dann machen wir das …
Blockchain ist in seiner ersten Version eine Datenbanktechnologie mit dezen­tralen kryptografischen Eigenschaften. Man braucht hier keine zentralen Betreiber mehr. In seiner zweiten Version wurde die Technologie dann mit Smart Contracts angereichert. Dies sind Programmcodes, die in der Blockchain abgespeichert sind und nach dem Eintreten eines vordefinierten Ereignisses ausgeführt werden. Sie stellen also eine Art digitaler ­Verträge dar.

Das erinnert aber doch auch an die Entstehungsgeschichte des Internets. Es sollte ja auch dezentral funktionieren.
Ja, das ist richtig, aber es gibt einen Unterschied. Beim Internet wurden die Informationen dezentral abgelegt, und es existierten sehr unterschiedliche Wege, um zu den Informationen zu gelangen. Bei Blockchain werden Informationen oder Kopien davon gespiegelt und auf allen teilnehmenden Rechnern abgelegt. Über ein kryptografisches Verfahren wird sichergestellt, dass alle Kopien den gleichen Status haben. In einem Konsensverfahren wird dann bestimmt, ob eine Transaktion / Information gültig ist oder nicht. Trifft Ersteres zu, werden alle Kopien aktualisiert. So entsteht eine einheitliche Datenquelle.

Es gibt aber auch Vergleichsmöglichkeiten zur Internetzeit vor über 20 Jahren. Durch die Blockchain-Technologie zeichnen sich sehr viele Anwendungsideen am Horizont ab. Der konkrete Verwendungszweck ist allerdings oftmals noch schwer zu fassen. Solche Suchprozesse gab es in der Anfangszeit des Internets auch. An diesem Punkt ist ein Vergleich sinnvoll. Bitcoin, als erste grosse Anwendung, ist eine Währung, die neben den Zentralbanken herläuft. Aber das ist prinzipiell nichts Neues. In der Schweiz ist das bekannteste Beispiel die WIR-Währung, welche ebenfalls unab­hängig von der Zentralbank funktioniert. 

Wie können an virtuelle Währungen Sharing-Modelle andocken?
Eine Sharing-Ökonomie können Sie zunächst auf ganz traditionellen Wegen implementieren, wie Uber oder Airbnb zeigen. Aber man kann natürlich noch einen Schritt weitergehen. Das heisst Angebot und Nachfrage treffen sich direkt auf der Blockchain, und bezahlt wird mit Bitcoin. Alles ohne Plattformbetreiber und Mittelsmann. Aber wie gesagt, wir sind noch in der Phase des Suchprozesses.  

Aber auf den Punkt gebracht, braucht es immer weniger zentrale Unternehmensstrukturen, sondern nur noch ­Individuen, die hier für sich und andere auf neuen Märkten Mehrwerte generieren können?
Genau. Die Nutzer haben eine dezentrale Plattform, die keine zentralen Akteure und Betreiber braucht und benötigen kein ­Vertrauen mehr zu den anderen Teilnehmern der Plattform. Dabei unterscheiden wir grundsätzlich zwischen zwei Arten der Blockchain: erstens die Public-Blockchain-­Modelle, wo jeder mitmachen kann und zweitens Private-Blockchain-Modelle, wo es klare Governance-Modelle und Teilnahmebedingungen gibt.

Geld gibt es seit der Antike und wurde in Oberitalien in der Renaissance modernisiert. Kapital gibt es seit Mitte des 19. Jahrhunderts in Grossbritannien. Mitte des letzten Jahrhunderts hat man sich vom Goldstandard befreit. Stellen Bitcoin und seine Mitbewerber, was den Begriff und die Funktion von Geld betrifft einen ähnlichen Bruch dar?
Ich persönlich glaube in diesem Fall nicht an solche historischen Brüche, wie Sie sie angedeutet haben. Virtuelle Währungen werden an Bedeutung gewinnen, die klassische Währungen aber nicht ablösen. Wir dürfen hier keine Schwarz-Weiss-Bilder zeichnen. Ich traue virtuellen Währungen aber einen signifikanten Anteil am Wirtschaftsleben der nächsten Jahre zu. 

Springen wir in die Praxis. In welchen Bereichen werden Kryptowährungen an Bedeutung gewinnen?
Auch in der Praxis gilt es, zwischen der Technologie Blockchain und den Krypto­währungen wie Bitcoin zu unterscheiden. Bei Letzteren sehe ich beispielsweise ­Potenziale in der Gaming-Industrie. Diese Branche befindet sich selbst im Wachstum und kennt den Umgang mit virtuellen Währungen. Wenn Sie jedoch heute in der Schweiz eine Umfrage auf der Strasse ­machen, ob wir eine neue Währung brauchen, werden über 90 Prozent verständnislos den Kopf schütteln. Denn in der Schweiz haben wir ein ausgebautes Finanzwesen, gute Zahlungsinfrastruktur und eine  ­stabile Währung. Wir haben da keinen ­unmittelbaren Bedarf. In gewissen ­Nischenbranchen kann das aber schon ganz ­anders aussehen.

Sehen Sie dann in Gesellschaften mit schlechten Infrastrukturen und instabilen Währungen die Möglichkeiten eines Durchbruchs von Kryptowährungen? 
Ja, denn bereits heute werden in solchen Gesellschaften ­Alternativen wie Gold, Diamanten oder Dollar gesucht und verwendet. Hier kann Bitcoin eine weitere Alternative darstellen.

Es ist auch in der Schweiz eine Goldgräberstimmung angebrochen. Vielerorts wird geschürft. Wenn ich mir ­Auftritte wie Giracoin oder One Coin anschaue, sehe ich eine konkrete Goldgräberstimmung. Es wird der Eindruck erweckt, man könne mit wenig Einsatz viel Geld machen. Das ist der alte Traum der Alchemisten, aus Por­zellan Gold zu machen. 
Ich komme wieder auf den Punkt zurück, dass es sich bei Blockchain um eine Technologie handelt. Wie diese an­­gewandt wird, hängt von den einzelnen Ge­schäftsfeldern ab. Sie können es immer wieder, gerade bei neuen komplexen Technologien, erleben, dass übertriebene Erwartungen geschürt werden. Wir wissen nicht, wo die Reise genau hingeht, und gleich­zeitig sind die Gewinnerwartungen hoch. Dies führt zu hohen Verlustquoten, da niemand weiss, was sich schlussendlich durchsetzen wird, sprich, wer die Killer­applikation hat. Wir haben es hier mit Risikokapital zu tun.

Bitcoin als Währung hat eine gewisse ­Anonymität und ist hier mit Bargeld vergleichbar. Anonyme und dezentrale Strukturen laden natürlich auch Akteure ein, die, aus welchen Gründen auch immer, nicht transparent sein wollen. 

Was machen hier eigentlich die staatlichen Verantwortungsträger?
In der Schweiz sind die Finanzinstitute reguliert. Wenn Firmen im Bereich Bitcoin aktiv sind, unterliegen sie bestimmten Pflichten. Es gibt hier Rahmenbedingungen. 

Wie begleitet Ihr Fachbereich diese Entwicklungen?
Wir am Institut für Finanzdienstleistungen Zug IFZ der Hochschule Luzern erstellen jedes Jahr eine FinTech-Studie, in welcher wir eine Bestandsaufnahme des Schweizer FinTech-Sektors vornehmen (siehe ­Infokasten). Daneben führen wir verschiedene Forschungsprojekte und -aufträge durch. Das Wissen kommunizieren wir in verschiedenen Lehrgängen, Konferenzen und Veranstaltungen. Dabei sind natürlich auch Bitcoin und Blockchain ein Thema. Wir sind schliesslich im Crypto Valley Zug ansässig.

Wieso Crypto Valley Zug?
Im Raum Zug gibt es einen Cluster von vielen Bitcoin- und Blockchain-Unternehmen, somit die Analogie zum Silicon Valley.

Das merkt man auch im öffentlichen Leben. So akzeptiert die Stadt Zug inzwischen ­Bitcoin für Administrationszahlungen. 

Die Potenziale von Blockchain
Eine Blockchain kann im Kern als sicher verschlüsseltes Hauptbuch für ­Trans­aktionen verstanden werden, welches dezentral auf den Rechnern aller Teilnehmenden gespeichert wird. Getätigte Transaktionen werden in Blöcken zusammengefasst, welche wiederum in chronologischer Reihenfolge zu einer Kette verknüpft werden. Die Blöcke sind für alle Teilnehmenden einsehbar und können nicht manipuliert werden. Damit bilden sie eine objektive Grundlage für weitere Handlungen. Eine zentralisierte Gegenpartei ist für die Vertrauens­bildung im System nicht mehr nötig. Der bekannteste Anwendungsfall der Blockchain-­Technologie ist die Kryptowährung Bitcoin. Das Potenzial geht aber über das Überweisen von virtuellen Währungen hinaus. Die Blockchain-Technologie kann eine Vielzahl von wertvollen Informationen wie digitale Verträge und Eigentumsrechte verteilt sicher speichern und Programme dezentral auf vertrauenswürdige Art ausführen. Damit können Parteien, die sich weder kennen noch vertrauen müssen, auf effiziente Art zusammenarbeiten.

Das Prinzip von Blockchain
Blockchain kann zusammengefasst als eine Kette von Datenblöcken beschrieben werden, die Transaktionen speichern. Wenn jemand aus der Schweiz zwei Bitcoin an jemand anderes in Ghana überweist, wird dies in einem Datenblock der Bitcoin-Blockchain angehängt. Damit entsteht bei mehreren Transaktionen eine Kette von Datenblöcken, eben die Blockchain. Diese Blockchain ist aber nicht wie eine klassische Datenbank auf einem zentralen Rechner gespeichert. Sie liegt in Kopien auf jedem Rechner, der Teil eines Blockchain-Netzes ist. Da keine Blöcke gelöscht, sondern nur dazu gefügt werden können, gilt eine Blockchain durch ihre Verteilung auf viele Computer als sehr sicher. 

IFZ-FinTech-Konferenz
FinTech gilt als innovative Lösung für die Probleme der Finanzindustrie und verzeichnet hohe Wachstumsraten. Neben der Präsentation der Ergebnisse der IFZ-FinTech-Studie geben hochkarätige Referentinnen und Referenten Auskunft über Entwicklungen im FinTech-Bereich. 

An der Konferenz referieren Experten/-innen zu den folgenden Punkten:

  • Disruptives Potenzial von Blockchain und künstlicher Intelligenz.
  • Veränderte Kundenbedürfnisse erfordern neue IT-Infrastrukturen der Banken.
  • Erfolgreiche Startups und kooperative Geschäftsmodelle mit etablierten Finanzdienstleistern.
  • Welche Rahmenbedingungen benötigt die Schweizer FinTech-Industrie?

Veranstaltungsort: Hochschule Luzern – Wirtschaft,
Institut für Finanzdienstleistungen Zug IFZ. 

Zeit: Mi 15. März 2017, 13:15 – 18:00 Uhr .

Lunch Cruise am Europa Forum Luzern, 14. Nov. 2016
Lernen Sie von top Experten aus Wirtschaft und Wissenschaft an Bord des Katamaran MS Cirrus auf dem Vierwaldstättersee, worum es bei «Blockchain & Bitcoin» geht und welche Auswirkungen diese Entwicklungen auf Ihr Unternehmen haben könnten.

Dr. Thomas Ankenbrand, Dozent Hochschule Luzern und Dr. Johannes Schweifer, Partner und Co-Founder Bitcoin Suisse AG

www.europaforum.ch/Lunch_Cruise

Weitere Informationen:
www.hslu.ch