Mitten in der zauberhaften Landschaft im Tessin arbeitet eine besondere Bildungseinrichtung. TASIS hat einen amerikanischen Hintergrund und ist im Tessin seit den Fünfzigerjahren des 20. Jahrhunderts präsent. Die pädagogische Institution bietet Rahmenbedingen, die ihren Schüler*innen die Tore in eine globalisierte Welt öffnen.

von Georg Lutz

Das Tessin gilt als die «Sonnenstube der Schweiz». Dort ist das Klima milder, es gibt wunderschöne Seen wie den Lago Maggiore und den Luganersee, darum herum beeindruckende Berge, architektonischer und kultureller Reichtum, kulinarische Highlights und malerische Dörfer. Dieses Traumziel ist die perfekte Destination für Kurzurlaube.

Das Tessin war und ist aber auch Anziehungspunkt für Menschen, die Inspirationen suchen, sich im weitesten Sinne bilden möchten, die Moderne gestalten und phasenweise auch aus ihr aussteigen wollen. Der Monte Verità, oberhalb von Ascona, ist da sicher das bekannteste Beispiel.

Eingebettet in die motivierende Landschaft und den kulturellen Raum des Tessins liegt die Bildungseinrichtung TASIS.

Ort für Bildung

Gleich danach auf der Hitliste von Orten im Tessin mit magischer Anziehungskraft für Künstler*innen, Schriftsteller*innen und Intellektuelle steht Montagnola, welches wenige Kilometer südwestlich von Lugano malerisch zwischen Bergen und dem Luganersee eingebettet liegt. Sein bekanntester Bewohner war Hermann Hesse. Mitten in Montagnola beginnt der Sentiero Hermann Hesse (Hermann-Hesse-Wanderweg), der heute von Bildungsurlaubern genutzt wird. In Montagnola lebten phasenweise einige grosse Geister der Frankfurter Schule, eines intellektuellen Herzstücks der Weimarer Republik und später dann der USA. Der Philosoph Max Horkheimer und der Soziologe Friedrich Pollock nutzten Montagnola als Inspirationsquelle. Dazu kamen der Zeichner Gunter Böhmer und seine Frau Ursula sowie der Maler Hans Purrmann. Im 20. Jahrhundert war Montagnola ein Aushängeschild für Bildungshungrige. Hermann Hesse lieferte dazu ein prägendes Zitat: «Lesen ohne Liebe, Wissen ohne Ehrfurcht, Bildung ohne Herz ist eine der schlimmsten Sünden gegen den Geist.»

Wer auf der Suche nach einem idealen Bildungsort, konkret einer Schule ist, kommt in Europa an Montagnola kaum vorbei. Von einem Berg oberhalb Luganos blickt man auf der einen Seite nach Italien mit seinen klassischen Bildungsthemen und hat auf der anderen Seite die Alpen als Rückhalt und Sehnsuchtsort im Rücken.

Aufbruch nach der Katastrophe

Schule ist viel mehr als das Vermitteln von Wissen.

Das beeindruckte vermutlich auch die Verantwortlichen von TASIS (The American School In Switzerland), als sie 1956 ihre Schule in Montagnola gründeten. Der Ort war ideal, aber die historischen Umstände gelinde gesagt herausfordernd. Der Sieg über den Nationalsozialismus und Faschismus war erst gut zehn Jahre her. Ganze Generationen von Jugendlichen in Europa waren durch die Schulen des Faschismus geprägt worden. In diesem historischen Rahmen eine internationale Schule mit angelsächsischem Bildungshintergrund in Europa zu eröffnen, erforderte Mut. Der war zu dieser Zeit in den USA vorhanden. Der «American Way of Life» setzte zu seinem globalen Siegeszug an. Die Autos wurden immer schneller und die Kühlschränke immer grösser. In Westeuropa waren die USA ein Vorbild. 1956 begann mit einem gewissen Elvis Presley die Musikrevolution des Rock ’n’ Roll. Die Jugend war begeistert. Die grosse Herausforderung war aber, die schulische Ausbildung der Jugend quer durch alle sozialen Schichten zu stemmen.

Der Schlüssel hiess Bildung

Auch der Nachwuchs der europäischen Eliten sollte in das offene US-amerikanische Bildungssystem eingeführt werden und das alte muffige europäische Bildungsideal hinter sich lassen, ohne diese spannenden Aspekte der europäischen Geschichte zu vergessen. Mary Crist Fleming, die Gründerin von TASIS, wollte das Chaos der Nachkriegszeit beenden. Der Schlüssel dazu hiess Bildung. 1956 träumte sie von einem Ort, an dem sich junge Menschen aus der ganzen Welt versammeln, eine Wertschätzung für die Kultur der anderen entwickeln und zusammenarbeiten, um die Welt zu einem sichereren und besseren Ort zu machen. Aus dieser Vision entstand TASIS, die Schule, die Fleming als «einen Mikrokosmos dessen, was die Welt sein sollte und könnte», beschrieb.

Dafür nahmen Fleming und ihre Mitstreiter*innen die positiven Elemente des angelsächsischen Bildungssystems und bündelten es in Montagnola. Der Kern und Unterschied beziehen sich auf das Verhältnis von Schüler*innen, Lehrer*innen und Eltern. Studierende und Lehrende arbeiten im angelsächsischen Konzept zusammen, um den gemeinsamen Erfolg den Eltern zu beweisen. In europäischen Schulen verbünden sich nicht selten die Eltern mit ihren Kindern gegen die Lehrenden. Da sinkt die Motivation bei allen Beteiligten – und in Montagnola steigt sie.

Der pädagogische Augenblick, in dem der Bildungsfunke zündet, prägt das Leben.

Bildungssysteme im Wettstreit

Ja, es gibt auch die bekannten Nachteile des angelsächsischen Bildungssystems, welches beispielsweise zu wenig in die Breite ausgerichtet ist. Die Konzentration in den USA auf wenige Elite-Bildungsinstitutionen im Raum Boston oder im Silicon Valley ist ein Beispiel. Allerdings ist die soziale Undurchlässigkeit in klassischen europäischen Eliteschulen, beispielsweise in Frankreich, noch drastischer. Der Anteil von Migranten mit Hochschulabschluss ist in den USA viel höher. Knapp die Hälfte der Hochschulabsolventen stammt aus einer Nichtakademikerfamilie. Spezielle private Fördertöpfe ermöglichen dies. In Europa steht man da hinsichtlich der Zahlen schlechter da. Glaubt man den Statistiken, ist das US-Schulsystem trotz seines medial schlechten Rufes besser und effizienter. Davon profitiert auch TASIS.

Das Angebot

TASIS bietet Kindern bereits im Vorschulalter (ab drei Jahren) ein Ausbildungsprogramm an. Bis zur zwölften Klasse reichen die Angebote und zudem verfügt TASIS auch über ein Nach-Abschlussprogramm. Mehr als 700 Schüler besuchen aktuell die Grund-, Mittel- und Hochschulen von TASIS, während etwa 270 Schüler zwischen elf und 19 Jahren auf dem Schulgelände wohnen.

Die Schüler*innen stammen aus mehr als 60 unterschiedlichen Ländern und sprechen mehr als 30 verschiedene Sprachen. Die kulturellen Unterschiede werden gelebt, gefördert und motivieren die Studierenden, sich anderen Kulturen gegenüber zu öffnen. Die Studierenden verlassen TASIS mit einem weltweiten Netzwerk, welches ihnen bei der Karriereplanung hilft. Die Highschool-Schüler*innen können zwischen einem individuellen Advanced-Placement-Kurs oder dem «International Baccalaureate» (IB-Diplom) wählen.

Die Schule bietet ein aussergewöhnliches Fine-Arts-Programm, zu dem unter anderem Kurse in Schauspiel, Musik oder bildender Kunst gehören. Die Studierenden können so herausfinden, wo ihre Talente liegen. Die Grundschule vermittelt das Basiswissen mit dem Singapur-Mathematik-Programm, Englisch als zusätzlicher Sprache und einer italienischen Sparte – alle Studierenden werden ideal auf ihre akademische Karriere vorbereitet.

Zertifiziert vom European Council of International Schools (ECIS) und der New England Association of Schools and Colleges (NEASC) fördert TASIS mit engagierten Lehrer*innen die Entwicklung des Intellekts der Schüler*innen auf die bestmögliche Weise. Mehr als 75 Prozent der Fakultätsmitarbeitenden verfügen über weiterführende Abschlüsse. Der Campus besteht aus mehr als 25 Gebäuden, die aus dem 17. Jahrhundert stammen – bis hin zum hochmodernen Campo Science Center, welches 2014 eröffnet wurde.

Das entwickelte Global-Service-Programm der Schule ermöglicht den Studierenden, bis weit über die Grenzen hinaus in Kontakt zu sein – egal ob geografisch, ökonomisch oder sozial. Das Programm ermutigt die Studierenden, menschliche Bedürfnisse zu erkennen, inspiriert sie zur Beständigkeit und sorgt für Verantwortungsgefühl. TASIS ist eine Familie von internationalen Schulen mit zusätzlichen Standorten in England, Puerto Rico und Portugal.

Last, but not least ermutigt TASIS auch zu physischer Fitness und zu einem gesunden Lebensstil. Universitätssportteams treten gegen europäische und Schweizer Teams an. Zusätzlich werden weitere Sportmöglichkeiten angeboten, die nahezu jede Vorliebe abdecken. In den wundervollen Alpen können die Schüler*innen zudem Wintersportarten wie Skifahren nachgehen.

Die Philosophie

Grundsätzlich engagiert sich TASIS für die Weitergabe des Erbes der westlichen Zivilisation und der Weltkulturen: die Kreationen, Errungenschaften, Traditionen und Ideale aus der Vergangenheit, die in der Gegenwart Sinn und Hoffnung für die Zukunft bieten. Das hört sich theoretisch an, wird aber aktuell in Gesellschaften und ihren Regierungen wie Ungarn, Brasilien, Russland, China und Indien praktisch infrage gestellt.

TASIS glaubt demgegenüber an den Wert jedes Einzelnen und die Bedeutung dauerhafter Beziehungen und versucht, die Werte der persönlichen Verantwortung, der Höflichkeit, des Mitgefühls, der Gerechtigkeit und der Wahrheit zu verkörpern und zu vermitteln.

Durch ihre TASIS-Ausbildung haben mehr als 25’000 junge Menschen aus Dutzenden von Nationen Respekt für andere Menschen, Ethnien und Kulturen gelernt – für vergangene und aktuelle Bemühungen in den Künsten und Wissenschaften und für sich selbst als moralische und verantwortungsbewusste Individuen. Die Gründerin Mary Crist Fleming betonte: «Die Zeiten ändern sich, die Werte nicht.» Die Werte, die TASIS immer gelehrt hat und für die es steht, basieren auf den intellektuellen Tugenden von Kultur (humanitas), Weisheit (sapientia), Wissen (scientia) und Wahrheit (veritas).

Vieles von dem, was TASIS auszeichnet, resultiert aus dem unternehmerischen Stil von Frau Fleming, deren Fähigkeit, Chancen zu sehen und zu ergreifen und mit Leichtigkeit auf Bedürfnisse zu reagieren, legendär ist. Dank ihr geniesst TASIS eine Kultur, die Initiative und Kreativität fördert und belohnt. Neben Eigeninitiative und Kreativität erfordert diese Kultur Flexibilität, Geduld, eine positive Einstellung und Ausdauer.

Neue Herausforderungen

Heute steht die Welt wieder an historischen Weggabelungen. Die Form der Globalisierung, die seit Anfang der Neunzigerjahre hegemonial war, steht auf dem Prüfstand und wird durch politische und ökonomische Modelle, wie sie etwa in China gelebt werden, unter Druck gesetzt. Gleichzeitig sind die USA nicht mehr die Zugmaschine der Weltwirtschaft und kulturelles Vorbild wie in den Fünfzigerjahren des 20. Jahrhunderts. Dadurch muss sich auch der geschilderte Wertekanon von TASIS neu beweisen.

www.tasis.ch

Fotos: TASIS