Ulrike Stahl ist Rednerin, Autorin und leidenschaftliche WIRologin.

Bevor wir in eine Zusammenarbeit gehen, machen wir uns oft Gedanken, wie viel wir wohl investieren müssen. In 99 Prozent der Fälle wird dabei an Arbeit und Geld gedacht. Für die wichtigste Investition sind wir leider oft blind. Das kann uns teuer zu stehen kommen:

Florian ist Steuerberater und hat eine eigene Kanzlei. Er kauft eine weitere, die aus Altersgründen aufgegeben wird und übernimmt das Team samt Kanzleileiter Rudolf. Der neue Standort läuft weiter wie bisher. Rudolf und Florian tauschen sich regelmässig zu kritischen sach- und fallbezogenen Entscheidungen aus. Beide haben den Eindruck, es läuft gut. Nach einiger Zeit beginnt Florian mit organisatorischen Veränderungen, um die beiden Kanzleien besser abzustimmen. Rudolf ist gar nicht begeistert, er hat den Eindruck, seine Stellung würde untergraben und die Änderungen würden «seine» Mitarbeiter nur verwirren. Es dauert rund acht Monate bis Florian bemerkt, dass Rudolf nicht mit, sondern gegen ihn arbeitet. Er ist enttäuscht und verärgert. Schliesslich trägt er das unternehmerische Risiko und bringt Rudolf so viel Vertrauen entgegen. Die Gesprächsatmosphäre wird immer gespannter. Es folgen schriftliche Anweisungen, Abmahnungen für Verstösse und schliesslich ein langwieriger Kündigungsstreit vor dem Arbeitsgericht. Letztendlich gehen alle Beteiligten als Verlierer aus dieser Situation.

Was hat das mit konkurrenzlos erfolgreicher Zusammenarbeit zu tun? Wenn wir uns entscheiden, mit jemandem zusammenzuarbeiten, dürfen wir nicht vergessen Vertrauensarbeit zu leisten. Einfach davon auszugehen, dass es schon passt, wäre blindes Vertrauen. Sobald es dann zu Konflikten kommt, gehen wir ins Misstrauen. Das bringt die Kooperation auf schnellstem Wege an den Abgrund.

Florian hat sich davon täuschen lassen, dass «die Arbeit lief». Er vertraut einfach blind darauf, dass er und Rudolf am gleichen Strang ziehen. Florian versäumt, sich mit Rudolf über Ziele und Interessen auszutauschen und ihn als Menschen mit eigenen Bedürfnissen zu erfassen. Auf der anderen Seite vermeidet es der Kanzleileiter, Meinungsverschiedenheiten offenzulegen und seine eigenen Vorstellungen und Erwartungen zu kommunizieren. Dabei hätte gerade die frühzeitige Bewältigung kleiner Konflikte die Vertrauensbasis und seine Rolle gestärkt.

Echtes Vertrauen beruht im Wesentlichen darauf, wie gut wir den Anderen einschätzen können. Deshalb zahlt es sich aus, Zeit ins Kennenlernen zu investieren. Je besser wir die Motivation, die Interessen und Einstellung des Anderen verstehen, desto eher können wir abschätzen, wie er oder sie sich verhalten wird.

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