© Christina Weirich

Angst vor dem Scheitern ist normal, und wir kennen sie alle. Es fragt sich nur, wie wir mit der Angst umgehen. Einige von uns vermeiden Situationen, in denen sie scheitern könnten, ganz. Welche vermeintlichen Gründe halten Sie davon ab, Risiken einzugehen und damit Chancen für sich selbst zu generieren?

Ich kenne das auch. Vor vielen Jahren, als ich in der Industrie arbeitete, war ich unglücklich. Das Team arbeitete gegen mich. Mein Chef unterstützte mich nicht und hielt mir nicht den Rücken frei. Die Werte und die Kultur im Unternehmen entsprachen mir nicht. Und wenn ich ganz ehrlich bin, fühlte ich mich die ganze Zeit wie ein Impostor. Kündigte ich? Nein. Zuerst traute ich mir nur den Schritt aus der Führung in eine neue
Position zu. Aber da fühlte ich mich noch unfähiger. Ich verharrte, hielt es aus, wurde immer unsicherer. Hätte ich ohne die kommenden Ereignisse einen neuen Weg eingeschlagen? Mit Sicherheit nicht. Ich bekam aber vom Universum ein Geschenk: Mir wurde eine Fotosafari angeboten, die alle meine Träume übertraf. Ich hatte immer als Amateurfotografin gearbeitet, Sozialunternehmen unterstützt und mich politisch engagiert.
Mein Manager lehnte meinen Urlaub ab. Und ich erzähle die Geschichte immer so: Ich bekam die Urlaubsabsage an einem Freitag. Am Montag kündigte ich.

Ich hatte zu dem Zeitpunkt sieben Jahre in Grossbritannien gelebt. Ich hatte keinen Plan B. Ich wusste nur, dass das meine Austrittskarte war. War es einfach? Nein! Habe ich finanzielle Einbussen gehabt? Ja. Habe ich immer wieder den Schritt infrage gestellt? Auf jeden Fall. Bereue ich den Schritt heute? Nein. Und ich finde mich im Kreis von bemerkenswerten Frauen, die Risiken eingegangen sind und sich ihrer Angst gestellt haben. J. K. Rowling liess sich von unzähligen Absagen, Misserfolgen, Armut und beruflichen Rückschlägen nicht abhalten. Sie hat ihren Traum, zu schreiben, verwirklicht. Sara Blakely nahm all ihre Ersparnisse, um ihr eigenes Unternehmen zu gründen. Sie
bewies den Skeptikern das Gegenteil und führt heute eines der erfolgreichsten Modeunternehmen. Angela Merkel ging Risiken ein, bevor sie die erste Frau wurde, die das Amt der Bundeskanzlerin in Deutschland innehatte. Ihr sagt man Entschlossenheit und Integrität nach. Sie wurde zu einer der mächtigsten und einflussreichsten Politikerinnen der Welt. Die Möglichkeit zu scheitern nahmen diese Frauen und ich in Kauf. Ich lebte nach dem Motto: «Wenn nicht jetzt, wann dann?»

Springen wir acht Jahre weiter. 2008 bekam ich die Diagnose Gehirntumor. In den kommenden 16Jahren unterzog ich mich sechs Gehirn-OPs und drei Bestrahlungstherapien. Ich stellte mich dem Gedanken, dass das Leben endlich ist, und erfüllte mir 2015 einen Lebenstraum. Ich unternahm mit meiner ganzen Familie (Ehemann und zwei Töchter, zehn- und achtjährig) eine einjährige Weltreise. Ich hatte schon immer davon geträumt. Aber dann kam immer etwas dazwischen. Nach dem Doktorat der erste Job. Dann die Geburt meiner ersten Tochter. Dann der Kauf unseres Traumhauses. Dann die Geburt meiner zweiten Tochter. Und dann der Gehirntumor. Der Gedanke, nicht zu wissen, wie lange ich noch leben würde, half mir bei der Entscheidung, mein Unternehmen und die Haustür zu schliessen. Den Rucksack aufzuschnallen und loszugehen. Denn: «Wenn nicht jetzt, wann dann?»

Wenn Sie auf ihr Leben schauen, wo erkennen Sie dieses Muster «Wenn, dann…»? «Wenn ich die nächste Beförderung habe, dann…», «wenn ich die nächste Fortbildung habe, dann…», «wenn ich das nächste Diplom an der Wand habe, dann…», «wenn der Mond in einer bestimmten Konstellation ist, dann…». Was ist, wenn das «Wenn» nie kommt? Geben Sie dann ihre Träume auf, weil Sie Angst haben zu scheitern? Wenn Sie es nicht als Scheitern definieren, sondern als eine Lebensschule, als etwas, woraus Sie als Mensch etwas lernen, woraus Sie stärker hervorgehen werden, dann stimmt der Satz: «What doesn’t kill you makes you stronger.» Hier ist meine Einladung an Sie: Was könnten Sie heute unternehmen, um einem ihrer Träume einen Schritt näher zu kommen? Denn: «Wenn nicht jetzt, wann dann?»

Dr.Anja H.Förster ist Coach für Führungsqualitäten und Resilienz und ist eine bemerkenswerte Überlebenskünstlerin.

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