Flexible Arbeitsmodelle bleiben auch nach Corona erhalten.

Corona: Die Pandemie hat die Digitalisierung beschleunigt, offenbarte aber auch bislang verdeckte Schwächen in Lieferketten, IT- und Kompetenzmanagement, Führung oder Unternehmenskultur. In einigen Berufssparten und Branchen werden flexiblere Arbeitsplatz- und  Zeitmodelle mit Home Office und mobilem Arbeiten erhalten bleiben. Weil Corona nicht die letzte Krise ist, welche die Wirtschaft zu meistern hat, kommt es jetzt darauf an, den Re-Start als Chance zu nutzen, sagt Michael Schwarz, CEO step 5 AG in Zürich. Die entscheidende Konstante im «New Normal» sei die permanente Veränderung, die aus seiner Sicht nur mit Wandlungsfähigkeit zu bewältigen ist.

Eine Rückkehr zur alten Normalität florierender Märkte oder zu bisherigen
Performance-Kurven scheint mit Corona kaum möglich. CEOs stehen vor
der Aufgabe, wie sie ihre Organisationen in einen reibungslosen operativen Betrieb mit der Pandemie führen.

Der Re-Start bietet jetzt die Chance, Strategien und operative Strukturen, Unternehmenskultur sowie vor allem Führungskräfte und Mitarbeiter flexibler zu organisieren als bisher, um besser auf bevorstehenden Herausforderungen in einer volatilen, komplexen Welt vorbereitet zu sein. Natürlich ist jede Organisation anders und auch der Weg zu einer agilen Zusammenarbeit im Unternehmen individuell höchst verschieden. Bestimmte Symptome deuten aber darauf hin, ob es sich um eine starke und robuste oder schwache und daher krisenanfällige Organisation handelt.

Organisierte Verantwortungslosigkeit
In schwachen, krisenanfälligen Organisationen tun sich sowohl die Mitarbeiter als
auch Führungskräfte oft schwer bei einer bereichsübergreifenden  Zusammenarbeit, weil die Ausrichtung auf den Kundennutzen fehlt. Stattdessen führt die Orientierung an der eigenen Bedeutung als Person, Team oder Abteilung oft zu ellenlangen Meetings ohne Entscheidungen, E-Mails mit Dutzenden Empfängern, die in eine organisierte Verantwortungslosigkeit führen, Kompetenzgerangel und erhöhte Reibung durch unklare Verantwortlichkeit. Die Folge: Soll doch bitte der Geschäftsführer entscheiden, der am wenigsten Expertise dafür hat. Also werden Assistenten und Koordinatoren mit der Lösung beauftragt, die das Problem erst noch verschärfen, bis dann das Top-Management «durchregiert» und im schlimmsten Fall noch mehr Schaden anrichtet. Durch diese Fehlsteuerung verlagert sich viel Aufmerksamkeit auf nebensächliche
Dinge wie Hierarchien, Eitelkeiten von Mitarbeitern und damit weg von der
Kundenperspektive. Im schlimmsten Falle entstehen chronische Krisenherde, die selten im Kundensinne zu einer Lösung führen.

Klar geregelte Zusammenarbeit
In starken, robusten Organisationen richten sich alle Mitarbeiter am Kundennutzen aus. In einer solchen Organisation weiss jeder, welchen Beitrag zum Kundennutzen er zu leisten hat. Dafür sind klar definierte Ende-zu-Ende-Prozesse und transparente Verantwortlichkeiten vorhanden und werden auch gelebt – abteilungs-, funktionsund hierarchieübergreifend. Die Zusammenarbeit
operativer Aufgaben sowie unterstützender Funktionen ist klar geregelt. Je nach Aufgabenstellung werden funktionale Teams schnell eingerichtet und nach erfolgreicher Lösung wieder aufgehoben. Entscheidungen werden dort
getroffen, wo das grösste Know-how versammelt ist. Alle Mitarbeiter und Führungskräfte kennen ihre Rollen und nehmen diese unabhängig von Status und
Position wahr. Führung wird als Dienstleistung für ein System verstanden, daher sind Führungsaufgaben an Rollen geknüpft und nicht an Hierarchien. Der Informationsfluss ist transparent organisiert, sodass alle Fakten an den Entscheidungsstellen zur Verfügung stehen.

Organisationsdesign
Die Hoffnung, durch ein paar Arbeitsgruppen und organisatorische Anpassungen
bei den Arbeitsrichtlinien eine robuste, agile Organisation einzurichten, ist naiv. Agile Arbeitsmethoden lassen sich zwar verordnen, funktionieren aber nicht per Arbeitsanweisung. Vielmehr funktionieren sie erst als das Ergebnis eines
ganzheitlichen Prozesses, an dessen Ende ein anderes Organisationsdesign
auch zu individuellen Verhaltensänderungen führt. Dieser Prozess muss auf den
Ebenen Strategie und Struktur, Kultur und Mindset von Management und Mitarbeitern ansetzen. Ausgangspunkt sollten folgende Fragen sein:
> Welche Organisationsformen helfen uns dabei, unsere strategischen Ziele zu erreichen?
> Wie richten wir unsere Organisation so aus, dass wir schnell mit neuen Kundenerwartungen umgehen können?
> Wie gestalten wir unsere Prozesse, damit wir möglichst effizient produzieren
können?
> Wie wünschen wir uns dabei Zusammenarbeit?
> Wer soll Entscheidungen in Zukunft treffen, damit die vorhandenen Kompetenzen bestmöglich zur Entfaltung kommen?
> Welche Rollen übernehmen Führung für unser System und wer übernimmt dafür auch Verantwortung?

Die Beantwortung dieser Fragen führt zu einem Organisationsdesign, das alle
operativen Systeme radikal am Kunden ausrichtet. Damit diese effizient arbeiten
können, bestehen klare Regeln für die Zusammenarbeit mit koordinierenden und
unterstützenden Systemen.

Dem Management obliegt nicht mehr, Aufgaben zu verteilen, sondern Ressourcen
bereitzustellen und Kompetenzen zu bündeln sowie Verantwortung dahin zu verlagern, wo die grösste Expertise liegt. Ein Modell, mit dem diese Strukturen geschaffen werden können, ist allerdings viel älter als die heutigen agilen Methoden.

Bereits 1959 erschien das Buch «Cybernetics and Management» des britischen
Betriebswirts Stafford Beer, in dem er die Grundzüge seines Viable System Model
(VSM) entwickelte. Inspiriert von der Biokybernetik, die die Steuerungsvorgänge
in Organismen und Ökosystemen beschreibt, leitete er Kernelemente für seine Managementlehre ab. Mit VSM betrachtete er Organisationen aus rein funktionaler
Perspektive. Geleitet war er von der Frage, welche Funktionen in einem System vorhanden sein müssen und wie diese miteinander zusammenspielen, damit ein System gesund und effektiv seinen Zweck erfüllen kann.

Fehlerkultur Etablieren
Eine funktionierende Organisation setzt allerdings voraus, dass auch die Unternehmenskultur darauf ausgerichtet ist und sich die Mindsets aller weiterentwickeln. Das Management muss zudem an die Strukturen und Prozesse angepasst und eine Feedbackkultur etabliert werden, in der sowohl horizontale als auch vertikale Feedbackprozesse in beide Richtungen gelebt werden.

Denn Mitarbeiter und Führungskräfte, die ständig auf neue Kunden- und Marktanforderungen reagieren und diese idealerweise antizipieren, arbeiten in wechselnden Arbeitszusammenhängen. Sie entwickeln neue Produkte und Dienstleistungen in agilen Projektgruppen und übernehmen je nach Anforderungen auch jeweils unterschiedliche Rollen. Verantwortlichkeiten werden in solchen Gruppen ausgehandelt und vergeben. Da sich in solch agilen Strukturen die Rolle von Führungskräften stark wandeln und Mitarbeitende
meist weit mehr als nur einen «Chef» haben, ist es notwendig, dass Menschen
Feedback aus allen Richtungen bekommen und geben. Eine Feedbackkultur, in
der Rückmeldung zeitnah, ehrlich und konkret erfolgt, fördert Leistung und Motivation. Auch das Leistungsmanagement muss dafür agiler werden. An die Stelle von rückwärtsgewandten Mitarbeitergesprächen treten Performance Previews, bei denen Fach- und Führungskräfte auf Grundlage gemachter Erfahrungen beschreiben, wie sie sich künftig einbringen können und was sie für ihre persönliche Entwicklung brauchen. Dafür wiederum sind Führungskräfte notwendig, die ihren Kollegen viel Eigenverantwortung, Autonomie und Selbstverantwortung zumuten. Es gilt, ein kollektives Growth Mindset zu
entwickeln, in dem jeder aus Fehlern lernt und diese Lernkurve als Change begreift. Die Unternehmenskultur wird um eine Fehlerkultur bereichert, in der jeder Einzelne, aber auch Projektgruppen neue Verfahren, Methoden, Produkte und Dienstleistungen ausprobieren dürfen. Dafür brauchen sie Raum und Zeit und müssen ehrlich darüber sprechen, was gut gelingt, und wo sie noch scheitern. Allerdings lassen sich die Bereitschaft zur Offenheit und die Fähigkeit, sich immer wieder auf neue Transformationsprozesse einzustellen, nicht anordnen. Menschen haben häufig innere Widerstände, sich auf Veränderungen einzulassen, weil diese sie aus ihrer Komfortzone holen. Daher brauchen viele Mitarbeiter Führungskräfte, die ihnen als Begleiter zur Seite stehen, damit sie ihre eigenen Beschränkungen erkennen und lernen, wie sie diese überwinden.

Das agile Unternehmen
Den Menschen kommt also eine Schlüsselrolle zu, wie weit sie in einer funktionalen, agilen Organisation zurechtkommen. Zentral ist, dass sich alle Systemebenen vollständig auf ihre Kunden ausrichten, um schneller auf Disruptionen reagieren und neue Produkte auf den Markt bringen zu können. Time to Market wird dann zur Messlatte, ob eine Organisation wachsen kann oder untergehen muss. Wer seine Organisation agiler aufstellt, wird sich nicht immer neu organisieren müssen. Weil agile Organisationen den permanenten Wandel von Märkten, Kundenbedürfnissen und Technologien förmlich internalisiert haben, werden sie resilienter, also im permanenten Wandel und Wettbewerb widerstandsfähiger.

www.step5.ch/de/re-start