Ausgefallene Räume fördern die Kreativität.

Die Entwicklung von neuen Ideen, Konzepten und Produkten ist einer der schwierigsten Arbeitsprozesse. Auf Knopfdruck kreativ und innovativ zu sein, gelingt nur wenigen Menschen. Es gilt, die Herausforderung an der Wurzel zu packen – ob Angestellte, Entwickler oder Führungskräfte. Ein zentrales Stichwort dabei heisst Design Thinking. Der folgende Beitrag verdeutlicht die Potenziale von Design Thinking.

Mittels Design Thinking sollen mit neuen Herangehensweisen komplexe Probleme gelöst und überzeugende, nutzerorientierte Ideen kreiert werden. Das ist die Vorgabe. Menschen
aus unterschiedlichen Disziplinen arbeiten zusammen. Das ist die zentrale Ausgangslage. Die Verantwortlichen bringen verschiedene Perspektiven ein und betrachten Probleme aus dem Blickwinkel mehrerer Fachrichtungen. Es geht sowohl um analytisches als auch um kreatives Denken. Die heterogenen Teams sind der Schlüssel zum Erfolg. Die aus Design Thinking hervorgehenden Innovationen sind zielgerichtete Lösungen und passen am Ende des Tages genau auf die Bedürfnisse des Benutzers.

Wer hat nicht schon einmal selbst erfahren, dass unser Kopf in einer nicht alltäglichen Umgebung neue Ideen ausspuckt? Auf dieser Erkenntnis basiert eine Überzeugung des Design Thinking: Probleme werden besser gelöst, wenn die Teams in Räumen arbeiten, die Kreativität fördern. Diese Methode zur Innovationsförderung wird weltweit von Unternehmen unterschiedlichster Branchen eingesetzt. Der Prozess des Design Thinking gliedert sich in sechs verschiedene Phasen.

PHASE 1: PROBLEM ERKENNEN
Am Anfang steht das Verständnis des Problems. Denn vor dem Austüfteln von Lösungen geht es darum, die Problemstellung zu durchdringen und die richtigen Fragen zu stellen. Darauf folgt eine gründliche Analyse der Problemstellung und eventuell eine Anpassung der Fragestellung. Immer im Zentrum: der Nutzer. Zusätzliche Hilfe holen sich die Zuständigen jederzeit durch Gespräche mit Experten, Extremnutzern des Entwicklungsmilieus oder Mind Mapping. Schauen wir uns ein Beispiel genauer an: Ein mittelständischer Energieversorger möchte ein Bundle-Produkt aus Internet- und Telefontarif auf den Markt bringen. In Phase 1 klären Entwickler deshalb zunächst, wodurch genau sich das Bundle für sie definiert. Auf Grundlage vergangener Erfahrungen und neuer, unvoreingenommener Gedankengänge entstehen Fragen wie: Brauchen potenzielle Kunden ein solches Produkt? Was beschäftigt die Menschen? Was wollen Kunden wirklich, wenn sie einen MultimediaVertrag abschliessen?

PHASE 2: BEOBACHTEN UND ANALYSIEREN
Diese Phase beginnt nach der endgültigen Identifizierung des Problems. Da die Ziel
gruppe die zentrale Rolle spielt, wird sie zunächst genau beobachtet und beschrieben. Dadurch sollen grundlegende Wünsche und Bedürfnisse so gut wie möglich verstanden werden. Es geht vorrangig darum, Widersprüche und Spannungen aufzudecken. Denn diese deuten oft auf Innovationspotenzial hin. Zusätzlich analysieren Entwickler Lösungen und Produkte aus der Vergangenheit. Ziel ist es, die Potenziale und Schwächen genau benennen zu können. Sie setzen dabei qualitative Methoden wie Interviews und Shadowing1 ein, um möglichst genaue Customer Touchpoints zu dokumentieren.

Im Beispielfall des Bundle-Produkts beobachteten die Produktentwickler zunächst die Lebensumstände und Gewohnheiten von Einwohnern in einer exemplarischen, ländlich geprägten Wohngegend. Zur Zielgruppe bestimmten sie dabei Familien mit mittlerem Einkommen und maximal zwei Kindern, die in einem eigenen Haus ohne Swimmingpool lebten. Darauf folgte die direkte Ansprache der Versuchspersonen. Mit einfachem Klinkenputzen und Interviews brachten die Entwickler mit standardisierten, offenen Fragen Wünsche und Bedürfnisse ihrer potenziellen Kunden in Erfahrung. Jedes Detail war dabei wichtig. Zusätzlich positionierten sie sich auf öffentlichen Plätzen, wie beispielsweise dem örtlichen Jahrmarkt, und kamen dort mit Markt- und Café-Besuchern ins Gespräch. Die Präsentation eines noch nicht marktreifen Fake-Produkts half, die Anliegen und Störfaktoren der Zielgruppe herauszukitzeln. Die Erkenntnisse wurden in die Entwicklung integriert.

PHASE 3: STANDPUNKT MARKIEREN
Im letzten Schritt der analytischen Phase findet Erfahrungsaustausch statt. Zuvor gesammelte Informationen werden geordnet, sortiert und verdichtet. Wichtig sind dabei: Zwischentöne und Emotionen. Daraus resultiert eine gemeinsame, umfassende Sichtweise als Grundlage für die weitere Arbeit an der Innovation. Unterschiedliche Methoden visualisieren den wichtigen Schritt der Festlegung des Point of View. Modelle von Nutzergruppen (persona) vereinen beispielsweise alle beobachteten und zusammengefassten Erkenntnisse in sich. Mit ihrer Hilfe versetzen sich Entwickler in die fokussierte Zielgruppe hinein. Eine Empathy Map stellt den Kunden ins Zentrum einer verbildlichten Darstellung. Customer Journey Maps bilden die Reise des Einzelnen entlang der Customer Touchpoints ab und versuchen dessen Gedanken und Gefühle zu ergründen. Storyboards helfen, Status quo und Gedankenwelt nachzuvollziehen.

Nachdem die Entwickler im Falle unseres Bundles separat die potenzielle Zielgruppe befragt hatten, tauschten sie ihr neu gewonnenes Wissen in Phase drei untereinander aus. Gebündelt führten die Informationen zum Point of View: Viele Befragten gaben an, ein gesteigertes Sicherheitsbedürfnis zu haben. Die potenziellen Kunden wünschten sich einen berechenbaren Tarif, statt jedes Jahr Nachzahlungen. Die Planungssicherheit der allgemeinen Ausgaben stand bei den potenziellen Nutzern damit im Vordergrund. Für die Entwickler bedeutete das: Das zu entwickelnde Produkt muss den Faktor monetäre Sicherheit berücksichtigen.

PHASE 4: IDEEN FINDEN
In der Phase der Ideenfindung setzen die Akteure in erster Linie auf das Werkzeug «Brainstorming». Dabei ist das Üben von Kritik zunächst tabu. Alle Teilnehmer sollen sich
ohne Unterbrechungen gegenseitig inspirieren. Jeder kommt zu Wort. Zu zusätzlichen Ideen führen Gedankenspiele und fiktive Szenarien; dabei beseitigen Entwickler gedankliche Hindernisse und Einschränkungen. Auch Analogien aus komplett anderen Umfeldern können den entscheidenden innovativen Schub liefern. Hier schränken nur sehr wenige Grenzen die Kreativität ein. Im Beispielfall resultierte die Ideenfindung direkt aus der vorangegangenen Phase. Die Frage, wann sich Kunden auf eine gleichbleibende Stromrechnung ohne Überraschungen verlassen können, beantworteten die Entwickler mit einer Flatrate. Der Prozess lief allerdings nicht bedenkenlos ab: Die Innovatoren beschäftigte der Wunsch nach einer fairen Berechnung, der Vergleich mit als unseriös verrufenen Handyverträgen und die komplexe Preiszusammensetzung. Letztlich gelang es aber, ein für alle passables Bundle zu entwerfen.

PHASE 5: PROTOTYPEN ENTWICKELN
Um die ausgewählten Ideen greif- und erlebbar zu machen, werden sie im Anschluss an das Brainstorming haptisch visualisiert. Entwickler verändern, erneuern und verwerfen die rudimentären Prototypen während des Prozesses mehrmals. Das ist gewünscht und Teil des Prozesses. In diesem Zusammenhang lautet das Motto: Je weniger Aufwand in ein Modell fliesst, desto leichter fällt es, sich wieder davon zu trennen. In dieser Phase dürfen alle möglichst viele Fehler machen, um den Erkenntnisgewinn zu maximieren. Dabei fördert eine Vielzahl an Materialien wie Bauklötze, Legosteine bis hin zu Bastelbedarf die Entwicklung. Im Beispielfall entstand als Prototyp ein Flatrate-Angebot, das Internet, Telefon und Strom beinhaltete.

PHASE 6: TESTEN
In der Abschlussphase erfolgt der Test des Prototyps zusammen mit den poten-ziellen Nutzern. Wesentliches Element bildet dabei das Feedback von aussen. Tester bewerten die Innovation kritisch und bringen Ergänzungen zur Idee offen auf den Tisch. Angst vor Kritik hat hier keinen Platz. Die Entwickler verarbeiten die Rückmeldungen sofort. In der letzten Phase steht deshalb oft ein Sprung zurück in die vorangegangenen Phasen an. Der Prozess wird solange erneut durchlaufen, bis am Ende eine rundum überzeugende Innovation die Bühne betritt. Die Entwickler des Bundles stellten den fertigen Prototypen den gleichen potenziellen Kunden vor, die sie auch schon zu Beginn des Prozesses befragt hatten. Dabei erhielten sie ein sehr ermutigendes Feedback: 80 Prozent der Befragten gaben an, das Produkt sofort buchen zu wollen. Im weiteren Ablauf verfeinerten die Innovatoren ihr Sortiment. Sie gestalteten unterschiedliche Tarifgrössen, abhängig von Hausgrösse und Haushaltspersonenzahl. Beim Livegang bekamen Kunden zusätzlich Goodies wie zum Beispiel Sprachassistenten.

KLEINES FAZIT
Die mit Design Thinking entwickelte Flatrate des mittelständischen Energieunternehmens behauptet sich seit eineinhalb Jahren auf dem Markt. Der Entwicklungsprozess dauerte insgesamt ein halbes Jahr. Aktuelle Zahlen bestätigen den Erfolg: Im September 2019 ist die Strom-Internet-Telefon-Flatrate das Produkt mit der höchsten Marge des Energieversorgers. Aufgrund des grossen Erfolgs möchte die Firma das Bundle-Produkt um Flatrates für Fernsehen und Gas erweitern – mit Unterstützung von Design Thinking.

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