Die Schweizer Wirtschaft ist eine Erfolgsgeschichte. Die Essenz des Erfolgs sind drei Schlüsselfaktoren, die bei hiesigen Führungsetagen ganz weit oben auf der Agenda stehen. Ein stiefmütterliches Dasein fristet allerdings das Thema «Nachfolgeplanung» – zu Unrecht, denn: Die gezielte Nachfolgeplanung entwickelt sich immer mehr zum vierten Schlüsselfaktor.

Der wirtschaftliche Erfolg der Schweiz, dieses rohstoffarmen und von Bergen durchtrennten Landes, ist alles andere als selbstverständlich. Umso spannender ist die Frage, was diese Erfolgsgeschichte ermöglicht hat. Zum einen sind das sicherlich die bemerkenswerte politische Stabilität, die hohe Qualität der beruflichen und akademischen Ausbildung sowie die staatlichen Rahmenbedingungen. Wenn wir die makroökonomischen Einflussfaktoren ausblenden und unsere Aufmerksamkeit den Unternehmen zuwenden, dann finden wir in der Essenz drei Schlüsselfaktoren, die den Erfolg vieler Schweizer Unternehmen erklären.

Als Erstes ist hier die technologische Expertise zu nennen. Der Ursprung zahlreicher Unternehmen im Bereich Maschinenbau, Elektroindustrie und Pharma findet sich in der Technologieführerschaft. Die globale Spitzenposition in Forschung und Lehre von ETH und Universitäten waren hierfür oft kausal. Die überschaubare Grösse des Heimmarktes führte zudem von Beginn an zu einer internationalen Ausrichtung der Unternehmen. Der zweite Schlüsselfaktor findet sich in einem kontinuierlichen Produktivitätsmanagement. Die Frankenstärke und das hohe Lohn­niveau zwangen die Unternehmen schon immer zu konsequentem Kostenmanagement und unablässiger Produktivitätssteigerung. Der dritte Schlüsselfaktor lässt sich mit den Schlagworten Erfindungsreichtum und Innovationskraft zusammenfassen. Vielen Schweizer Unternehmen ist es immer wieder gelungen, sich über innovative Mehrwertkonzepte mit konsequenter Qualitätsorientierung vom Wettbewerb zu differenzieren. In einigen Fällen – man denke an Beispiele wie Swatch oder Nespresso – wurden dabei sogar die Spielregeln im Geschäft neu definiert.

Gezielte Nachfolgeplanung
Ihrer Bedeutung entsprechend dominieren diese drei Themen denn auch die Agenda des Top-Managements in hiesigen Unternehmen. Einen vergleichsweise wenig prominenten Platz hat hingegen die systematische Auseinandersetzung mit den eigenen Führungskräften und deren Entwicklung. Diese Aufgabe wird häufig an die HR-Abteilung delegiert und geschieht mit keinem direkten Bezug zur Geschäftsstrategie. Selbst wichtige Personalentscheide werden nicht selten, beeinflusst von Beziehungen und Zufälligkeiten, wenig systematisch getroffen. Und wenn eine Systematik angewandt wird, dann orientiert sich diese zumeist an der Leistung der Führungskräfte in ihrem aktuellen Job. Im Kern ist das ein rückwärtsgewandter Ansatz. In Zeiten klarer Produktführerschaft und stabiler Märkte war das zwar ein Schönheitsfehler, aber letztlich verkraftbar.

Inzwischen hat der Wind aber gedreht. Der globale Wettbewerb hat aufgeholt, und massive Turbulenzen erschüttern viele Unternehmen. Mit den Rezepten der Vergangenheit werden die künftigen Herausforderungen insofern nicht zu lösen sein. Zwar werden die drei oben dargelegten Erfolgsfaktoren auch in Zukunft relevant und unverzichtbar bleiben. Sie werden aber nicht mehr hinreichend sein. Um das Unternehmensschiff in stürmischer See auf Kurs zu halten, wird es vor allem erforderlich sein, die richtige Mannschaft an Bord zu haben. Vom Kapitän bis hin zum Bootsmatrosen – die Qualität des Teams ist entscheidend.

Eine Umfrage von Korn Ferry hat gezeigt, dass genau an dieser Stelle eine der grössten Sorgen des Top-Managements liegt. So vertrauen nur 51 Prozent der befragten Unternehmen in ihre Fähigkeit, die richtigen Führungskräfte zu erkennen. Ein Drittel aller Befragten sind unzufrieden oder extrem unzufrieden mit den Ergebnissen der eigenen Nachfolgeplanung, und nur ein Viertel der Unternehmen glaubt über den Führungsnachwuchs zu verfügen, den es benötigt. In Summe ergibt sich ein ernüchterndes Bild. Was ist zu tun? Eine gezielte Nachfolgeplanung ist vonnöten.

High-Performers versus High-Potentials
Eine gezielte und effiziente Nachfolgeplanung beginnt damit, dass sie zu einer nicht delegierbaren Kernaufgabe der obersten Führungsgremien wird. Diese sollten die Nachfolgeplanung als einen laufenden Prozess behandeln und nicht nur als Momentaufnahme im Falle einer anstehenden Neubesetzung. Gute Planung schafft Sicherheit und erhöht die Handlungsfähigkeit.

Als Nächstes stellt sich die Frage: Wie kann man High-Potentials erkennen? Wie und woran wird das Potenzial von zukünftigen Führungskräften gemessen? In der Praxis der meisten Unternehmen wird diese Frage mit Blick auf den Lebenslauf und den bisherigen beruflichen Leistungsausweis beantwortet. High-Potentials sind mit diesem Verständnis die High-Performers. Die Frage nach zukünftiger Leistung – in einer neuen und komplexeren Führungsfunktion – wird mit einer Extrapolation der Vergangenheit beantwortet. Die bisherigen Erfahrungen und Leistungen sind selbstverständlich wesentliche Informationen für die Beurteilung von Führungskräften. Für die Potenzialbeurteilung aber sind sie nicht die entscheidenden.

Ein Forschungsprojekt von Korn Ferry konnte zeigen, dass der mit Abstand wichtigste Indikator für den künftigen Erfolg von Führungskräften ihre Lernfähigkeit ist. Lernagile Führungskräfte zeichnen sich dadurch aus, dass sie mit Ungewissheit umgehen können. Sie erkennen auch in dichtem Nebel die relevanten Muster. Sie denken in Alternativen und testen Hypothesen. Sie verstehen es, den sozialen Kontext richtig zu lesen und sich darauf einzustellen. Und schliesslich verfügen sie über ein hohes Mass an Selbstreflektion.

Diese Erkenntnisse haben unmittelbare Konsequenzen für die Nachfolgeplanung: Der gängige Fokus für die Identifikation von High-Potentials muss angepasst werden. Die Forschungsergebnisse zeigen, dass 93 Prozent der High-Potentials gleichzeitig auch High-Performers sind. Der Umkehrschluss allerdings gilt nicht. Nur 29 Prozent der High-Performers sind High-Potentials.

Ein ganzheitlicher Ansatz für das Nachfolgemanagement
Erfolgreiche Unternehmen werden die Nachfolgeplanung permanent mit den strategischen Zielen und deren Erfordernissen abgleichen. Ausgangspunkt jedes Nachfolgemanagements ist das aus der Unternehmensstrategie abgeleitete spezifische Anforderungsprofil. Dieses ist die relevante Bezugsgrösse für jede Führungskräftebeurteilung. Der folgende konzeptionelle Rahmen zu den «Vier Dimensionen von Leadership» kann die dafür erforderliche Orientierung schaffen:

Das empirisch validierte Modell liefert die Struktur und die Skalierung für die Definition des Anforderungsprofils sowie für die dazu konsistente Beurteilung. Die Kompetenzen und Erfahrungen sind wichtig für die Beurteilung der unmittelbaren Bereitschaft einer Führungskraft, eine neue Funktion zu übernehmen. Die Wesenszüge, die Werthaltung und die Motivatoren – und als Ausprägung davon die Lernfähigkeit – sind die entscheidenden Indikatoren für das längerfristige Potenzial und für den kulturellen Fit einer Führungskraft. Ein sehr erfahrener Manager brachte seine eigenen Erfahrungen kurz und bündig wie folgt auf den Punkt: WHAT YOU DO gets you hired, WHO YOU ARE gets you fired.

Eine effektive Nachfolgeplanung ist eng abgestimmt mit der Unternehmensstrategie und geht in die Tiefe der Organisation. Sie nutzt das vorhandene Erfahrungswissen systematisch und beseitigt blinde Flecken mit einem ganzheitlichen Ansatz. Damit schafft sie die Grundlage für eine vorausschauende, zielgerichtete und nachhaltige Entwicklung der richtigen Führungskräfte. Für Schweizer Unternehmen wird das immer mehr der entscheidende Schlüsselfaktor für eine erfolgreiche Zukunft sein.

Einfacher zu beobachten und weiterzuentwickeln Kompetenzen

Beobachtbare Fähigkeiten und Verhaltensweisen, die notwendig sind für Erfolg

Zum Beispiel
Qualität der Entscheidungen, Strategisches Denken, Branchen- und Marktkompetenz.

Erfahrungen

Aufgaben, die jemanden auf zukünftige Aufgaben vorbereiten.

Zum Beispiel
Funktionale Erfahrungen, Auslandaufenthalte, Turnarounds und Sanierungen.

Indikatoren zur Bereitschaft für eine Funktion
Was man tut
Wie man ist
Schwieriger zu beobachten und weiterzuentwickeln Wesenszüge

Charaktereigenschaften, Neigungen, Begabungen, natürliche Tendenzen, Auffassungsvermögen.

Zum Beispiel
Durchsetzungsvermögen, Risikofreudigkeit, Zuversicht, Selbstbewusstsein und logisches Denkvermögen.

Motivatoren

Werte und Interessen, die die Karriere eines Menschen und sein Engagement beeinflussen.

Zum Beispiel
Macht, Status, Autonomie und Herausforderungen.

Indikatoren für Potenzial und kulturellen Fit