Bei einer Videokonferenz kann es schwierig sein, jedem Teilnehmer genug Aufmerksamkeit zu schenken.

Beim Führen von Mitarbeitern auf Distanz und Kommunizieren über digitale Medien zeigen viele Führungskräfte Verhaltensunsicherheiten. Dies gilt es zu beheben, wenn die digitale Kommunikation ein fester Bestandteil der Regelkommunikation wird – zum Beispiel weil mehr Mitarbeiter dauerhaft im Home Office arbeiten.

Die digitale Kommunikation hat im Business-Kontext durch den Coronabedingten Lockdown einen enormen Push erfahren. Führungskräfte konnten zum Beispiel plötzlich mit Mitarbeitern, aber auch Dienstleistern und Kunden, die sie zuvor regelmässig persönlich trafen, nur noch digital kommunizieren. Auch Meetings, bei denen sich zuvor alle Teil
nehmer um einen Tisch versammelten, fanden plötzlich online statt.

Für viele Führungskräfte bedeutete dies eine grosse Umstellung, doch absolutes Neuland betraten sie meist nicht: Denn auch in den Jahren vor dem Ausbruch der Covid-19- Pandemie gewann die digitale Kommunikation bereits zunehmend an Bedeutung.

Zusammenarbeit will Koordiniert sein
Unter anderem aus folgendem Anlass: Die Beziehungssysteme, in denen die Unternehmen ihre Leistung erbringen, wurden in den letzten Jahren immer komplexer. Gründe dafür waren die Globalisierung sowie der Ausbau der technischen Infrastruktur für moderne Informations- und Kommunikationstechnologie. So sind in die Leistungserbringung heute oft nicht nur mehrere Mitarbeiter und Kollegen an anderen Standorten, sondern auch externe Dienstleister involviert. Es gilt, die Zusammenarbeit zu koordinieren. Darüber hinaus soll die hierarchieübergreifende, aber auch die bereichsübergreifende Zusammenarbeit verbessert werden. Auch dies erhöht den Koordinierungs- und Abstimmungsbedarf, der oft nur digital bedient werden kann.

Corona war lediglich Verstärker
Diese Entwicklung wird sich fortsetzen – unabhängig davon, ob das Corona-Virus irgendwann wieder aus unserem Leben verschwindet oder nicht. Darauf weisen alle Entwicklungen hin, die im Zusammenhang mit solchen Schlagworten wie «Industrie 4.0» und «Digitalisierung der Wirtschaft», aber auch «New Work» diskutiert werden.

Je bedeutsamer aber die digitale Kommunikation für ein erfolgreiches Wahrnehmen der Führungsaufgaben wird, umso wichtiger wird es, dass Führungskräfte wissen, inwiefern sich die digitale von der persönlichen Face-to-face-Kommunikation unterscheidet.
Dazu sollte man sich zunächst vor Augen führen, was die Kernaufgabe einer Führungskraft ist: Eine Führungskraft muss ihr Umfeld so gestalten, dass alle an der Leistungserbringung beteiligten Personen in ihrem Arbeitsalltag die Entscheidungen treffen, die für die Zielerreichung nötig sind.

Das heisst wiederum, eine Führungskraft muss die gewünschten Wirkungen in ihrem Umfeld erzielen. Sie muss sozusagen ein wirksamer Influencer in ihm sein. Nur dann ist sie eine echte Führungs-Kraft.

Kernfrage: Wie erziele ich die gewünschte Wirkung?
In der klassischen Führungssituation, bei der die Führungskraft und ihre Mitarbeiter sich regelmässig sehen, ist dies den Führungskräften bewusst. In ihr haben sie meist verinnerlicht, dass man Mitarbeitern ein kritisches Feedback nicht vor der versammelten Mannschaft, sondern im Vier- Augen-Gespräch gibt – selbst wenn sie speziell in Stresssituationen zuweilen ein anderes Verhalten zeigen. Sie haben zudem verinnerlicht, dass sie, wenn sie von einem Mitarbeiter Mehrarbeit wünschen oder ihm komplexe Zusatzaufgaben übertragen möchten, dies möglichst nicht per Mail tun sollten. Vielmehr sollten sie zum Beispiel sein Büro aufsuchen oder zum Telefonhörer greifen, um ihm die Botschaft mitzuteilen.

Anders verhält es sich, wenn eine analoge Mensch-zu-Mensch-Kommunikation nur eingeschränkt möglich ist – sei es, weil die Mitarbeiter im Home Office arbeiten oder ihre Büros an einem anderen Standort haben. Dann zeigen viele Führungskräfte Verhaltensunsicherheiten oder sie reflektieren nicht ausreichend, bevor sie Kontakt aufnehmen.

Flexible Kommunikation
So macht es zum Beispiel einen grossen Unterschied, ob eine Führungskraft einen Mitarbeiter, wenn sie ihn im Regelbetrieb zufällig auf dem Flur trifft, beiläufig mit einem freundlichen Lächeln fragt: «Na, Herr Müller, wie läuft’s? Alles klar?» oder ob sie ihm, wenn er im Home Office arbeitet, eine Mail mit demselben Text sendet. Im ersten Fall wird dies in der Regel als Ausdruck eines persönlichen Interesses interpretiert, im zweiten Fall nicht selten als Kontrolle oder Ausdruck eines mangelnden Vertrauens empfunden, denn: Die Person beziehungsweise der Adressat ist zwar dieselbe, doch die Situation ist eine andere. Das machen sich viele Führungskräfte, auch Verfechter eines situativen Führungsstils, bei der digitalen Kommunikation nicht ausreichend bewusst.

Dass viele Führungskräfte bei der digitalen Kommunikation noch unsicher sind, zeigte sich in der Lockdown-Phase auch häufig in den Videokonferenzen mit ihren Mitarbeitern. Bei ihnen hatten die Mitarbeiter nicht selten den Eindruck: Unsere Führungskräfte sind schlechter vorbereitet als bei normalen Meetings und diese verlaufen unstrukturierter. Ob dies real der Fall war oder von den Teilnehmern aufgrund des Mediums nur so wahrgenommen wurde, darüber kann man streiten.

Zudem registrierte ich, wenn ich als Moderator oder Gast an solchen Meetings teilnahm, oft mehrere Dinge: Die Führungskräfte loggen sich als letzte Teilnehmer und nicht selten gar mit einer genuschelten Begründung einige Minuten verspätet ein. Oftmals tragen sie, wenn sie selbst «Homeworker» sind, eine legere Freizeitkleidung statt des gewohnten BusinessLook und hängen nicht selten schlaff auf ihrem Stuhl. Im Hintergrund steht häufig ein Sofa und an der Wand hängt zum Beispiel ein Strandbild mit Palmen.

Digitale Kommunikation Erfordert Regeln 
Das registrierten selbstverständlich auch die Mitarbeiter und davon ging gewiss nicht die Botschaft aus, welche die Führungskräfte transportieren wollten: «Wir arbeiten nun zwar im Home Office, doch ansonsten gilt: Business as usual.» Unverkennbar war zudem oft, dass keine Verhaltensregeln für die digitale Kommunikation existieren wie zum Beispiel: Wer etwas sagen möchte, quatscht nicht einfach dazwischen; er wartet vielmehr, bis ihm das Wort erteilt wird.

In der Phase nach dem Corona-bedingten Lockdown, in der in den Unternehmen vieles einen provisorischen Charakter hatte, waren solche Defizite tolerierbar. Wenn die digitale Kommunikation aber zur Regelkommunikation oder ein Teil von ihr wird, sollten auch für sie Qualitätsstandards und Regularien entwickelt werden. Zudem müssen die Führungskräfte – aber auch Projektmanager und Key-Accounter – darin geschult werden, wie sie auch in der digitalen oder hybriden Kommunikation, bei der sie die Kommunikationskanäle situationsabhängig wählen, die gewünschte Wirkung erzielen.

Digitale Beziehungsarbeit 
Dabei sollte als Faustregel gelten: Je digitaler die Kommunikation, umso mehr Zeit sollten die Führungskräfte in die Beziehungsarbeit investieren. Beispielsweise indem sie ihre Mitarbeiter auch mal anrufen und mit ihnen bewusst nicht über die Arbeit schnacken. US-amerikanische und skandinavische Unternehmen organisieren häufig auch virtuelle Teamevents, bei denen die Teilnehmer gemeinsam einen Film schauen oder einen Umtrunk machen, weil sie wissen: Sonst geht schnell der Teamspirit verloren.

Generell stellte man in der Corona-Zeit fest: Viele Führungskräfte waren überrascht, dass man bei einer Videokonferenz deutlich mehr als erwartet von seinem jeweiligen Gegenüber wahrnimmt. Nicht wenige wandelten sich deshalb vom Saulus zum Paulus. Während sie zuvor erklärte Gegner dieser Kommunikationsform waren, dachten sie nun, alles könne nun per Video Call oder -konferenz kommuniziert werden. Dies ist nicht der Fall. Bei der Videokommunikation ist und bleibt die Wahrnehmung reduziert, und bei Videokonferenzen fallen schnell einzelne Teilnehmer unter den Tisch.

Neue Kommunikationsrituale entwickeln Deshalb hat es sich speziell bei einer grösseren Teilnehmerzahl bewährt, dass auf dem Tisch der Führungskraft eine Liste mit den Teilnehmernamen liegt, auf der sie abhaken kann, wen sie schon persönlich angesprochen hat. Zudem ist es nach Videokonferenzen oft sinnvoll und nötig, einzelne Teilnehmer anzurufen und sie persönlich zu fragen: «Wie geht es Ihnen nach dem Meeting? Können Sie mit der Entscheidung leben? Was wünschen Sie sich von mir, um …?»

Solche Calls sind, sofern die Kommunikation primär digital erfolgt, nötig, damit besonders bei grösseren Projekten kein Teammitglied emotional verloren geht. Die Bedeutung des Telefons als Kommunikationsmittel auf Distanz sollte man ohnehin nicht unterschätzen, zumal dieses gerade bei Personen, die einen grossen Teil ihrer Arbeitszeit am PC verbringen, einen entscheidenden Vorzug hat: Bei einem Telefonat können Sie das Telefon in die Hand nehmen und mit ihm im Raum spazieren gehen. Bei einem Video Call hingegen müssen Sie die ganze Zeit auf Ihrem Stuhl vor dem Monitor sitzen.

Auch auf solche Aspekte sollte man beim Führen von Mitarbeitern auf Distanz achten, zumindest wenn man als Führungskraft Wirkung erzielen und somit ein «Influencer» des Unternehmenserfolgs sein möchte.

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