Cornelia Diethelm ist Gründerin des Centre for Digital Responsibility (CDR), einem Think Tank für Digitale Ethik.

Unternehmen wie Postfinance und bis vor Kurzem auch bei Swisscom identifizieren ihre Kundinnen und Kunden anhand der Stimme. Dadurch entfallen lästige Sicherheitsfragen, was wertvolle Zeit einspart. Ist uns das bewusst?

Unsere Stimme besteht aus über 200’000 individuellen Merkmalen. Sie ist so einzigartig wie unser Fingerabdruck oder unsere Gesichtsmerkmale. Dabei ist der Klang der Stimme nur ein Teil des Stimmabdrucks. Auch die individuelle Art und Weise, wie eine Person spricht, wird analysiert. Gibt es erste Anzeichen von Demenz? Leidet jemand unter einer Depression? Oder besteht sogar die Gefahr, dass sich eine Person das Leben nehmen will? Auch solche hoch sensiblen Informationen lassen sich aus der Stimme herauslesen. Dank Künstlicher Intelligenz sind dafür nur wenige Sekunden nötig.

Die Gefahr ist gross, dass wir unser Einverständnis für einen Stimmabdruck bereits gegeben haben, ohne dass uns dies bewusst ist. Denn beliebt bei Schweizer Unternehmen ist die Opt-out-Strategie: Wir werden darüber informiert, dass ein Stimmabdruck angefertigt wird. Und wenn wir uns nicht explizit dagegen wehren, wird von unserem Einverständnis ausgegangen. Für Unternehmen hat dies den Vorteil, dass nur wenige Personen dagegen sind. Für uns Kundinnen und Kunden besteht allerdings die Gefahr, dass wir uns zu wenig bewusst sind, um was es geht.

Wenn wir beim Kundendienst das erste Mal anrufen, heisst es in der Ansage, dass das Gespräch zu Schulungs- und Wiedererkennungszwecken aufgezeichnet wird, und dass daraus ein Stimmabdruck erstellt wird. Schulungszwecke? Tönt doch sympathisch! Und weil wir uns an solche Ansagen beim Warten am Telefon gewöhnt haben, fragen wir uns nicht, was mit «Wiedererkennungszweck» und «Stimmabdruck» konkret gemeint ist. Mir war es bis vor Kurzem nicht bewusst, und Ihnen?

Bereits heute werden wir bei der Ansage zwar darauf hingewiesen, dass wir es der Agentin am Telefon mitteilen können, wenn wir keinen Stimmabdruck wünschen. Doch nur wer verstanden hat, um was es geht, wird diese Option nutzen. Gleiches gilt für die Möglichkeit, den Stimmabdruck jederzeit online deaktivieren zu können. Was ich nicht weiss, kann ich auch nicht korrigieren. Hinzu kommt, dass es sich beim Stimmabdruck um biometrische Merkmale handelt. Deshalb hält der Eidgenössische Datenschutzbeauftragte (EDÖB) einen Stimmabdruck nur unter zwei Bedingungen für zulässig: Die betroffene Person muss transparent und umfassend informiert werden. Und sie muss der Verwendung ihres Stimmabdruckes explizit zustimmen, so wie es in der EU bereits Pflicht ist (Opt-inStrategie). In der Schweiz ist dies nicht nötig, was sich bald ändern könnte.

Gerade weil wir tagtäglich eine Unmenge an Informationen verarbeiten müssen, bin ich überzeugt, dass eine Opt-in-Strategie zur gelebten Kundenorientierung und damit zum ethischen Handeln eines Unternehmens gehört. Gleichzeitig stärkt die explizite Zustimmung die Digitalkompetenz des Einzelnen, indem wir uns bewusst mit dem Nutzen und den Folgen digitaler Innovationen auseinandersetzen müssen. Das lässt sich nicht mehr an andere delegieren.

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