Da kommt einer mit dem richtigen Buch zur richtigen Zeit. Tomáš Sedlaek ist ein Provokateur für seine Zunft, die Nationalökonomie. Mit dem internationalen Bestseller «Die Ökonomie von Gut und Böse» sprengt er die Grenzen der Ökonomie, indem er die Kulturgeschichte der Menschheit freilegt und daraus einen Kampf zwischen unterschiedlichen Geschichten herausdestilliert. Das ist der Versuch des grossen Wurfs, der immer risikoreich ist, aber den es auch heute braucht.

Die heutige, positivistische Sicht der Wirtschaftswissenschaften kennt fast immer nur Formeln, Zahlen und Modelle und lässt ethische oder kulturelle Fragen links liegen. Die Finanzkrise, oder konkreter die Praktiken der Investmentbanken, zeigen jedoch deutlich die Notwendigkeit einer Neujustierung der Wirtschaftswissenschaften auf. Diese hat uns seit Jahren rosa Wachstumsbilder mit mathematischen Formeln und der «unsichtbaren Hand» des Marktes, die scheinbar alles wieder in das Gleichgewicht bringt, präsentiert, aber nun Schiffbruch erlitten. Fundamentale Krisenausschläge im Rahmen der Finanzkrise, die eine völlig neue Dimensionen jenseits von Konjunkturzyklen offenbaren, lassen den klassischen Homo oeconomicus und seine Apologeten der heute an allen Universitäten und Wirtschaftsinstituten vorherrschenden Nationalökonomie alt aussehen.

Hier greift Tomáš Sedláček sprichwörtlich in das Rad der Geschichte, um sich grundsätzliche Gedanken über sein Fachgebiet und dessen Einbettung in die gesellschaftliche Umgebung zu machen. Was heisst dies konkret? Er studiert alte und sehr alte Texte, wie die Bibel oder den Epos von Gilgamesch, wie ein Wirtschaftsbuch und bürstet sie so gegen den Strich. Diese anderen Blicke erweitern den Horizont der Leser. Das macht vermutlich auch den Erfolg des Buches «Die Ökonomie von Gut und Böse» aus. Im Rahmen der aktuellen Schuldendebatten kann er so Erlösungen mit religiösen Aufladungen entdecken. Die Achse, auf der er die Träume des Pharaos oder die unsichtbare Hand des Adam Smith, die Diskussionen eines John Locke oder John Maynard Keynes einordnet, heisst Geschichten hinter der Geschichte. Das ist ein wilder Ritt durch die Jahrhunderte, der sich aber erfrischend von den staubtrockenen Texten üblicher Wirtschaftswissenschaftler abhebt. Dabei geht leider oft der konkrete gesellschaftliche Zusammenhang verloren. Das muss man aus meiner Sicht Sedláček vorwerfen. Aber diese Lücken können bei aller berechtigten Kritik von anderen Wissenschaftlern nachgeholt werden und sind auch nicht in einem Buch zu füllen.

Auf jeden Fall sind für Sedláček selbst die kompliziertesten mathematischen Modelle in Wirklichkeit Geschichten, Gleichnisse oder Bilder, eine Anstrengung, die die Welt um uns herum begreiflich machen soll. Folglich ist auch die Ausrufung des postideologischen Zeitalters, wie es einige Sozialwissenschaftler in den Jahren nach 1990 getan haben, für ihn eine nicht nachvollziehbare These.
Und wie kommt er auf das Pärchen Gut und Böse? Vulgärdarwinistisch und bei einer oberflächlichen Lektüre von Adam Smith ist ja der Mensch ein Wesen, das immer nur seinen Eigennutz optimieren will, und das geht dann oft auf die Kosten der anderen. Sedláček stösst auf diese Hedonisten, die das Gute mit dem Nutzen gleichsetzen, schon in der Antike. Der Homo oeconomicus, den sich Wirtschaftswissenschaftler vorstellen, ist noch heute ein Nutzenmaximierer: Der Mensch tut Dinge, weil er sich einen Nutzen von ihnen verspricht. Auch hier präferiert der tschechische Ökonom den anderen Blickwinkel. Vielleicht will der Mensch einfach Gutes tun, dann könnte man ihn im Sinne des Autors als einen Maximierer des Guten analysieren.

Jenseits des Wachstumsfetischs
Der Mensch ist aber für Sedláček kein Gutmensch. Die «Gier» ist für ihn eine wesentliche Triebkraft. Mit dem aktuellen Zustand sind wir fast immer unzufrieden. Für Sedláček schafft die Nachfrage stets neue Bedürfnisse und damit neue Nachfrage. Das gebetsmühlenhafte Mantra des Bruttosozialprodukts und eine unhinterfragte Wachstumsideologie haben uns aber an Grenzen geführt.

Auch der Fortschritt ist kein Wert an sich. Die durch den Fortschritt erreichte Effizienzsteigerung wird automatisch als Nutzen definiert. Doch eine inhaltliche Zieldefinition für die Ökonomie über diese Effizienz hinaus ist kaum in Sicht. Und schon sind wir wieder bei einem berühmten historischen Beispiel. Liesse sich eine Sabbat-Ökonomie – wie bei den Hebräern – mit aktuellen Schuldenerlassen denken? Solche Fragen lassen lebhafte Debatte zu. Und genau diese sind jetzt wichtig.

Ein Bild im GDI
Im Gottlieb Duttweiler Institute (GDI) empfängt David Bosshart, der CEO des GDI, den tschechischen Ökonomen, auf einer Veranstaltung im Januar als «jungen Wilden, der aber Geschichten wie ein «alter weiser Mann» erzählen kann.

Kann man die aktuellen Herausforderungen in einem Bild zusammenfassen? Im GDI wählt Sedláček am Schluss seines Vortrags ein Bild mit mehreren Achsen. Zunächst wendet er sich der Zeitachse zu. Wenn er in die Vergangenheit blickt, sieht er das fossile Zeitalter. In den letzten 100 Jahren haben wir hier zu viel aus der Erde gezogen und in Form von Energie verblasen. Die Energiewende ist daher auch für ihn ein zentrales Thema. Wenn er nach vorne blickt, sieht er die wachsenden Schuldenberge. In Europa ist es die Staatsverschuldung. Selbst in Zeiten eines guten Konjunkturverlaufs häufeln die europäischen Staaten weiter Schulden auf. Hier herrscht für ihn immenser Handlungsdruck. Dazu kommen die Achsen der Technologieentwicklung und der Globalisierung. Beide schreiten mit grossen Schritten voran und die Frage ist, wie wir damit klarkommen?