Nicht wenige Experten prophezeiten vor einem Jahr das Auseinanderfallen der Eurozone. Heute sind diese Stimmen leiser geworden. Wo liegen die Gründe für die Stabilisierung der Eurozone. Wir fragten den Chefvolkswirt von Julius Bär.

Europa erlebt eine Renaissance. Noch vor einem Jahr glaubten nicht wenige Ihrer Kollegen an eine schwere Krise in Europa und auch des Euros. Da war zum Beispiel vom Auseinanderfallen der Eurozone die Rede. Auch Sie haben ein eher pessimistisches Bild gezeichnet. Offensichtlich ist Europa stabiler als viele gedacht haben.

Was hat sich an dem Krisenmanagement so verbessert?

Man hat konkrete Schritte unternommen. Zunächst hat sich die Europäische Zentralbank im Winter 2011/2012 mittels einer Kreditspritze von über einer Billion Euro als Feuerwehr betätigt. Zusammenbruchsszenarien bei wichtigen Banken der Eurozone, wie in den USA bei Lehmann-Brothers, sollten um jeden Preis verhindert werden. Das war eine Notmassnahme. Die zweite Massnahme kam von Seiten der Politik. Im März 2012 hat man die Schuldenbermse beschlossen. Das geschah im Vorfeld der griechischen und französischen Parlamentswahlen.

Da wollte man Zeichen setzen?

Ja, von 27 EU Ländern haben 25 Länder zugestimmt, mit dabei waren alle Euroländer, was ein wichtiger Aspekt ist. Die Schweiz hat da fast als Vorbild gewirkt. Hier funktioniert ja die Schuldenbremse erfolgreich seit 2003. Es geht darum, die dynamische Komponente der Staatsverschuldung, die Neuverschuldung, ein zu dämmen. Von der Fiskalseite ist ein quantitativer Schritt unternommen worden.

Das klingt ja fast schon pädagogisch…

Das sollte es auch sein. Zudem hat man flankierend beispielsweise  unter dem Stichwort «Six Pack» eine ganze Reihe von Massnahmen umgesetzt, die sich restriktiv auf die Budgets auswirken. Die allgemeine Spielregel, wer die Leitplanken der Eurozone nicht erfüllt, dem droht Souveränitätsverlust, oder die Kontrolle durch andere Institutionen, hat sehr viel mehr Druck bekommen.

Das sieht man in Spanien, das aktuell nicht unter den Rettungsschirm will, obwohl die Zeichen dafür eigentlich deutlich sind.

Und Griechenland erlebt diese Situation schon seit geraumer Zeit. Das wirkt auch abschreckend.

Man kann auch sagen Griechenland erleidet diese Situation und steckt zudem in einer tiefen Rezession?

Ja, aber erinnern Sie sich doch an die Situation im Frühsommer letzten Jahres. Noch im Juni hatten wir eine ausserordentlich trübe Stimmung. Auf den Märkten eskalierte die Situation gegen die Eurozone. Diese Eindämmungs- politik war notwendig, um schlicht wieder in ruhigeres Fahrwasser zu kommen.

Hat man denn auch in Richtung Finanzmärkte effizient agiert?

Ja, Mario Draghi war im Juli 2012 in London in der Höhle der Investmentbanker und Euroskeptiker. Er hat dort klar gemacht, dass die EZB den Euro nicht untergehen lässt. Das hat die Märkte beruhigt.

Am 6. September folgten dann auch konkrete Schritte. Er hat das das OMT-Konzept (Outright Monetary Transactions) angeschoben. Mario Draghi hat sich in diesem Rahmen, als Vertreter einer Zentralbank, sehr weit aus dem Fenster gelehnt. Im Grunde genommen hat er eine Art Rückversicherung für jene Länder angekündigt, die sich unter den Schirm des ESM  (Europäischer Stabilitätsmechanismus) begeben. Unter sehr klaren und strengen Bedingungen, hat er unbeschränkte Hilfe der EZB angeboten, falls ein betroffenes Land an den Kapitalmärkten nur zu horrenden Konditonen Geld aufnehmen könnte. Das war eine Gratwanderung, aber bisher eine sehr erfolgreiche.

Daher sprechen jetzt auch Sie von «Super Mario»?

Ja. Es musste etwas getan werden, um die Märkte zu beruhigen und gleichzeitig den Reformkurs in den grossen und schwächelnden Euroländern wie Spanien und Italien, deren Anleihen sehr teuer wurden und die massive Vertrauensverluste hinnehmen mussten, in Gang zu halten. Die verheerende Spirale des Vertrauensverlustes dieser Länder war nicht hinnehmbar, da schliesslich immer grössere Teile des laufenden Budgets zur Schuldenbedienung  aufgenommen werden mussten. Dies hat dann noch mehr Misstrauen in den Märkten geschürt. Ein solche Destabilisierung der Budgets ist jetzt erschwert, da mittlerweile diese Länder sich wieder deutlich günstiger am Kapitalmarkt refinanzieren können. Draghi hat auf der einen Seite deutlich gemacht, dass er bereit ist alle notwendigen Mittel auf den Kapitalmärkten aufzunehmen, um die Euroländer stabil zu halten. Gleichzeitig brachte er dabei mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) noch einen strengen, aussereuropäischen, externen Revisor ins Spiel. Die abschreckend strengen Bedingungen der möglichen EZB-Hilfe haben einerseits die Kapitalnehmer in ihren Reformanstrengungen zusätzlich angespornt, andererseits potenzielle und tatsächliche Kapitalgeber wieder beruhigt.

Diese Geschichte ist sehr eindrücklich, da bisher kein Land, Spanien ist ja nur ein möglicher Kandidat und Sie haben es angesprochen, sich diesem Regime unterwerfen will. Mit heruntergelassenen Hosen will eben niemand dastehen. Die Spielregeln sind jetzt ganz klar.

In Deutschland hatte man aber noch eine offene Rechnung mit dem ESM und der Unterstützung. Es gab hier politischen Druck, der bis vor das Bundesverfassungsgericht gegangen ist. Das war alles andere als ein Selbstläufer, oder?

Am 12. September 2012 hat man von Deutschland eine grüne Ampel bekommen. Aber auch hier sind die Unterstützungsmittel an klare Bedingungen geknüpft. So muss der Bundestag konsultiert werden. Deutschland will hier Transparenz herstellen. Das ist auch berechtigt und glaubwürdig, damit der ESM so sich nie zu einer Art Blankoscheck sich entwickeln kann.

Auch politisch hat sich die Situation in dieser Zeit verbessert. So waren in den Niederlanden Wahlen. Die antieuropäischen Populisten haben verloren und proeuropäische Parteien haben eine Koalition gebildet. Jetzt ist auch noch ein junger niederländischer Hoffnungsträger, Finanzminister Jeroen Dijsselbloem, Chef der Eurogruppe, der wichtigen Gruppe der Eurofinanzminister, geworden.

Haben Sie noch einen Punkt, der dieses doch eher positive Bild von Europa vervollständigt?

Ja, lassen Sie mich noch einen Punkt anführen. Es geht um die Ankündigung der EU-Kommission eine Bankenunion einzusetzen. Die Bankensanierung in Europa ist in Verzug geraten, da im Bankenbereich schlichtweg notwendige institutionelle Elemente fehlen, die eurozonenübergreifend sind. Es gibt noch keine gemeinsame grenzüberschreitende Einlagenversicherung, keine einheitlichen Abwicklungskriterien und die Methoden der Bilanzbewertung sind auch noch stark unterschiedlich und national geprägt. Kurz, es braucht einheitliche Standards und Normen, um auch den Bankensektor wieder auf sichere Füsse stellen zu können. Auch hier kommt der EZB wieder eine entscheidende Rolle zu. Nicht nur hat sie auch den Banken Geld geliehen, um sich Zeit zu kaufen, sie wird jetzt auch ihre Oberaufsicht übernehmen. Es gilt auch hier schrittweise Anpassungen vor zu nehmen, ohne dass es zu Zusammenbrüchen mit wirtschaftlichen Verheerungen kommt.
Wir haben es, um das zu diesem Punkt abschliessend zu fixieren, mit einem Bündel von Massnahmen zu tun, welches vom Feuerlöschen bis hin zu Strukturreformen reicht. Das sind Bausteine, die das Fragmentierungsrisiko der Eurozone massiv gesenkt haben.

Im Rahmen der vielen Schirme fürchten sich viele vor der Inflation. Wir kennen sie aus den 70er Jahren. Was macht aus Ihrer Sicht den historischen Unterschied aus?

Das ist ganz einfach. Wir haben in den Ländern der Eurozone keine starke Wachstumsdynamik, in einigen Ländern sind wir sogar in einer richtigen Rezession. Die konjunkturelle Erholung gestaltet sich sehr langsam. Erst im Herbst wird aus meiner Sicht die Eurozone wieder Fahrt aufnehmen.
Von dieser Seite haben wir keinen Teuerungsdruck. Die Märkte sind eng. Auch der Transmissionsmechanismus von der Notenbankschiene her über den Kreditschöpfungsmechanismus der Banken in die Realwirtschaft ist aktuell gestört. Das reale Kreditwachstum in der Eurozone ist insgesamt noch negativ. Wir müssen mit einer Kreditklemme kämpfen. Das Notenbankgeld ist immer noch in erster Linie dazu da, die Löcher in den Bilanzen der Banken zu stopfen. Es gibt keine Kreditschübe, wie in den Wachstumsjahren der 70er Jahre. Fünf Jahre nach Ausbruch der Finanzmarktkrise sind viele Banken sind immer noch auf dem Sanierungspfad. Die Verbesserung der Eigenkapitalkraft der Banken unter dem Stichwort «Basel III» hat eine Einführungsfrist bis 2019. Da brauchen viele Banken offensichtlich noch viel Zeit. Zunächst müssen wir in den meisten Ländern wieder zu einem normalen stetigen Wachstum zurückfinden. Solange dies nicht der Fall ist, brauchen wir uns vor Inflation wie früher nicht zu fürchten.

Aber ein gutes Krisenmanagement führt noch lange nicht zur Linderung der strukturellen Defizite. Wir haben es mit einem einheitlichen Währungsraum zu tun, dessen Länder aber völlig unterschiedlich wettbewerbsfähig sind.

Das ist prinzipiell richtig, aber auch hier bin ich etwas optimistischer als viele andere. So haben sich zum Beispiel bereits die Zahlungsungleichgewichte wieder leicht entschärft. Das betrifft gerade einige Problemländer im Süden und auch ganz typisch Irland, das sogar wieder zum Wachstum zurückgefunden hat.  Die bestehenden Strukturungleichgewichte sind weiter da, aber auch hier kann man in einigen Unternehmenssektoren, sogar in Griechenland, wieder eine höhere Produktivität erkennen. In Spanien gibt es wieder gute Exporterfolge. Es ist eine Entschlackung der Wirtschaft im Gange. Die südlichen Länder der Eurozone haben ohne Frage schwerwiegende Strukturnachteile. Diese können die Verantwortlichen nicht von heute auf morgen ändern. Aber sie können einen Reformprozess anstossen, der aber Jahre in Anspruch nehmen wird. Die grosse Herausforderung bleibt auf Jahre die hohe Arbeitslosigkeit, besonders bei den Jungen in den betroffenen Ländern. So ist es entscheidend, dass raschmöglichst Reformen umgesetzt werden, die Wachstum und damit die Schaffung von nachhaltigen Arbeitsplätzen ermöglichen. So muss zum Beispiel die zentralistische und wachstumshemmende Bürokratie in Griechenland abgebaut werden. Keiner kann in Griechenland lokal oder regional etwas bewegen, ohne dass sich nicht jemand aus Athen einmischt. Das hat zur Folge, dass die Lebenshaltungskosten zu hoch und die Löhne zu tief sind, was typisch ist für eine ineffiziente Wirtschaft. Da gilt es unzählige, wettbewerbsbehindernde  Kartelle und Oligopole zu zerschlagen. Das wird noch viele Anstrengungen kosten und da kann man sicher auch nicht vorbehaltlos optimistisch sein. Rückschläge sind da aus unterschiedlichen Gründen möglich. Reformen kosten nicht unbedingt viel Geld, sie kosten aber oft grosse Mühen. Europa wird noch lange mit schwachen Ländern leben müssen, die auch entsprechend Hilfe benötigen.

Diese Anstrengungen honorieren auch die Märkte und realisieren jetzt, dass was Haushaltsdefizite betrifft, die USA noch viel mehr Hausaufgaben machen müssen.

Da ist ja auch die private Verschuldung ungleich höher wie in Europa. Die USA haben zwar ihr Bankensystem schneller saniert. Aber Europa ist den USA bei den Fiskalproblemen heute voraus. Die Fiskalbereinigung ist in den USA ein immens drückendes Problem, welches gelöst werden muss. Man kann das nicht immer weiter vor sich her schieben. Das realisieren nun heute auch immer mehr die Finanzmärkte.

«Die Spielregeln sind jetzt ganz klar.»