Präzision im Markt und in der Produktion in einem klassischen Familienunternehmen

Die Neher Gruppe mit Sitz in Ostrach-Einhart (D) in Oberschaben entwickelt und produziert diamantbestückte Präzisionswerkzeuge und Automatisierungslösungen. Das Unternehmen ist ein typisches KMU-Beispiel. Mit Geschäftsführer Gerd Neher sprachen wir über die Herausforderungen, den Erfindergeist der Schaben und der Schweiz sowie seine Rolle als Chef in einem Familienbetrieb.

Warum sind gerade Unternehmen aus der Region Bodensee-Oberschwaben so innovativ?
Schon mein Grossvater Fritz war ein typischer Tüftler, der in den 20er-Jahren ein eigenes Auto entwickelt hat oder mithilfe einer Turbine in seiner Mühle jahrzehntelang Stromlieferant der Gemeinde Einhart war. Im Jahr 1929 durfte er, mit Genehmigung der Handwerkskammer, sich Radiotechniker nennen. Aber Tüfteln alleine bringt noch nicht den Erfolg. Die Unternehmer hier sind vor allem auch Macher. Egal, ob ich in Australien oder Mexiko bin – unsere Kunden schätzen uns genau dafür, dass wir Unmögliches einfach mal denken und dann nicht locker lassen, bis es funktioniert.

Verraten Sie uns noch ein historisches Beispiel?
Mein Grossvater hatte ein Patent namens «Müllerstolz» angemeldet und bekommen. Mithilfe dieses Patents konnte er auf das Gramm genau Verpackungseinheiten abfüllen.

Wie ist dieses Tüftler-Gen historisch entstanden?
Der Schwabe geht mit seinen Ressourcen sparsam um. Dafür nimmt er sich viel Zeit zum Denken und sucht nach Lösungen, die sein Leben vereinfachen. Dazu kommt das pietistische Gen. Der Pietismus ist mit dem Calvinismus in der Schweiz vergleichbar. Der Stellenwert von Arbeit ist bei beiden hoch angesiedelt.

Innovative Familienunternehmen gibt es auch auf der anderen Seite des Bodensees im Kanton Thurgau. Wo sehen Sie Gemeinsamkeiten und wo Unterschiede?
Fleiss ist auf beiden Seiten ein anerkanntes Attribut. Das akkurate Arbeiten kommt dazu. Unterschiede sehe ich aus Unternehmersicht nicht. Wir haben folglich auch viele geschäftliche Kontakte in die Schweiz.

Gäbe es für Ihr weltweit tätiges Unternehmen nicht bessere Standorte als das ländliche Ostrach-Einhart?
Auf keinen Fall. Wir sind hier zwar auf den ersten Blick hinter dem Mond, der ländliche Raum bietet aber auch zahlreiche Vorteile. Die Jugendlichen hier werden mit den Firmen vor Ort gross und wir mit ihnen. Wir können unsere Ausbildungsplätze bisher allein über Initiativbewerbungen besetzen und merken, dass die Auszubildenden mit Herzblut hier arbeiten. So ist ja der Fachkräftemangel üblicherweise eine riesige Herausforderung – bei uns nicht. Ländliche Strukturen bieten den Vorteil, dass familiäre Zusammenhänge intakter sind und man in der Region verwurzelter ist und die Angestellten gegenüber Arbeitgebern vergleichsweise zu urbanen Zentren loyaler agieren. Ausserdem: In Stuttgart oder Zürich fahren Sie eine Stunde Tram oder S-Bahn von A nach B, und ins Auto sollten Sie sich im Berufsverkehr gar nicht erst setzen. Wir sind hier von der Verkehrsinfrastruktur nicht abgeschnitten. Innerhalb einer Stunde erreichen Sie von Ostrach alle wichtigen Autobahnknotenpunkte und Flughäfen.

Letztes Jahr haben Sie Ihren Umsatz um ein Drittel gesteigert. Wie ist Ihnen das gelungen?
Früher waren wir ein reiner Zulieferer, mittlerweile haben wir uns zum Systemanbieter entwickelt. Wer vor einigen Jahren nur ein Werkzeug bei uns gekauft hat, erhält heute bei Bedarf Anlagen zur Dichtheitsprüfung oder Reinigung von Werkstücken, Förderbändern, Automatisierungstechnik und so weiter. Industrie ist Innovation – und genau darauf setzen wir.

Welche Rolle spielt dabei der Export, und in welche Länder liefert Ihr Haus?
Neuerdings haben wir in Mexiko Fuss gefasst. Thailand und Ungarn sind für uns wichtige Märkte. Und dann natürlich die Schweiz. Ein grosser Kunde von uns sitzt im Rheintal in der Schweiz.

Auf welches Produkt sind Sie besonders stolz?
Direkt nach dem Einstieg in das Unternehmen meines Vaters war das erste Projekt ein Lenkstangengehäuse. Dabei hat einfach alles funktioniert, und am Ende war die Taktzeit bei der Bearbeitung auf ein Sechstel reduziert – bei einem millionenfach produzierten Bauteil. Bei diesem Projekt habe ich auch gelernt, wie viel die langjährige Erfahrung von Mitarbeitern wert ist.

Neher ist auch bekannt für die Produktion von Diamantbohrern. Ist das nicht ein sehr anspruchsvoller Rohstoff, auch was Beschaffung und Kosten betrifft?
Wir arbeiten bei der Produktion unserer Maschinen nicht mit echten, also natürlichen Diamanten, sondern mit synthetisch hergestellten aus Bornitrid. Dieser Werkstoff ist beinahe gleich hart wie Diamant, liefert aber glattere Oberflächen. Mitte der 60er-Jahre wurde er zum ersten Mal in den USA aus dem  Halbmetall Bor hergestellt und war damals teurer als Gold. Heute wird Bornitrid überall dort eingesetzt, wo Stahl geschnitten werden muss.

Ihr Vater hat das Unternehmen 1990 gegründet, im Jahr 2000 hatte es zehn Mitarbeiter, heute rund 80. Was ist Ihre Strategie in der Personalpolitik?
Für meine Mitarbeiter wie für mich gilt: Das Leben ist zu kurz, um sich kaputtzumachen. Daher hat von Anfang an jeder viel Eigenverantwortung bekommen – der Betrieb muss auch ohne mich jederzeit weiterlaufen. Das hat sich ausgezahlt. In erfolgreichen Familienunternehmen sind die Hierarchien heute in der Regel flach. Klassische Patrons haben ausgedient. Die Schnelligkeit von Innovations- und Produktzyklen lässt autoritären Frühstücksdirektoren keinen Platz. Ich will ein Chef zum Anfassen sein. Solche Chefs bewegen sich in der Führungsetage und auf der Produktionsebene. Bei wichtigen Projekten weiss folglich jeder Verantwortliche um den Zusammenhang von Unternehmenserfolg und Arbeitsplatz – selbst  die Auszubildenden sind einmalig engagiert und bringen eigene Ideen ein. Ohne die Mitarbeiter wäre das Unternehmen heute nicht da, wo es ist. Meine Philosophie als Chef war es von Anfang an, zentrale Aufgaben zu delegieren. Es kann immer sein, dass mir etwas zustösst. Darunter dürfen weder unsere Kunden noch meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ihre Familien leiden.

Wo steht die Industrie der Region in 20 Jahren?
Immer noch ganz weit vorne – denn Produktion kann man nicht einfach durch Daten ersetzen oder kopieren. Trotz aller Automatisierung dauert es mindestens ein Jahr, bis unsere Mitarbeiter ein Werkzeug so herstellen können, wie es der Markt fordert. Von grösster Bedeutung ist es, dass auch kleine produzierende Betriebe sich auf die Globalisierung einstellen. Der Weltmarkt kommt nicht von allein nach Oberschwaben – aber wenn wir zu ihm kommen, führt kein Weg mehr an  Oberschwaben vorbei.

Gerd Neher ist Geschäftsführer der Neher Gruppe.

Weitere Informationen:
www.neher-group.com 
www.facebook.com/nehergroup