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Pimco wagt Prognosen in Zeiten von Corona.

In einem Q&A diskutieren Dan Ivascyn (Group CIO), Tiffany Wilding (US Economist) und Mohit Mittal (Portfoliomanager) die Auswirkungen des Coronavirus auf Wirtschaft und Märkte und erörtern, wie PIMCO Portfolien auf das vorbereiten und bevorstehende Herausforderungen ausrichten.

kmuRUNDSCHAU: Herr Ivascyn, wie sieht PIMCO die Auswirkungen von Covid-19 auf Wirtschaft und Märkte?

Dan Ivascyn: In erster Linie ist das eine humanitäre Krise, die enorme Ängste und Befürchtungen auslöst. Wir fühlen mit unseren Kunden und allen anderen, die davon betroffen sind – mit den Menschen, die das derzeit durchstehen müssen, persönlich und beruflich!

Was wir hier erleben, ist eine einzigartige Krise – keine herkömmliche, von den Finanzmärkten angeheizte oder eine, die an einen expliziten ökonomischen Schock geknüpft ist. In gewisser Hinsicht ist das Ziel dieses Mal klarer: Die meisten unserer eigenen Experten zum Gesundheitssektor und auch externe Spezialisten glauben daran, dass es gelingen wird, das Virus schlussendlich einzudämmen. Wenn das der Fall ist, werden wir auch eine robuste konjunkturelle Erholung sehen.

Allerdings – und das kann ich nicht stark genug betonen: Der Weg zu diesem Ziel ist mit grossen und vielen Unsicherheiten behaftet. Ängste und Befürchtungen über die Branchen hinweg werden zu BIP-Einbrüchen führen und zu entsprechenden Reaktionen der Märkte. Die Menschen sind jedoch allgemein stärker besorgt um die Gesundheit ihrer Familie. Sie fragen sich, wie sie in diesen unsicheren Zeiten ihr Leben managen und im Griff behalten können. Und das wiederum könnte zu schwer vorhersehbaren Marktentwicklungen führen. Wir müssen ein gesundes Mass an Respekt vor unberechenbaren Situationen am Markt haben.

Wir rechnen damit, dass das Schlimmste noch vor uns liegt. Es mag eine Stabilisierung der Lage in China geben. Wenn wir aber die Situation in Nordamerika, Europa und einigen Schwellenländern in Augenschein nehmen, dann müssen wir wohl davon ausgehen, dass die Zahl der Krankheitsfälle im Mai oder Juni, eventuell sogar erst später im Sommer, ihren Höhepunkt erreichen wird. Es könnte zu signifikanten Störungen im Arbeitsumfeld über alle Branchen hinweg kommen. Das könnte an den Märkten zu Situationen verschärfter Illiquidität führen. Asset-Preise könnten sich zeitweise von den fundamentalen Daten abkoppeln und nach unten oder oben überschiessen.

Unser top-down orientiertes Investmentmodell erlaubt es uns, in solchen Perioden signifikant erhöhter Volatilität auf zentralisierte – ich möchte es einmal durchaus so nennen – Kommando- und Kontrollstrukturen umzuschwenken. Diese haben einen Einfluss darauf, wie wir unsere Asset-Allokation in verschiedenen Märkten strukturieren und wie wir mit Blick auf die Branchenkonzentration und die Liquidität unserer Kunden in grossen Teilen unserer Strategien Risiken managen.

Wir sind in dieses veränderte Umfeld aus einer Position der Stärke heraus geraten, aber wir antizipieren zusätzliche Volatilität oder Stress. Obwohl einige Segmente mit Blick auf die zu erwartenden Renditen beginnen, ein bisschen attraktiver auszusehen, haben wir bislang gezögert, zusätzliche Risiken einzugehen. Es wird aber ganz sicher der Zeitpunkt kommen, wo es sinnvoll ist, aggressiver auf höhere Risiken zu setzen. Höchstwahrscheinlich wird das dann für unsere Kunden eine gute Chance sein, ihre Erträge weiter zu steigern.

PIMCO begann das Jahr mit dem Thema «Marktumbrüche meistern», so der Titel des langfristigen Konjunkturausblicks vom vergangenen Mai. In diesem wurde auf das Potenzial von Umbrüchen in einem Umfeld niedriger Wachstumsraten hingewiesen. Wie hat sich diese Sichtweise in der Portfoliopositionierung niedergeschlagen, und wie geht es weiter?

Ivascyn: Wir sind darauf fokussiert, langfristige Kapitalverluste zu vermeiden. Wir sind überzeugt, dass der Mix aus defensiven Investments, insbesondere in den höher rentierenden Segmenten des Marktes, und einem proaktiven Liquiditätsmanagement uns über alle Strategien hinweg widerstandsfähig und robust macht. Das versetzt uns in die Lage, neue Risiken einzugehen, wenn wir glauben, dass dies attraktiver ist als derzeit und die Risiken auch belohnt werden.

Viele der Anlagen, auf die wir uns in den vergangenen Monaten konzentriert haben, bieten attraktive Renditen, haben aber einen eher defensiven Charakter wie zum Beispiel hypothekenbesicherte Wertpapiere öffentlich-rechtlicher Emittenten. Sollten wir einen weiteren Abschwung am Markt sehen, erwarten wir, dass solche Papiere weiterhin eine Bastion relativer Stärke sein werden. Wir konzentrieren uns ferner auf andere defensive Bereiche, wo die Fundamentaldaten vergleichsweise solide bleiben – wie zum Beispiel Investments aus den Bereichen Konsum und Immobilien oder solche Unternehmensanleihen, die von einem vorsichtigen und konservativen regulatorischen Regime profitieren.

Frau Wilding, könnten Sie bitte die möglichen Antworten der Politik auf die durch den Coronavirus verursachten Verwerfungen aufzeigen und erörtern, welche Reaktionen PIMCO erwartet?

Tiffany Wilding: Es ist wichtig zu bedenken, was Geldpolitik leisten kann und was nicht. Die Fed kann nicht die Ausbreitung des Virus stoppen. Die Notenbanker sind auch nicht besonders gut darauf vorbereitet, Schocks in der Lieferkette zu managen oder Verbraucher davon zu überzeugen, Dienste in Anspruch zu nehmen, die sie nicht benötigen. Was Geldpolitik jedoch zu leisten vermag: Sie kann versuchen, ein Umfeld zu schaffen, in dem die Finanzierungsbedingungen günstiger sind. Das mag vielleicht nicht den ökonomischen Schock abfedern, aber es verschärft ihn auch nicht. Das Gros der akademischen Literatur vertritt die Auffassung, dass Stress an den Finanzmärkten, insbesondere Stress im Bankensektor, einen Abschwung verstärken kann.

Ich denke, die notfallartige Zinssenkung der Fed um 50 Basispunkte am 3. März war wahrscheinlich die erste im Rahmen einer synchronisierten Aktion der Zentralbanken der G-7. Der Schachzug der Fed zielte ganz klar darauf ab, die Korrektur am Aktienmarkt zu stoppen und die Finanzierungsbedingungen auf breiter Basis zu stabilisieren. Nach unseren Berechnungen zu den Finanzierungsbedingungen wog der Schritt der Fed etwa die Hälfte der negativen Effekte wieder auf, die wir nach dem ursprünglichen Ausbruch des Coronavirus gesehen hatten. Allerdings gaben Aktien weiter nach auf den Zinsschritt hin – und das beeinträchtigt die Wirkung der Zinssenkung. Die Fed wird vermutlich noch einige weitere Zinssenkungen verkünden müssen. Und der Effekt dürfte sich durch Zinssenkungen anderer Zentralbanken rund um die Welt verstärken.

Andere Notenbanken sind der Führung der Fed gefolgt. Die australische Notenbank hat die Leizinsen am 3. März um 25 Basispunkte reduziert, die kanadische Zentralbank zog am 4. März mit 50 Basispunkten nach, und wir gehen davon aus, dass auch die Bank von England bei ihrer nächsten Sitzung eine Zinssenkung verkünden wird. In Europa sind die Zinsen bereits im negativen Bereich, weshalb sich die Europäische Zentralbank wohl darauf konzentrieren wird, Vermögenswerte und langlaufende Tender aufzukaufen, um Banken zu ermutigen, Geld an Firmen zu verleihen, die infolge des Virus mit sinkenden Cashflows kämpfen.

Die Schwellenländer haben vermutlich etwas mehr Spielraum für Zinssenkungen, weil die Inflationsraten der Schwellenländer in letzter Zeit weniger auf Wechselkursveränderungen reagieren. Es ist ausserdem wichtig zu bedenken, dass die realen Zinssätze in den Schwellenländern viel höher liegen als in den entwickelten Ländern – das gibt ihnen etwas mehr Spielraum.

Von kritischer Bedeutung wird die Fiskalpolitik sein, vor allem dann, wenn noch gravierende Szenarien drohen. Wir gehen davon aus, dass die Fiskalpolitik sich zielgerichtet auf den Gesundheitssektor fokussieren wird, um dort Cashflow-Engpässe in betroffenen Unternehmen abzufedern. In den USA zum Beispiel hat der US-Kongress ein Gesetz verabschiedet, das acht Milliarden US-Dollar für den Kampf gegen das Virus bereitstellt. Das ist zwar ein begrenzter Betrag, aber wir erwarten, dass die Regierungen in der Europäischen Union ähnliche Schritte ergreifen werden.

In Ihrem aktuellen Blog-Beitrag «Covid-19: Die Auswirkungen könnten sich verschlimmern, bevor sich die Situation entspannt» diskutieren Sie die wirtschaftlichen Risiken in China, einschliesslich der Wahrscheinlichkeit eines Schrumpfens des BIP im ersten Quartal. Sehen wir eine Verbesserung der Lage im Reich der Mitte? Und wie steht es um die Risiken ausserhalb Chinas?

Wilding: Hochfrequenzdaten über Verkehrsengpässe und den Umschlag von Gütern in Häfen legen nahe, dass solche Transporte noch immer stark rückläufig sind. In den vergangenen ein bis zwei Wochen haben wir jedoch in den grössten Hafenstädten Anzeichen einer Normalisierung gesehen, aber überall sonst verharrt der Warenumschlag auf niedrigem Niveau. China steht für rund 25 Prozent der weltweiten Produktion im verarbeitenden Gewerbe – das heisst, Brüche werden über die gesamte globale Lieferkette hinweg spürbar sein. Exporte nach China dürften ebenfalls beeinträchtigt werden, und die Preise für Öl und Industriemetalle sind bereits teils dramatisch gefallen.

Da sich die Coronafälle ausserhalb Chinas mehren, beschränken sich die Auswirkungen nicht länger auf die Produktion und den Handel. Quarantänen und die Stornierung von Reisen ausserhalb des Landes werden sehr wahrscheinlich die Nachfrage nach weltweiten Dienstleistungen beeinträchtigen.

Handel und Tourismus stehen für etwa drei Prozent des BIP der USA. Im Falle eines grossflächigeren Coronaausbruchs würden jedoch auch andere Dienstleistungen inklusive Glücksspiel, Gastgewerbe und Unterhaltung – Eintritt zu Live-Events oder Museen – sowie personenbezogene Dienstleistungen in Mitleidenschaft gezogen. Insgesamt stehen diese Branchen für rund neun Prozent des BIP. Es ist ausserdem durchaus sinnvoll, über ein Worst-Case-Szenario nachzudenken, mit schweren Ausbrüchen des Virus in Metropolregionen wie New York, San Francisco oder Los Angeles – diese stehen für rund 16 Prozent des BIP.

Es gibt eine grosse Bandbreite möglicher Szenarien. Das BIP in den USA könnte im Fall eines milderen Schocks für die Reisebranche um 0,4 Prozentpunkte sinken oder um bis zu 2,5 Prozent, falls das öffentliche Leben in mehreren Metropolregionen zum Erliegen kommt. Das käme dann noch obendrauf auf den schweren Dämpfer für das US-Wachstum infolge von Einbrüchen in der Verarbeitenden Industrie und im Handel. Diese Schätzungen berücksichtigen dabei noch gar nicht die zusätzlichen Effekte, die aus erhöhtem Stress an den Märkten oder bei Banken resultieren.

Herr Mittal, wie hat der Markt die jüngsten Volatilitäts-Stürme absorbiert? Und wie sehen Sie die absoluten Zinsniveaus angesichts der starken Rallye bei Anleihen, die grosse Teile der Welt gesehen hat?

Mohit Mittal: Die Bedingungen für Liquidität haben sich moderat verändert, wie man das in Phasen hoher Volatilität auch erwarten würde. Aber bis jetzt hat die Liquidität weit weniger gelitten, zum Beispiel im Vergleich zum vierten Quartal 2018. Wir konnten beobachten, dass sich die Spreads zwischen An- und Verkaufskursen nur moderat ausgeweitet haben. Mit Blick auf die Bewertungen sind die Kredit-Spreads grösser geworden, aber sie haben sich im Vergleich zum vierten Quartal 2018 allgemein gut gehalten, sieht man mal von Branchen ab, die direkt von der Krise betroffen sind wie Energie und Transportwesen. Vor dem Hintergrund anhaltender Unsicherheit besteht jedoch das Risiko, dass die Kredit-Spreads weiter wachsen und wir auch Verschlechterungen beim Thema Liquidität spüren werden, ehe wir eine Stabilisierung sehen.

Die Märkte sind in Bewegung – während wir hier diskutieren, sank die Rendite zehnjähriger US- Staatsanleihen unter die Marke von einem Prozent. Ich denke, der Ausblick hängt sehr stark davon ab, wie weit sich das Virus ausbreitet. Auf der einen Seite dürfte für den Fall, dass wir einen dramatischen Anstieg der Erkrankungsfälle und als Folge daraus eine Verlangsamung der Geschäftstätigkeit oder eine deutliche Verschlechterung der Finanzierungsbedingungen sehen, die Fed wahrscheinlich handeln und die Zinsen weiter senken. Auf der anderen Seite: Falls die Coronafälle ein Plateau erreichen und sich die Geschäftstätigkeit normalisiert, bräuchte die Fed keine zusätzlichen Senkungen zu beschliessen. Dann nämlich würde eine Rendite von weniger als einem Prozent auf zehnjährige US-Staatsanleihen bei einem Inflationsziel der Fed von zwei Prozent weniger Sinn ergeben.

Könnten Sie uns erklären, welche Papiere Sie über- und welche Sie untergewichten? Welche Sektoren erachtet PIMCO als verletzlicher als andere?

Mittal: Es existieren Sektoren innerhalb des Kreditmarktes, die eine Underperformance aufweisen. Der Energiesektor war einer der grössten Underperformer, bedingt durch den Schwächeanfall beim Ölpreis. PIMCO schätzt, dass auf dem Höhepunkt des ersten Quartals eine Nachfrage nach Rohöl im Volumen von 2,0 bis 2,5 Millionen Barrel pro Tag zerstört wird – auf das ganze Jahr gerechnet 0,7 bis 1,0 Millionen Barrel. Es ist jedoch zu früh, um die Dauer des Nachfragerückgangs zu kennen. Die OPEC denkt über zusätzliche Produktionsbeschränkungen nach. Allerdings scheinen die Gespräche zum Zeitpunkt dieses Interviews zum Stillstand gekommen zu sein. Angesichts der Unsicherheiten bei Nachfrage und Angebot schneiden viele US-Energieproduzenten mit höheren Verschuldungsquoten derzeit schlechter als der Markt ab. Ähnliches gilt für Sektoren, die an den Reisemarkt gekoppelt sind, wie Fluggesellschaften, die Autobranche sowie die Unterhaltungs- und Spieleindustrie.

Vor dem Hintergrund unseres vorsichtigen Ausblicks, basierend auf engen Anfangsbewertungen, untergewichten wir Unternehmensanleihen im Allgemeinen und auch viele zyklische Sektoren. Anstelle eines Engagements in Firmen-Bonds, das noch anfälliger würde, falls sich die Marktbedingungen verschlechtern, halten wir Papiere höherer Qualität mit grösseren Spread-Strukturen wie zum Beispiel Hypotheken – hier mag es zwar auch Volatilität geben, aber das Ausfallrisiko ist nach unserer Meinung vernachlässigbar.

Innerhalb des Firmen-Bond-Universums lag unser Fokus auf widerstandsfähigen und defensiven Sektoren. Wir konzentrierten uns dabei auf Unternehmen mit soliden Bilanzen und gesundem Cashflow. Uns gefallen hier Finanzdienstleister, bestimmte Telecom-Provider, REITs sowie Wohnungsbau- und Baustofffirmen. Hingegen untergewichten wir Firmen aus dem Einzelhandel und der Energiebranche.

Herr Ivascyn, wenn man das alles berücksichtigt: Was sind Ihre übergeordneten Gedanken zum Thema Anleihenallokation?

Ivascyn: Wir glauben auch weiterhin daran, dass Anleihen hoher Qualität für die Asset-Allokation unserer Investoren eine durchaus wichtige Rolle spielen sollten. Diese dürften – selbst bei den aktuell sehr niedrigen Renditeniveaus – im Vergleich zu risikoreicheren Segmenten des Marktes eine relativ gute Performance abliefern. Allerdings nähern wir uns selbst in den Vereinigten Staaten und einigen anderen qualitativ hochwertigen Bond-Märkten einer Art Untergrenze, die nicht notwendigerweise bei null liegen muss. Obwohl wir davon ausgehen, dass die Entscheider in den USA viel vorsichtiger agieren und versuchen werden, eine Alternative zu negativen Leitzinsen zu finden, wird das nicht verhindern können, dass die Marktzinsen in den negativen Bereich rutschen.

Der entscheidende Punkt ist aber: In den meisten vernünftigen Szenarien ist die Fähigkeit der Bond-Märkte, höhere Kurse zu generieren, wie wir es bis dato gesehen haben, zum Erliegen gekommen. Um die Erträge in diesem Umfeld zu maximieren, benötigen wir eine noch flexiblere Denkweise – eine, die Kapital vorhält, um auf mögliche Volatilitätsspitzen reagieren zu können. Wenn uns das gelingt, werden wir auch in Zukunft Schritt für Schritt und über lange Zeiträume Mehrerträge für unsere Kunden generieren können.

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