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Unternehmensverantwortliche aus Asien agieren auf gleicher Augenhöhe mit europäischen Verantwortlichen.

China ist auf dem Weg zur globalen Supermacht, und Indien setzt zu einer beeindruckenden Aufholjagd an. Im folgenden Interview beleuchtet Asienexperte Karl Pilny die Rahmenbedingungen und gibt für Unternehmen einige strategische Ratschläge. 

Die Projektionen auf den Kontinent Asien sind extrem. Entweder ist Asien bedrohlich, exotisch oder vorbildlich. Allein zu Japan
habe ich in meiner Karriere als Journalist schon einige Buchtitel mit der aufgehenden roten Sonne oder der untergehenden
roten Sonnen gesehen. Die Beurteilungen zu China schwanken zwischen Betrügern, die unsere Produkte nachbauen, und aufstrebender Weltmacht. Indien war und ist immer noch ein Sehnsuchtsort für Esoteriker jeglicher Couleur. Wie erklären Sie sich diese extremen Zyklen und Bilder?
Asien ist der grösste Kontinent der Welt und ohne Frage auch einer der vielfältigsten. Es leben inzwischen zwei Drittel der Menschheit dort. Die Vielfalt der Sprachen und politischen Systeme ist ebenfalls beeindruckend. Ich könnte hier fortfahren. Lange Rede kurzer Sinn: Dieser Kontinent ist aber gerade wieder dabei, sich zum Epizentrum der Weltwirtschaft zu entwickeln. Das erklärt auch die polarisierenden Bilder, die Sie gerade angesprochen haben.   

Ihr Buch packt einen ganzen Kontinent unter einen Hut. Ich frage mal direkt, was haben Südkorea und Bangladesch, was die ökonomische Situation betrifft, miteinander zu tun? Das erste Land ist ein Tigerstaat mit vielen global führenden IT-Firmen. Im zweiten Land werden unter unsäglichen Bedingungen Billigtextilien zusammengenäht.
Sie haben recht, Asien muss unterteilt werden. Nehmen wir nur zwei Beispiele: Ostasien ist von Konfuzius geprägt. Allein aus diesem Grund haben Südkorea, Japan, Vietnam, aber auch China Ähnlichkeiten. Es kommen noch andere dazu. Demgegenüber steht Südasien, mit dem grossen Land Indien, mit ganz anderen kulturellen Voraussetzungen. Dazu gehört auch Bangladesch. Man muss sich die Unterschiede zunächst sehr genau anschauen. Ich selbst habe in den letzten Jahren zu den unterschiedlichen Regionen Asiens Bücher publiziert, darunter meine Trilogie «Das asiatische Jahrhundert».

Es geht jetzt um den Aufstieg Asiens. Das ist Ihre Klammerthese. Sie sprechen dabei nicht nur über ökonomische Kennzahlen, sondern über ein sich abzeichnendes neues hegemoniales System. Kann man das so zusammenfassen?
Das ist richtig. Das atlantische Zeitalter verliert seine dominante Position, die es seit Ende des Zweiten Weltkriegs hat. Die USA ziehen sich ja gerade selbst zurück. Es entsteht dabei nicht nur ein hegemonialpolitisches Vakuum. Aktuell besetzen die asiatischen Staaten Räume auf der ganzen Welt, die freiwillig oder unfreiwillig aufgegeben wurden. Aber es gilt auch hier, genau hinzuschauen. So sind Indien und China Rivalen, aber auch potenzielle Kooperationspartner. Das ist historisch nicht neu. China und Indien haben im 18. Jahrhundert ein Drittel des globalen BIPs unter sich aufgeteilt. Das ist eine Renaissance einer Bedeutung, die die europäische Kolonialgeschichte verdrängt hat. Vergessen dürfen wir aber auch die Länder nicht, die etwas im Schatten dieser beiden Riesen stehen. Nehmen sie nur Indonesien als Beispiel. Das sind gewichtige Player. In der Tat geht es um eine Wachablösung, die sich langsam vollzieht. 

Lassen Sie uns doch etwas konkreter werden, um das Bild etwas klarer zu bekommen. Wie ordnen Sie das chinesische Projekt Seidenstrasse ein?
Das Seidenstrassen-Projekt hat zwei zentrale Komponenten. Es geht erstens um eine Landverbindung. Da sollen mit vielen Infrastrukturprojekten, im Zentrum stehen Transport und Verkehr, die Landverbindungen in Asien, die dann bis Europa reichen, gestärkt werden. Es gibt aber auch einen maritimen Teil, der etwa Afrika einbezieht.

In Afrika sind ja in den letzten Jahren europäische Akteure von chinesischen Akteuren vielfach abgelöst worden.
Richtig. Seit 2009 ist China in Afrika fast durchgehend der wichtigste Handelspartner. Umgekehrt besitzt Afrika wichtige Rohstoffe für China. Es gibt Schätzungen, dass mittlerweile über eine Million Chinesen in Afrika arbeiten. Inzwischen ist der ganze Kontinent für China ein Vorzeigemarkt. Es entstehen dort beeindruckende In­frastrukturprojekte, die man vorzeigen kann. Das ist ein Beispiel, wie geschickt China geostrategisch aus einer ursprünglich schwachen Position vorgeht. Man orientiert sich an Handelsrouten, um die herum Märkte aufgebaut werden. Auch in Afrika stösst China in Freiräume, die ihm gewährt werden. 

Jetzt haben wir die makroökonomische Sicht beleuchtet. Lassen Sie uns noch auf mikroökonomische Herausforderungen schauen.
Gibt es Strategien, damit europäische Firmen ihre Positionen verteidigen können, und was
muss da aus Ihrer Sicht passieren?
Europa hat weiter eine wichtige Funktion als Referenzmodell und Technologielieferant. Im Gegensatz zu den USA kann Europa auch mit Vielfalt punkten. Unternehmensverantwortliche müssen klare Prioritäten setzen. Das betrifft zum Beispiel die zukünftig wichtigen Technologiefelder.

 Auch da können Sie uns sicher ein Beispiel verraten?
Wenn die E-Mobilität sich wirklich durchsetzen soll, brauchen wir noch leistungsfähigere Batterien. Sind da die Entwicklungsabteilungen von europäischen Playern dran? Da gibt es noch viel Luft nach oben. Die Frage der Batteriezellen ist hier eine Schlüsselkomponente und von enormer Symbolkraft. Aktuell kommen die drei führenden Anbieter aus Südkorea, China und Japan. An der Spitze be­findet sich kein europäisches Unternehmen. Da kann man nur rufen: Hallo, bitte aufwachen! 

Man muss sich von dem am Anfang des Interviews erhaltenen Bildern lösen?
Man muss sich von dem Bild der verlängerten Werkbank mit ihren Billigprodukten, die aus Asien kommen, befreien. Asien ist auch nicht nur mehr ein beliebiger Absatzmarkt. Man muss heute in Europa mit asiatischen Firmen auf Augenhöhe strategisch zusammenarbeiten. Man kann beispielsweise auch mit einem japanischen Unternehmen den chine­sischen Markt bearbeiten. Es geht um kreative Geschäftsmodelle, die aber oft nur mit einer Präsenz vor Ort realisiert werden können. Dafür haben Sie potenziell viele neue Kunden zur Verfügung. Egal, wo Sie gerade in Asien den Zirkel reinstecken. Im Umkreis von 200 Kilometern ­haben Sie Millionen Mitglieder einer aufsteigenden Mittelklasse vor sich, die zunehmend auch auf Qualitätsprodukte setzt. Das sollte für Unternehmensverantwortliche Antrieb genug sein. Es gilt zudem, koordinierter vorzugehen. Es kann nicht sein, dass man durch den Ausverkauf von Einzelinteressen seine Position schwächt. Es muss eine Asien-Strategie erkennbar sein. Es ist fast schon erschreckend zu beobachten, dass asiatische Unternehmensverantwortliche oft mehr von Europa wissen wie umgekehrt.

 

Asia 2030
Was der globalen Wirtschaft blüht
von Karl Pilny, 2018, Campus Verlag
ISBN 978-3-593-50833-7
328 Seiten

www.karlpilny.com
www.asia-21.com