Immer mehr Fahrzeughersteller öffnen ihre Fahrer-Informations-Displays für Apps. Damit beginnt die nächste Runde der digitalen Revolution im Auto. Denn jetzt bestimmt der Fahrer die Inhalte auf dem Fahrzeug-Display. Möglich wird das mit CarPlay, Android Auto und MirrorLink. Unternehmen eröffnen sich dadurch neue Möglichkeiten, Apps für Kunden und Mitarbeiter anzubieten. Oli Kai Paulus vom Berliner IT-Spezialisten Neofonie hat den Markt und die Herausforderungen genauer beleuchtet.

Die folgende kleine Einstiegsreportage könnte bald ein Beispiel einer Autofahrt symbolisieren. Sie steigen in Ihr Auto, um zu einem Termin zu fahren. Durch die Lautsprecher erklingt Ihr Name: «Guten Morgen, Herr Müller, wo wollen Sie heute hinfahren?» Es sind 90 Minuten, die zwischen Ihnen und Ihrem Termin liegen, rechnet Ihnen Ihre Navigation vor. Genug Zeit, um Vokabeln zur Vorbereitung Ihrer nächsten Auslandsreise zu lernen. Über die Sprachsteuerung starten Sie Ihre persönliche Sprachlern-App. Sie wiederholen
die Wörter, die über die Lautsprecher ertönen und gleichzeitig in Lautschrift auf dem Fahrzeug-Display erscheinen. «Die Aussprache war nicht richtig, bitte wiederholen Sie», fordert Sie die freundliche Stimme auf. Nach zwei Versuchen
ist Ihr virtueller Assistent zufrieden und belohnt Sie mit einem Schnelltest. Innerhalb einer Minute sollen Sie möglichst viele Wörter wiedererkennen, die Sie eben erlernt haben. Die richtigen Wörter bestätigen Sie über die Tasten am Lenkrad. Nach 45 Minuten haben Sie sich eine kurze Pause verdient und wollen Musik hören. Kein Radio, sondern die individuelle Musiksammlung eines Freundes, die «in der Cloud» liegt. Hierzu starten Sie Ihre bevorzugte Musik-App wie beispielsweise Sound-cloud. Die Titel werden Ihnen auf dem Display angezeigt. Die Auswahl erfolgt wie gewohnt über die Tasten am Lenkrad. Über die neuen Musikempfehlungen sind Sie begeistert und wollen sich bei Ihrem Freund bedanken. Sie diktieren eine Nachricht über WhatsApp. Die Antwort erhalten Sie prompt vorgelesen, und auf dem Fahrzeug-Display erscheint das Foto, das Ihnen Ihr Freund mitgesendet hat. «Ihre Telefonkonferenz startet in 15 Minuten», unterbricht Sie Ihre Kalender-App. Sie nehmen die nächstmögliche Haltestelle und haben noch ein paar Minuten Zeit, um über die Präsentation zu schauen. Sie starten die Office-App Ihres Unternehmens. Auf dem Fahrzeug-Display erscheint die entsprechende Präsentation. In einer Folienüberschrift fällt Ihnen ein Rechtschreibfehler auf, den Sie prompt direkt auf Ihrem Fahrzeug-Display korrigieren. Kurz darauf startet auf dem Display die terminierte Videokonferenz. «Guten Morgen, Herr Müller, wie kommen Sie mit Ihrem Chinesisch voran?», begrüsst Sie einer der Konferenzteilnehmer.

Kleine historische Grundlage
Bevor wir dieses Szenario auf analytisch abklopfen, empfiehlt sich ein kleiner Blick in die Geschichte der Fahrer-Informations-Displays. Die ersten Anzeigeinstrumente in Autos wie Tachometer und Drehzahlmesser lieferten ausschliesslich Informationen über das Fahrzeug selbst. Die verwendete Technologie entwickelte sich von mechanischen über elektrische zu digitalen Technologien, wobei die Anzahl der Sensoren und Anzeigen stetig stieg.

Die erste grosse Neuerung war die Funktechnik. Radioempfänger konnten nicht nur zur Unterhaltung, sondern auch für hörbare und textbasierte Verkehrsmeldungen (TMC) eingesetzt werden. Nach Aufbau des NAVSTAR-Satellitennetzes konnte dann ab Mitte der 90er-Jahre das Global Positioning System (GPS) zur Positionsbestimmung und in Verbindung mit Karten-CDs zur Routenplanung und Navigation eingesetzt werden. Diese Informationen erreichten das Fahrzeug aber stets nur unidirektional, das Auto war Empfänger, nicht Sender.

Die Übertragung von Informationen aus dem Fahrzeug nach aussen begann parallel durch den CB-Funk und die ersten Autotelefone. In der Anfangszeit war CBFunk aufgrund der geringeren Kosten im Bereich der privaten Pkw-Nutzung weiter verbreitet, spielt dort mittlerweile aber keine Rolle mehr. Fest verbaute Autotelefone sind ebenfalls selten geworden. Die tragbaren Varianten der Autotelefone Anfang der 90er-Jahre waren aber praktisch die ersten «Handys».

Die Nutzung all dieser Geräte erfolgte neben dem klassischen Armaturenbrett immer stärker über eigene Fahrer-Informations-Displays in der Mittelkonsole. Die Displays und ihre Bedienelemente nahmen ebenfalls eine Entwicklung zu
höherer Auflösung, farbiger Darstellung oder Touchscreens. Die Weiterentwicklung der tragbaren Telefone zu Handys und Smartphones erfolgte dagegen unabhängig vom Automobilbau.

Smartphones im Fahrzeug
Die Evolution der Telefone ist geprägt von der Integration von Funktionalität ausser der Sprachtelefonie. Es wurden multimediale Funktionen eingebaut wie in MP3-Playern, Bürofunktionen wie in PDAs oder Fotografie wie in Digitalkameras. Parallel wurden die Bildschirme grösser, höher auflösend und schliesslich zunächst resistive, dann kapazitive Touchscreens. Das wichtigste Element war aber die Fähigkeit zur Datenübertragung.

In Verbindung mit immer preisgünstigerem Daten-Flatrat wurden aus Telefonen vollwertige, internetfähige Kleinstcomputer, deren Leistungsdaten die der PCs aus den Neunzigerjahren um ein Vielfaches übertreffen. Die Verbreitung war explosionsartig, heute kommt auf jeden Deutschen zwischen 18 und 60 Jahren ein Smartphone. Während das Mobiltelefon so zum unverzichtbaren Begleiter in allen Lebenslagen wurde, gab und gibt es für den Autofahrer ein zentrales Problem: Die Bedienung von Mobiltelefonen im Auto ohne Freisprecheinrichtung ist seit 2001 verboten. Skurrilerweise gibt es dafür eine sehr einfache Lösung: die Handy-Halterung. Während man das Handy am Steuer für egal welchen Zweck nicht in die Hand nehmen darf, darf man ein in einer Halterung befestigtes Handy per Tippen sehr wohl bedienen. Für diesen Einsatzzweck wurden folglich auch die ersten «auto-konformen »Apps entwickelt, die einerseits besonders grosse, gut lesbare Funktionselemente hatten oder per Sprachbefehl gesteuert werden konnten.

Die andere Hauptlösung für das Handyverbot ist die Kopplung des Handys mit dem Auto per Bluetooth-Funktechnik. Unterstützen das Fahrzeug und das Smartphone das gleiche Bluetooth-Profil, lässt sich die zugehörige Funktion auf dem Handy mit den Bedienelementen des Autos steuern. So kann beispielsweise der Mediaplayer oder die Telefonfunktion des Handys über die Lenkradtasten oder die Tasten des FID bedient werden. Diese Technik funktioniert aber nur für bestimmte Anwendungsklassen und nicht für allgemeine Apps. Voraussetzung sind die passenden standardisierten Bluetooth-Profile, die eine Schnittstelle für bestimmte Anwendungsklassen definieren. Dazu gehören die Kopplung von Kopfhörern, das Streamen von Audio oder Video-Daten der Umgang mit Nachrichten (SMS). Es gibt zwar auch ein generisches Bluetooth-Profil zum Austausch von Daten, ähnlich einer seriellen RS-232-Schnittstelle. Darüber könnte eine App beliebige Daten mit dem Fahrzeug austauschen – aber das Informationssystem des Autos «weiss» nicht, wie es mit den empfangenen Daten umgehen soll. Der App-Hersteller hat keine Möglichkeit, die notwendige Software «im Auto» zu installieren und insbesondere keine Möglichkeit, etwas auf dem FID anzeigen zu lassen. Die Kontrolle darüber liegt ausschliesslich beim Autohersteller beziehungsweise bei den Herstellern der Radio- oder Navigationsgeräte, zum Beispiel Pioneer.

Apps in das Auto bringen
Zugegeben, telefonieren, Musik hören und Sprachen lernen kann man seit Ewigkeiten – zumindest in digitaler Zeitrechnung gesprochen. Hierzu lassen sich das persönliche Smartphone und die Audioanlage des Fahrzeugs nutzen, im besten Fall mit einer einfachen Schnittstelle, wie USB oder Bluetooth. Spätestens seit die Bedienung von Mobiltelefonen im Auto ohne Freisprecheinrichtung verboten ist, wurden die ersten «Auto-konformen» Apps entwickelt, die einerseits besonders grosse, gut lesbare Funktionselemente hatten oder per Sprachbefehl gesteuert werden konnten. Zum anderen hielt die Bluetooth-Funktechnologie Einzug in die Autos, mit deren Hilfe Funktionen auf dem Handy mit den Bedienelementen des Autos gesteuert werden können.

Der Wettbewerb um die nahtlose und vollumfängliche Integration des Smartphones und der entsprechenden Apps in das Fahrzeug hat erst gerade  begonnen. Mit den Connectivity-Diensten und Services geht die elegante und
sinnvolle Bedienung und Steuerung der Apps über die Bedienelemente im  Fahrzeug genauso wie die optimale Nutzung des Fahrer-Informations-Displays (FID) einher.

Die Schnittstellen CarPlay, Android Auto und MirrorLink ermöglichen die optimale
Integration der Apps. CarPlay ist eine Technologie von Apple, mit der das iPhone Zugriff auf das Fahrer-Informations-Displays (FID) bekommen soll. Android Auto ist eine konkurrierende Entwicklung aus dem Hause Google. Hierzu hat Google Anfang 2014 die Open Automotive Alliance gegründet. Mirror-
Link ist aus einer Forschungskooperation zwischen Nokia, VW, Daimler und BMW hervorgegangen und unterstützt ebenfalls Android-Smartphones. Während CarPlay und Android Car eigens für das Auto entwickelte Apps zum Ziel haben, «spiegelt» MirrorLink die Funktionen und Oberfläche des per USB-Kabel angeschlossenen Smartphones auf das Autodisplay. Alle drei Technologien werden mittlerweile von allen grossen Autokonzernen mehr oder weniger stark unterstützt, teilweise sollen die Systeme parallel auf dem gleichen Fahrer-Informations-Displays (FID) angeboten werden. Selbst Premiummarken wie Ferrari, Bentley oder Jaguar sind dabei.

Die Features und Services sind entscheidend
In der DACH-Region werden rund 3.6 Millionen Neuzulassungen pro Jahr registriert, wobei es sich bei zwei Dritteln aller Neuzulassungen in Deutschland um Firmenwagen handelt. Ab dem Modelljahr 2016 wird ein zunehmender Anteil dieser Fahrzeuge mit Unterstützung mindestens eines der drei Systeme ausgeliefert werden. Gleichzeitig verfügt praktisch jeder Bürger zwischen 18 und 60 Jahren über ein Smartphone. Laut der Unternehmensberatung McKinsey wird sich der weltweite Markt für Connectivity-Komponenten und -Dienste bis zum Jahr 2020 von heute 30 Mrd. Euro auf dann 170 Mrd. Euro mehr als verfünffachen. Die Marktdynamik und die Wachstumsraten und die damit verbundenen Potenziale und Chancen, die sich Unternehmen und App-Anbietern damit bieten, sind zweifelsfrei gross. Die Kernfragen, die sich Unternehmen dabei stellen müssen, lauten: Welches Ziel verfolgen wir und mit welchen Diensten und Services können wir das Ziel erreichen. Kann ich Fahrern mit meinen Inhalten eine sinnvolle, kostenlose Service-Leistung anbieten? Kann ich eine solche Leistung mit einem kostenpflichtigen Angebot verknüpfen, das ich ausserhalb des Fahrzeugs online oder offline mache? Kann ich dem Fahrer unmittelbar im Fahrzeug ein kostenpflichtiges Produkt oder eine Dienstleistung einzeln oder mit einem Abonnement anbieten? Bei jedem Angebot müssen jedoch die oben genannten Einschränkungen hinsichtlich der Bedienung und Fahrersicherheit beachtet werden.

App-Anbieter müssen Einschränkungen beachten
Jedes Unternehmen hat grundsätzlich die Möglichkeit, entsprechende Apps anzubieten, so wie es bisher für Smartphones, Tablets und Smartwatches der Fall ist. Jedoch gibt es noch eine Reihe von Einschränkungen und Hürden. Alle drei System-Anbieter kontrollieren weiter, welche Apps mit ihrem System arbeiten dürfen. Die offizielle Begründung dafür ist die absolute Priorität für die Sicherheit. Der Fahrer soll durch die angezeigten Apps nicht abgelenkt werden,
und es muss auch die regionale Gesetzgebung in dieser Hinsicht beachtet werden. Grundsätzlich ist das kein anderer Vorgang als bei allen anderen Apps auch, die erst nach vorheriger Kontrolle durch Apple oder Google in den iTunes Store beziehungsweise den Google Play Store aufgenommen werden. Allerdings ist das vorhandene Angebot an Apps – noch – sehr viel geringer und die Anforderungen an das Aussehen und die Funktionalität wesentlich höher als bei herkömmlichen Apps. Zugelassen sind bisher in erster Linie Musik- und Nachrichtendienste sowie die hauseigenen Navigationsdienste. Apps, die für das FID geeignet sind, müssen mit möglichst wenigen Klicks und möglichst per Sprache gesteuert werden können. Sie dürfen bislang praktisch kein Bewegtbild anzeigen und keine langen Formulareingaben erfordern. Google hat dazu klare Richtlinien publiziert, die App-Entwickler einhalten müssen.

Die Nutzung des Internets und der Einsatz digitaler Dienste spielt beim Thema «Connected Cars» eine zentrale Rolle. Dabei ist das Thema, zumindest für deutsche Autobauer, kein neuer Trend. Mit Audi connect bietet Audi ein smartes Infotainment-Konzept, das unter anderem öffentlich verfügbare Daten aus Wikipedia in das Fahrzeug integriert.

Weitere Informationen:
www.neofonie.de