Meist scheitert es nicht am Wollen und Können, sondern am Dürfen.

Auch in Zeiten von Diversity, Inclusion und Talent-Management sind weibliche Führungskräfte in Top-Positionen trotz gleichem Bildungsstand stark unterrepräsentiert. Und sie erhalten oft ungünstigere Einschätzungen als männliche Kollegen. Die Forschungslage ist klar: Es gibt keine Geschlechterunterschiede bei führungsrelevanten Kompetenzen und objektiven Leistungen. Weibliche Führungskräfte wollen führen, können führen – aber viele dürfen nicht oder stehen sich selbst im Weg. Das fusst vor allem auf Stereotype. Die Führungsrolle und weibliche Stereotype passen noch immer nicht optimal zusammen. Aber das Gute ist, dass es Entwicklungen und Trainingseinheiten gibt, mit denen sich dieses Problem lösen lässt.

Gründe für die Unterrepräsentation weiblicher Führungskräfte gibt es potenziell auf drei Ebenen. Erstens: Die System- resp. Gesellschaftsebene, zum Beispiel Betreuungsangebote, Kinderbetreuungskosten. Diese wollen wir hier nicht näher beleuchten, aber festhalten, dass die Schweiz in der Einschätzung der OECD (2018) der «Best and worst places to be a working woman» deutlich unter dem Durchschnitt liegt. Zweitens: Auf der Unternehmensebene wird in der Schweiz viel gemacht, zum Beispiel bezüglich Networking
oder Mentoringprogrammen, die Frauen in Führungspositionen flankierend unterstützen. Nun kommen wir zu drittens: der Personenebene. Dort wird Führungsmotivation als potenzielle Hürde beschrieben und diskutiert. Dabei gehen wir dann auf das eigentliche Problem ein: Die immer noch vorhandene, mangelnde Passung zwischen Führungsrolle und
Geschlechterstereotypen. Und wir beschreiben kurz mögliche Trainingsansätze mit Zielen.

Führen wollen
Manchmal wird Frauen weniger Interesse an einer Führungskarriere unterstellt. Damit wird die sogenannte Führungsmotivation1 angesprochen. Diese ist die individuelle Neigung, Führungsverantwortung zu übernehmen respektive eine Führungsrolle anzustreben2. Diese Faktoren sind aber relevant, damit man selbst das Potenzial zur Übernahme einer Führungsaufgabe erkennen kann. Es gibt in der Tat einige sehr wenige internationale Studien, in denen Frauen – und Mädchen – ein geringeres Führungsmotiv aufweisen als Männer. Diese Geschlechterunterschiede sind aber nicht gross und praktisch nicht bedeutsam – und diese Unterschiede verschwinden dann auch mit steigendem Alter und mit wachsender Arbeits- und Führungserfahrung3. Aufgrund ungünstiger Beurteilung weiblicher Führung oder gemachter negativer Erfahrungen durch das Umfeld können im
Einzelfall jedoch Vermeidungstendenzen trotz hoher Führungsmotivation auftreten4. Das heisst, aus Vorsicht vor möglichen Misserfolgen oder negativen Konsequenzen agieren unter Umständen einzelne Frauen in Führungspositionen zögernder, was sich in Beurteilungen negativ niederschlagen kann.

Insgesamt sind mangelnde Führungsmotivation und allfällige Vermeidungstendenzen mit grosser Wahrscheinlichkeit auf der Personenebene keine Gründe dafür, dass Frauen in Führungspositionen unterrepräsentiert sind oder gar ungünstigere Feedbacks erhalten. Liegt es denn an der Führungskompetenz?

Führen können
Es gibt fast keine Geschlechterunterschiede in den Führungskompetenzen. Im Mittel können Frauen sogar mehr Leadership- Verhalten, das heisst, transformationales Führungsverhalten5 zeigen als Männer6. Transformationale Führung zeichnet sich im Kern durch zwei Bausteine aus: Erstens aus «Motivation & Kommunikation» – Motivierendes, kreatives und unabhängiges Denken fördern, Vorbild sein, glaubwürdig sein, Sinn vermitteln sowie zweitens durch Unterstützung, beispielsweise durch Coaching, Mentoring und Entwicklung. Transaktionale Führung fokussiert auf «Umsetzung & Fehlerminimierung»,
sprich, auf Zielsetzung, Feedback, Projektmanagement und Kontrolle. Es entspricht überwiegend dem klassischen Management. Transformationale Führung und ihr Pendant – transaktionale Führung – leisten vor allem einen erfolgreichen Beitrag in Phasen von Veränderungen respektive Innovation, die Unternehmen aktuell im Zusammenhang mit
Digitalisierung oder digitaler Transformation durchlaufen.

Die Forschungslage ist insgesamt sehr klar: Frauen stehen in Leadership – und Management – ihren männlichen Kollegen in nichts nach. Aber weshalb ist der Weg vieler weiblicher Führungskräfte bisweilen holprig?

Nicht führen dürfen
Zugespitzt spielen vor allem Geschlechterstereotype und damit verbundene Geschlechterrollen- Erwartungen im weiblichen Führungsalltag potenziell eine hinderliche
Rolle. Geschlechterstereotype sind gedankliche Kategorien und beschreiben, wie Frauen und Männer wahrgenommen werden und wie sie typischerweise sein sollten. Ordnen Sie zum Beispiel folgende Begriffe Frauen und / oder Männern zu: Dominanz, Ehrgeiz, Selbstvertrauen, Einfühlsamkeit, Hilfsbereitschaft, Mitgefühl. Vielleicht ist diese kurze Aufgabe zu plakativ oder Sie wissen schon, worauf es hinausläuft. Diese wenigen Begriffe – und viele mehr – lassen sich international schnell und stabil Frauen und / oder Männern zuordnen. Sie leiten unser Denken und unsere Erwartungen.

Das Problem ist, dass die Stereotype einer Führungskraft weitgehend mit dem Stereotyp von Männlichkeit überlappen – aber nicht mit weiblichen Geschlechterstereotypen. Die mit männlichen Attributen versehenen Führungsrollen und weibliche Geschlechterstereotype «beissen» sich. Um das auszugleichen, müssen weibliche Führungskräfte oft bessere Leistungen erbringen sowie dominant und freundlich sein7. Jedoch stösst diese Kombination gegebenenfalls auf Ablehnung, denn dominantes Verhalten entspricht nicht dem weiblichen Geschlechterstereotyp. Und das kann wiederum zum sogenannten Backlash-Effekt8 führen. Das heisst, eine weibliche Führungskraft wird im Einzelfall weniger sympathisch beurteilt und daher mit geringerer Wahrscheinlichkeit befördert oder schlimmstenfalls gar nie als Führungskraft gehandelt.

Wichtig ist zu betonen, dass diese gedanklichen Kategorien und Prozesse nicht bewusst ablaufen. Sie sind einfach da und Menschen können sich der Stereotype oft gar nicht erwehren. Die gute Nachricht ist, dass sich der Führungsstereotyp langsam vom männlichen zum androgynen – sowohl typisch männliche als auch typisch weibliche
Verhaltensweisen – wandelt9. Das bedeutet, dass die Passung von der erwarteten Führungsrolle und den weiblichen Geschlechterstereotypen mehr und mehr überlappen.

Handlungsempfehlungen und Trainings
Nebst grundsätzlichen Basis-Führungstrainings beseitigen primär zwei Trainingsmassnahmen die vorhandenen Hemmnisse. Erstens: Führungsmotivations- Trainings («Wollen»), welche die Führungsmotivation erläutern und durch Selbst- Assessment die eigene Führungsmotivation erkennen lassen und reflektieren. Denn wenn klar ist, welche förderlichen oder hinderlichen Motive vorhanden sind, kann besser eingeschätzt werden, woran zu arbeiten ist. Zudem ist es hilfreich, spezielle Vermeidungsmotive aufgrund gemachter, negativer Erfahrungen zu reflektieren und irrationale Bedenken weiblicher Führungskräfte abzubauen. Zweitens: Führungskräfte-Trainings, die zusätzlich durch Informations- und Trainingseinheiten Vorurteile und unbewusste Diskriminierungsprozesse in Unternehmen bei Frauen und Männern bezüglich Frauen und Führung abbauen («Dürfen»).

Sehr wichtig dabei ist, dass diese Trainings beiden Geschlechtern offenstehen, fair sind, wenig politisch korrekt schöngefärbt sind und in Unternehmen grundsätzlich Akzeptanz erfahren. Zu plumpe Vorgehensweisen oder offensichtliche und einseitige Gleichstellungsmassnahmen führen zu Reaktanz und zu zusätzlicher Benachteiligung von Frauen in Führungspositionen. Zudem ist die Betonung potenzieller, stereotyper Geschlechtsunterschiede hinderlich, weil gegebenenfalls unbewusst vorhandene Unterschiede erst explizit und damit zu einem Thema gemacht werden, was vorher nicht der Fall war.

Festzuhalten ist, dass das Ungleichgewicht von Männern und Frauen in Führungsrollen
über Sensibilisierung, Reflexion und Training von Führungskompetenzen für beide Geschlechter wichtig und förderlich ist. Der Diskurs ohne Fingerzeig, ohne Explizieren von möglichen Unterschieden und ohne das stete Fokussieren auf genderspezifische Nachteile
im Führungsalltag muss gefördert werden und trägt in erfolgreicher Praxis dazu bei, dass Geschlechterunterschiede im Zusammenhang mit Führung in Zukunft neu betrachtet werden können.

Anmerkungen
1) Felfe, J. & Gatzka, M. (2012). Führungsmotivation. In: W. Sarges (Hrsg.). Managementdiagnostik. Göttingen: Hogrefe.
2) Chan, K., & Drasgow, F. (2001). Toward a theory of individual differences and leadership: Understanding the motivation to lead. Journal of Applied Psychology, 86, 481–498.
3) Eagly, A. H., & Johnson, B. T. (1990). Gender and leadership style: A metaanalysis. Psychological Bulletin, 108, 233–256.
4) Furtner, M. R. (2012). Wie beeinflussen Motive Führungsverhalten? Psychologie des Alltagshandelns, 5, 52–65.
5) Jonas, K., Maier, E., Boss, P., Heilmann, T., & Seiler, S. (2010). Transaktionales und transformationales Führen in Privatwirtschaft und Militär. Führung neu denken, 67-92.
6) Eagly, A. H., Johannesen-Schmidt, M. C., & Van Engen, M. L. (2003). Transformational, transactional, and laissezfaire leadership styles: A metaanalysis comparing women and men. Psychological Bulletin, 129, 569–591.
7) Eagly, A. H., & Karau, S. J. (2002). Role congruity theory of prejudice toward female leaders. Psychological Review, 109, 573–598.
8) Rudman, L. A., & Glick, P. (2001). Prescriptive gender stereotypes and backlash toward agentic women. Journal of Social Issues, 57, 743–762.
9) Sczesny, S., Bosak, J., Neff, D., & Schyns, B. (2004). Gender stereotypes and the attribution of leadership traits: A crosscultural comparison. Sex roles, 51(11-12), 631-645.

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