In der Hotellerie sind weibliche Angestellte mit 55 Prozent gegenüber den männlichen klar in der Mehrheit. Im obersten Kader jedoch sind Frauen krass untervertreten: Ein nicht ausgeschöpftes Potenzial, das aktiviert werden sollte, findet man nun in grossen Hotelkonzernen.

Was denken Sie, wenn Sie Zitate wie das aus der Handelszeitung lesen?
Offenbar können Männer ihre Kreativität frei entfalten, weil Frauen ihnen den Rücken freihalten, und Familie und Haus-halt sind immer noch Frauensache. Da scheint sich – zumindest in manchen Köpfen – grundsätzlich nicht viel verändert zu -haben.

Wenn derzeit von Karrierechancen der Frauen gesprochen wird, misst man den Fortschritt oft daran, wie viele Frauen in Verwaltungsräten vertreten sind. Für Freischaffende ist dieses Kriterium weniger relevant. Als Simultandolmetscherin und Überset-zerin arbeite ich – wie die meisten meiner Kolleginnen und Kollegen – freiberuflich. Entgegen der landläufigen Meinung ist dieser Beruf jedoch kein reiner Frauenberuf.

Was führt in Ihrem Beruf zum Erfolg?
Es gibt gewisse Parallelen zur Werbebranche: Auch Dolmetscherinnen und Dolmetscher müssen stets mit schlecht planbaren Einsatzzeiten jonglieren. Langfristig geplante Termine können abgesagt werden, neue Anfragen kommen kurzfristig hinzu. Jeder Termin will sorgfältig organisiert und inhaltlich vorbereitet werden. Jedes Jahr, jeder Monat, jede Woche ist anders. Das erfordert viel Flexibilität, macht den Beruf aber extrem spannend.

Auch wir sind stets grossem Druck ausgesetzt. Um Fachwissen unter Fachleuten zu vermitteln, müssen wir die Zusammenhänge verstehen und die Fachbegriffe korrekt anwenden können. Aber Fachleute reden ja nicht nur Fachchinesisch! Sie untermauern ihre Argumente mit Beispielen, lockern ihre Vorträge mit Anekdoten auf und verwenden Redewendungen, die es in der anderen Sprache nicht gibt. Da muss man in Bruchteilen von Sekunden entscheiden: Wie bringe ich die «eierlegende Wollmilchsau» ins Französische?

Hierbei sind natürlich auch kulturell unterschiedliche Denkmuster und Gepflogenheiten zu berücksichtigen, um die Verständigung sicherzustellen. Wir geben den Zuhörenden die Möglichkeit, das Gesagte in allen Nuancen so zu erfassen, als würden sie den Originalbeitrag hören. Und das mit nur minimaler Verzögerung. Dazu bedarf es einer schnellen Reaktionsfähigkeit.

Wo liegen die Herausforderungen Ihres Berufs?
Auch in unserer Branche entwickelt sich die Technik weiter. Aber nicht alles, was kostengünstig angeboten wird, ist auch gut oder sinnvoll. Wenn zum Beispiel behauptet wird, Dolmetscher könnten «von zu Hause aus» dolmetschen, ist grösste Vorsicht geboten! Zur Kommunikation gehören Worte, Gesten und Mimik. Letztere vermitteln zum Beispiel Ironie und Witz, ohne die kaum eine gute Rede auskommt. Dolmetscher müssen sie erfassen können, um zeitgleich denselben Effekt zu erzielen. Sie müssen die Stimmung im Raum «begreifen» können, genauso wie die Teilnehmenden. Das geht nur, wenn sie mit dabei sind. Die persönliche Präsenz ist unersetzlich. Man bedenke nur: trotz zeit- und kostensparender Videokonferenzen gibt es immer noch unzählige Anlässe, bei denen man sich persönlich trifft. Warum eigentlich? Die Antwort ist einfach: Selbst wenn die Übertragung störungsfrei funktioniert und Datenschutz gewährleistet werden kann, was beides durchaus nicht immer der Fall ist, fehlt etwas ganz Wesentliches: der Faktor Mensch, auf dem alle guten Beziehungen beruhen.

Ist Dolmetschen ein Beruf für Einzelkämpfer?
Ja und nein. Es ist wie bei den Piloten im Cockpit: Nur wenn die Gesamtleistung stimmt, erreichen die Zuhörenden ihr Ziel, d.h. sie profitieren von dem Anlass, unabhängig von ihrer Sprache. Das heisst für uns: wir müssen uns 200 %-ig konzentrieren auf das, was gesagt wird, und das, was wir selbst sagen. Das geht nicht sehr lange, sodass wir uns regelmässig abwechseln. Hier zählt die Teamarbeit! Aber das, was über die Kopfhörer bei den Zuhörenden ankommt, ist eine Einzelleistung.

Wie finden Sie Ihr Team und Ihre Kunden?
Vor allem durch Mund-zu-Mund-Propaganda und Netzwerkarbeit. Gute wie schlechte Leistungen sprechen sich schnell herum! Es ist daher wichtig, sich ein solides Netzwerk aufzubauen,

  • um Kolleginnen und Kollegen kennenzulernen und die Entwicklungen auf dem Markt zu verfolgen oder gar mitzugestalten, und
  • um die Beziehung zu Kunden zu pflegen, potenzielle Kunden zu treffen und sich Fachwissen anzueignen.

Aber es gibt noch einen anderen Grund: Es macht Spass, Menschen kennenzulernen und zu erfahren, was sie beschäftigt und wie sie «ticken»!

Was war das schönste Kompliment, das man Ihnen in Ihrer beruflichen Laufbahn gemacht hat?
Nach einer Konferenz mit darauffolgender Debatte kam ein Zuhörer zu mir und sagte: «Wenn Sie da sind, gibt es keinen Rösti-graben mehr!» Dass es gelingt, Sprachbarrieren und Mentalitätsunterschiede zu überwinden, ist sehr positiv. Dieses Kompliment zeigt, dass mein Anspruch an mich und den Beruf gerechtfertigt ist.

Warum ist Dolmetschen also immer noch so ein Frauen-Business? Können’s die Männer nicht?
Wie einleitend erwähnt gibt es in diesem Beruf durchaus kompetente Männer. Und den Stress, den Druck und die nicht planbaren Einsatzzeiten bewältigen einige Frauen zusammen mit Partnern, die verstehen, dass man eine Familie gemeinsam gründet und gemeinsam am Laufen hält. Von ihnen könnte die Werbebranche offenbar noch etwas lernen.

Weitere Informationen:
www.nonhebel.net