Prof. Martina Dalla Vecchia ist Dozentin an der Hochschule für Wirtschaft der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW. Sie bietet Lehrgänge und Seminare zu den Themen E-Commerce, Online-Marketing und Social Media an.

Die Verkäufe über das Internet boomen! Viele Firmen haben bereits die Pionierphase hinter sich gelassen und professionalisieren jetzt ihre Online-Prozesse. Wo früher noch Insellösungen genutzt wurden, um den Markt zu sondieren, sind jetzt voll integrierte Lösungen im Einsatz, die Logistik, CRM und ERP effizient miteinander verbinden.

Die Verknüpfungen beruhen im Wesentlichen auf zwei Entwicklungen: Erstens geht es die Akzeptanz der Kunden. Heute tätigt ein Kunde kaum einen Kauf, ohne vorher das Internet konsultiert zu haben. Zweitens geht es um professionelle Lösungen auf der Anbieterseite. Ob einfacher oder komplexer Verkauf, heute stehen für jeden Fall ausgereifte Zahlungsmöglichkeiten, Webagenturen, Berater, Web-Shop-Systeme und Logistiklösungen zur Verfügung. Somit ist ein Einstieg in den Internet-Verkauf heute für Unternehmen mit deutlich weniger Risiko verbunden.

Da zu erwarten ist, dass die Anzahl der Breitbandanschlüsse in der Schweiz und vor allem auch europaweit weiter zunimmt, wird auch die Akzeptanz und Nutzung von E-Commerce-Plattformen wachsen. Dies bringt zusätzliche Chancen für Unternehmen, stellt sie aber auch vor neue Herausforderungen, denn der wachsende E-Commerce-Markt verlangt nach durchdachten Business- und Marketingstrategien, um sich in der Flut der Anbieter abzugrenzen und zu positionieren. Zudem tauchen am Horizont neue Technologien auf, die einen Einfluss auf den Erfolg von E-Commerce-Angeboten haben werden. Zum einen sorgen Glasfaserverbindungen für schnellere Verbindungen, zum anderen wird die lange angekündigte Verschmelzung verschiedener Medienkanäle auf einem einzigen Gerät Realität. So erlauben die meisten LCD-TV-Geräte eine Verbindung zum Internet. Surfen und gleichzeitiges Fernsehen ist heute Realität (Second Screen), was von E-Commerce-Anbietern neue Formen des crossmedialen Marketings erfordert. Zudem schaffen Smartphones mit Internetverbindungen neues Einkaufsverhalten und neue Einkaufsformen. E-Commerce wird mobil und die Nutzer kaufen «unterwegs» ein.

Multi-Channel-Retailing

In Zukunft werden vor allem jene Anbieter erfolgreich sein, die sich durch einen cleveren Multi-Channel-Vertrieb auszeichnen. Gefragt sind kanalübergreifende Kommunikation und intelligente Kombination der Vertriebswege. Dies kann dann dazu führen, dass ein Verlag immer noch die Printversion eines Buches anbietet, aber gleichzeitig das Buch als eBook, als Website und als mobile App anbietet.

Einfach und bildlich ein starker Auftritt

Im zunehmend gesättigten Umfeld von Shop-Anbietern haben jene Betreiber einen Vorteil, die ihren Kunden eine einfache Nutzung (Usability) und damit ein angenehmeres Einkaufserlebnis bieten. Frei nach dem Motto vom Usability-Papst Jacob Nielsen: «Don’t make me think.»

Starke Bilderwelten und attraktive Produktpräsentationen sind heute ein «MUST». Mit immer grösseren Bandbreiten und Rechnerleistungen werden neue Präsentationsformen die Online-Shops beleben. Dazu zählen Konfiguratoren, die mehr Facetten des Produkts zur Geltung bringen, wie zum Beispiel Videos in Verbindung mit 3-D-Techniken.

Neue Dimension im Online-Handel

Mobile Commerce wird längerfristig eine starke Auswirkung auf den E-Commerce-Markt haben. Einerseits wird erwartet, dass sich das Marktvolumen erhöht. Andererseits sind neue Formen des Marketings, der Usability und der Produktangebote gefragt, um Mobile Commerce wirklich zum Durchbruch zu verhelfen. Denn User kaufen nur, wenn Mobile-Commerce-Plattformen auf die Eigenarten mobiler Geräte eingehen und die Szenarien eines mobilen Users berücksichtigen. Das betrifft zum Beispiel kleinere Bildschirme oder ein anderes Zugriffsverhalten, da man unterwegs ist.

Mobile-Commerce-Anwendungen sind für Firmen besonders interessant, da sich hier neue Möglichkeiten des personifizierten Marketings eröffnen. So lassen sich durch Geotagging-Funktionen dem Smartphone-Besitzer Angebote zuspielen, die sich ganz in der Nähe seines Standorts befinden (Local Based Services). Da sich ein Handy einem Besitzer eindeutig zuordnen lässt, können Shop-Betreiber zudem sehr personenbezogene Artikellisten zusammenstellen und dem Handybesitzer mailen.

Trend-Thema ist Social Commerce

Unter Social Commerce versteht man E-Commerce unter Einbezug von Social-Media-Anwendungen. Konkret heisst dies, dass die Nutzer, also die Kunden, interaktiv in den Verkaufsprozess involviert werden. Dies kann zum Beispiel eine Kaufempfehlung sein, die der Käufer nach Abschluss eines Einkaufs auf seinem sozialen Profil postet. Oder ein Shopbesucher sieht ein Produkt und empfiehlt es direkt einer Person aus seinem Netzwerk.

Wie stark sich Social-Commerce-Plattformen ausbreiten werden, ist noch ungewiss. Die zunehmende Bedeutung von sozialen Netzwerken sehen viele Marketingfachleute als grosse Chance, zusätzliche Vertriebskanäle zu erschliessen und schnell eine grosse Zielgruppe anzusprechen. Ob dies gelingt, hängt ab von den geeigneten Strategien und den Nutzern selbst, die eine «Kommerzialisierung» ihrer Treffpunkte vielleicht mit Abwanderung bestrafen.

E-Commerce Know-how

Seit dem Jahr 2000 gibt es an der FHNW einen Lehrgang zu E-Commerce und Online-Marketing. Seither hat sich eine dramatische Entwicklung vollzogen: Von den ersten einfachen, selbst entwickelten Shop-Lösungen im Internet sind wir heute auf einem hochprofessionellen Level angelangt.

Fast alle Wünsche von Marketing-  und Verkaufsverantwortlichen lassen sich heute erfüllen: Die volle Integration von Logistik-Anbietern, das Real-Time-Überprüfen der Bonität eines Kunden, die direkte Schnittstelle zum CRM-System eines Unternehmens und natürlich können wir unseren Online-Shop heute auch auf mobilen Endgeräten mit dem Daumen bedienen. Hinter all diesen tollen Lösungen stehen anspruchsvolle Konzepte und es braucht eine Orchestrierung, die von Anfang an durchgeplant ist.

Fazit

Der Verkauf übers Internet ist heute technisch relativ leicht zu realisieren. Damit dies aber erfolgreich und nachhaltig ist, braucht es ein strukturiertes Vorgehen. Das heisst, dass die Entscheidungsträger und Verantwortlichen über das nötige fachliche Rüstzeug verfügen müssen, um die richtigen Entscheidungen zu treffen. Es braucht ein Team von Expertinnen und Experten, die ihr Handwerk verstehen und die Online- und Offline-Prozesse optimal koordinieren. Das Know-how hierfür sollte systematisch aufgebaut werden. Der Online-Shop ist Ihre neue Niederlassung!

Checkliste: Fragen zur E-Commerce-Strategie

–Welches Geschäftsführungsmitglied ist verantwortlich für das E-Commerce-Projekt?

–Welche Vision und welche langfristigen Ziele bestehen für das E-Commerce-Projekt?

–Welchen Stellenwert nimmt E-Commerce im Gesamtvertriebsmix ein?

–Wie kann die Zielerreichung gemessen werden (Kennzahlen, Webanalyse)?

–Welche E-Kompetenzen und E-Erfahrungen sind im Unternehmen vorhanden?

–Welche vorhandenen Geschäfts- und Unternehmensprozesse sind involviert?

–Welche Kundensegmente werden adressiert?

–Welches Portfolio an Waren und Dienstleistungen wird angeboten?

–Welche Preismodelle gelten für den Online-Vertrieb?

–Welche Umsatzvolumina sollen erreicht werden?

–Welchen Markt bzw. welche Märkte will man adressieren?

–Welche Sprachvarianten müssen abgedeckt werden?

–Welche Logistikprozesse müssen angepasst oder aufgebaut werden?

–Welche Zahlungsmöglichkeiten sollen angeboten werden?

–Welche Zahlungsausfälle/Risiken müssen einkalkuliert werden?

Quelle für Text und Infobox: E-Commerce. Erfolg im Online-Vertriebskanal. Von Alain Veuve und Jürg Simon. ISBN 978-3-905413-18-2

www.fhnw.ch/iwi/cas-e-commerce