Als Andreas Staubli die Funktion als CEO beim grössten hiesigen Beratungsunternehmen PwC Schweiz im Juli 2018 übernahm, kam dies auch einem Generationenwechsel gleich. Staubli kam 1994 als Steuerberater zu PwC Schweiz und wurde im Jahr 2000 Partner. Im Jahr 2009 wurde er zum Leiter der Steuer- und Rechtsberatung bei PwC Schweiz und zum Mitglied der Geschäftsleitung ernannt. Wie man zu den besten Mitarbeitenden kommt,
warum man noch mehr zuhören sollte und warum Nachhaltigkeit kein Verlust von Arbeitsplätzen bedeutet.

von Peter Levetzow

PRESTIGE BUSINESS: Herr Staubli, in Ihren Leitlinien versprechen Sie «Wir schaffen Werte». Können Sie das präzisieren und uns ein bisschen näherbringen?
Andreas Staubli: Werte schaffen – dieser Gedanke, dieses Ziel ist schon lange tief verankert bei PwC. Es ist zentral darüber nachzudenken, was wir mit welchen Dienstleistungen bezwecken wollen. Unsere Kunden verlangen von uns zu Recht, dass wir für sie komplexe Probleme lösen und damit Mehrwerte schaffen – das ist die DNA unserer Firma weltweit. Wenn neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei uns anfangen, sprechen wir mit ihnen vor allem hierüber. Es ist uns wichtig, unsere Mitarbeitenden in diesen Werte- und Haltungsfragen «on the ground» zu wissen. Denn nur so gewinnen sie das Vertrauen unserer Kunden und von anderen wichtigen Stakeholdern.

Für einen Wirtschaftsprüfer ist die Frage nach den Werten recht einfach zu beantworten, die Zahl ist entweder schwarz oder rot.
Ja und nein. Zahlen sind eine sehr wichtige Grundlage. Und Zahlen geben eine Aussage über die Qualität und Governance eines Unternehmens, das ist richtig. PwC steht auch für Vertrauenslösungen, «trust solutions». Und da stehen dann nicht nur die reinen Zahlen im Vordergrund. Die Bezeichnung «trust solutions» hatte interessanterweise in der Wirtschaftsprüfung seinen Ursprung. Es hat aber natürlich ebenso in unserer klassischen
Beratung grosse Bedeutung. Das Thema Vertrauen denken wir grösser als rein ökonomisch. Wir sehen es beispielsweise auch als grosse Herausforderung für Unternehmen an, den sich zuletzt öffnenden «Vertrauens-Gap» zwischen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zu minimieren oder gar zu schliessen.

Ist es nicht ein Riesenvorteil, dass wenn man die Zahlen kennt, dann auch beraten kann?
Die Unabhängigkeitsvorschriften verlangen, dass diese Bereiche getrennt sein müssen. Deshalb entwickeln sich aus einem Wirtschaftsprüfungsmandat keine direkten Beratungsmandate, welche die Unabhängigkeit gefährden würden.

Was sind denn die Kernbereiche von PwC?
In der Schweiz betreffen unsere Industrieschwerpunkte das komplette Gesundheitswesen, besonders Pharma und Life Sciences. Der andere Schwerpunkt ist Financial Services, da haben wir in der Schweiz im Wealth Management und im Versicherungsbereich eine Führungsrolle. Klarer Marktführer sind wir im Bereich Wirtschaftsprüfung, dies macht 40Prozent unserer Tätigkeit aus. Das andere Standbein ist die Steuer- und Personalberatung, was rund 30Prozent ausmacht. Und dann gibt es noch den ganzen Bereich der Transaktions- und Unternehmensberatung, welcher der am stärksten wachsende Bereich ist.

Wo liegen die Schwerpunkte in der wachsenden Unternehmensberatung?
In der Wirtschaftsberatung unterstützen wir unsere Kunden in allen Transformationsfragen. Stichworte dazu sind Customer Transformation, Cybersecurity, Finanztransformation, Workforce of the Future, ESG und Cloud-Transformation. Ich nenne ein Beispiel:
Cloud-Transformationen sind eine grosse Herausforderung. Das gilt nicht nur für die grossen, sondern auch für kleine und mittelständige Unternehmen.
Gerade kleineren Unternehmen fehlt oft die Kompetenz, um die nötigen Transformationen selbstständig umzusetzen. Die nötigen Technologielösungen sind auf eine Art komplex, dass hier starke Abhängigkeiten entstehen, die immer grösser, immer anspruchsvoller und immer teurer werden. Als Berater helfen wir, gewinnbringende und effiziente Lösungen umzusetzen und so nachhaltig Wert für Unternehmen zu schaffen.

Das Stichwort Abhängigkeit scheint Ihnen wichtig?
Ja genau, die Abhängigkeit steigt. Ein neues Finanzsystem oder ein neues CRM-System sind nicht ohne Weiteres einführbar. Dazu kommt, dass das Senior Management die Frage nach den Kosten stellt. Klar, der «return on investment» ist abbildbar, allerdings sind dann oft die operativen Einheiten für die Umsetzung verantwortlich – und darin liegt die grosse Herausforderung. Oft wird Mehrwert versprochen, selten führt eine Systemänderung
aber direkt zu Wachstum oder Ersparnis. Da kommen wir von PwC ins Spiel: Wir sehen hier grosses Beratungspotenzial, besonders in der organisatorischen Vorbereitung. Es ist nicht mehr nur der CIO verantwortlich, sondern die operativen Einheiten werden von Beginn
weg strukturiert und mit klaren Prozessen eingebunden.

Kommen wir zum Bereich Human Resources. Wie kommen Sie zu den besten Mitarbeitern?
Wir bilden die Mitarbeitenden «on the job» aus und begleiten ihre Entwicklung mit interessanten Weiterbildungen. Wir investieren über 50Millionen Franken im Jahr in die Aus- und Weiterbildung. Vorher stellt sich aber natürlich die Frage: Sind wir ein attraktiver Arbeitgeber? Ich darf sagen: Die Antwort ist Ja. Als Beratungsunternehmen mit einem guten Ruf liefern wir einen attraktiven Jobinhalt, wir haben eine einzigartig spannende Kundenstruktur, unsere Beratungskunden zählen zu den führenden Unternehmen in ihren Branchen. Aber die besten Talente wollen heute mehr. Ich stelle fest, dass sich schon einiges bezüglich ihrer Erwartungen und Ansprüche verändert hat. Die jungen Talente wollen wissen: Was sind die Werte, wie wird «Diversity & Inclusion» bei PwC gelebt?
Wir haben die Antworten darauf, wie ich zu Beginn unseres Gesprächs erläutern durfte.

Was empfehlen Sie den jungen Einsteigern? Wie kommt man vorwärts?
Wir sagen immer: Du bist im «Drivers Seat». Wir stellen die Möglichkeiten zur Verfügung, damit die jungen Leute vorwärtskommen. Die Eigeninitiative ist der wichtigste Rat. Wir sind offen, aber die Mitarbeitenden selbst müssen überlegen, wo die Reise hingeht, welche Alternativen es innerhalb von PwC gibt, und diese dann einfordern und die Chancen nutzen. Natürlich unterstützen wir die jungen Menschen mit Rat und Tat dabei.

Eine von Ihnen veröffentliche Studie beschäftigt sich mit der Kundenzentrierung. Warum ist das so bedeutungsvoll?
Das ist nichts Neues, höre ich manchmal. Aber Fakt ist leider, dass viele Unternehmen ihre Kundinnen und Kunden noch zu wenig gut verstehen. Es bleibt eine stetige Herausforderung, Kundenbedürfnisse zu erkennen, genügend Zeit darauf zu verwenden,
zu hören, was Kunden sagen, zu erforschen, was Kunden tatsächlich wollen. Nun kommt der zentrale Punkt: Berater, die sagen, ja, ich kenne das Problem, ja, ich weiss, wie das geht, haben bei uns keinen Platz. Gute Beraterinnen und Berater müssen zuerst wirklich zuhören wollen, um zu verstehen, was das wirkliche Bedürfnis ist.

Muss man den Kunden nicht auch zu seinem Glück zwingen?
Ja, manchmal ist das schon so. Wir nennen das «creating the demand», denn der Kunde hat oft eine schiefe Vorstellung von dem, was sein Problem ist. Um das zu merken, müssen wir eben zuhören und nachfragen können. Ich nehme mal ein Beispiel aus dem Technologiebereich. Ein Kunde kommt und sagt: Ich brauche Unterstützung bei der Implementierung dieser oder jener Technologie oder Softwarelösung. Statt sofort eine Lösung anzubieten, müssen wir zuerst Zeit ins Fragenstellen investieren: Ist diese
Konstellation die richtige? Wurden die notwendigen Vorarbeiten gemacht? Manchmal müssen wir Kunden vor Schaden bewahren oder eben vielleicht, wie Sie sagen, zu ihrem Glück zwingen.

Unterscheiden Sie B2B und B2C?
Es gibt riesige Unterschiede zwischen diesen beiden Ansprachen, aber faktisch ist es trotzdem dasselbe. Ob ein Kunde geraume Zeit in der Warteschleife eines Callcenters hängt oder ob ich Kunde eines KMU-Betriebes bin, der trotz Versprechen nicht zurückruft: Es ist zweimal gleich schlecht. Beim Grossen sagen Sie, das ist ja wieder typisch, beim Kleinen sind Sie einfach enttäuscht. Entscheidend ist, dass man sich mit dem Kunden im Detail auseinandersetzt. Bei uns ist die sogenannte «Customer Experience» von enormem Gewicht. Der gesamte Bewegungszyklus eines Kunden ist wesentlich. Diese «Journey» eines Kunden und die Erfahrung in allen Stadien, das ist das Entscheidende – das zu verstehen und zu begleiten, setzen wir ins Zentrum unserer Arbeit.

Beratung ist erstmal Theorie. Wie steht es mit der Umsetzung?
Das Entscheidende und Schwierigste am Ende ist wirklich das Changemanagement. Da hat – wichtiger als Technik und Prozesse – Leadership eine führende Rolle inne. Die Verantwortlichen, die sich auf den verschiedensten Stufen aktiv im Projekt engagieren,
müssen garantieren, dass es nicht mit dem Projektabschluss vorbei ist, sondern die Kooperation bei Abschluss weitergelebt wird. Wir nennen das «Role Modelling» in den grossen Transformationsprojekten. Kommunikation spielt da eine entscheidende Rolle.

Machen Sie es denn in Ihrer Firma selbst besser?
Auch bei unseren internen Projekten ist dies ein stetiger Lernprozess. Entscheidend ist, dass das operative Team von Beginn an eingebunden ist. Transformation muss «business-led» sein. Weiter muss sich das Management in der Kommunikation und Umsetzung aktiv einbringen und als Vorbild vorangehen.

CRM-Systeme sind für den Vertrieb unverzichtbar. Gibt es bei der Implementierung eines CRM-Systems ein paar goldene Tipps?
Wir sehen uns auch als Systemberater. Aber wieder fängt die Beratung mit Fragenstellen an: Was ist das Kundenbedürfnis, was will die Firma mit einem CRM-System erreichen? Auf der Basis dieses Bedürfnisses schauen wir: Was ist die richtige Technologie? Ist es Abacus, ist es Microsoft Dynamics, ist es Sales Force? Kann ich auch Cloudlösungen nutzen? Was will ich in dem ganzen Vertriebsprozess eigentlich erreichen? Braucht es ein grösseres Technologiesystem oder reicht auch etwas Kleineres? Das heisst, wir unterstützen nicht nur einfach bei der Implementierung, sondern wir beraten rundum, auch in der Strategie, im
Marketing bis zum Vertrieb.

Kommen wir zum Thema Nachhaltigkeit. Geben Sie den Unternehmen auch Tipps, wie sie nachhaltiger werden können?
Ja, das ist so. Der Klimawandel ist eines der drängendsten Probleme, welches die Menschen lösen müssen. Die Geschäftswelt spielt dabei eine Schlüsselrolle. Bei diesem systemischen Wandel unterstützen wir die Unternehmen in den Bereichen Umwelt, Soziales und verantwortungsvolle Unternehmensführung. Beim Thema Umwelt geht es im Kern um Netto-Null-Verpflichtungen, also darum, dass Unternehmen hinsichtlich ihres CO2-Ausstosses neutral werden. Um auf diesen Pfad zu kommen, brauchen die Firmen in vielerlei Aspekten Beratung. Dabei geht es nicht nur um die Reduktion des eigenen Ausstosses. Wir stellen fest, dass beispielsweise Unklarheit über Messkriterien herrscht oder die immer wichtigere nichtfinanzielle Berichterstattung zu Fragen
führt – Stichwort «verbindliche Standards». Dann geht es beispielsweise auch um den Kapitalmarkt, zum Beispiel um Aufnahme von Geldern in Obligationen oder auch Bankkrediten, die Nachhaltigkeit verlangen. Sicher ist, dass CO2-Reduktionen,
Kinderarbeit oder Menschenrechte für die Konsumentinnen und Konsumenten zurecht eine immer grössere Rolle spielen.

Viele grosse Unternehmen sind in einem Zwiespalt hinsichtlich der Nachhaltigkeitsvorgaben. Heisst Nachhaltigkeit auch Verlust von Arbeitsplätzen?
Nein, eben nicht! Ich bin überzeugt, dass die Lösung unserer Nachhaltigkeitsherausforderungen Innovation ist – das ist eine grosse Chance insbesondere für die innovative Schweiz, für unseren Forschungsstandort, die Universitäten, die Unternehmen. Doch Bekenntnisse allein zählen nicht. Viele Unternehmen haben eine Netto-Null-Verpflichtung abgeben, was einfach ist, aber sie haben noch keinen klaren Plan, wie sie diese erreichen können. Um den Kreislauf zu beschreiben, fange ich mal bei uns, bei PwC an. Wir sind entschlossen, weltweilt auf wissenschaftlicher Basis bis 2030 Netto-Null-Treibhausgas-Emissionen zu erreichen. Doch auch wir können nur Netto-Null sein, wenn es auch alle unsere Lieferanten sind. Wenn ein Teil dies nicht ist, müssen wir das kompensieren. Wenn wir jetzt zum Beispiel in ein neues Gebäude einziehen, sagen wir der Immobiliengesellschaft, sie muss NettoNull sein. Auch der Lift- oder Fensterbauer muss es dann sein.

Und so geht das durch die ganze «value chain». So realisieren die grossen wie die mittelständischen Unternehmen: Es ist ein Risiko, wenn ich nicht anfange, nachhaltig zu produzieren. Oder eben umgekehrt realisieren sie: Wenn ich es mache, habe ich auch
eine riesige Chance, am Markt profitabler zu werden. Und nun bin ich bei meinem Punkt: Es gehen keine Arbeitsplätze verloren, sondern es besteht die Chance, dass neue Arbeitsplätze geschaffen werden.

Zu guter Letzt Ihre Botschaft an die Schweizer Unternehmer: Was kann man in der heutigen Zeit im Sinne der Reputation, seiner Marktbearbeitung und Aussenwirkung erfolgreich weiterentwickeln?
Es ist ganz entscheidend für die Unternehmen, laufend ihre Reputation zu hinterfragen. Da kann man ansetzen und das Vertrauen der Konsumenten und anderen Stakeholder mit langfristigen und nachhaltigen Strategien halten oder gewinnen. Bei allen Tätigkeiten, von der Digitalisierung bis zur Nachhaltigkeit, gilt: Um die grossen Transformationsthemen
voranzutreiben, müssen– und hier wiederhole ich gerne meine Kernbotschaft – das Kundenverständnis und der Kundenmehrwert im Zentrum sein.

Interview-Partner: Andreas Staubli

Andreas Staubli ist 52Jahre alt. 1993 schloss er ein Studium der Betriebswirtschaftslehre,
Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften (HSG) an der Universität St. Gallen ab
(Vertiefung Finanz- und Rechnungswesen). Anschliessend begann er seine Karriere
als Steuerberater bei PricewaterhouseCoopers in Zürich. Seit 1998 ist er diplomierter Schweizer Steuerexperte. 1999/2000 arbeitete er bei PwC USA in New York. Andreas Staubli verfügt über mehr als 25Jahre Erfahrung in der Strukturierung von Unternehmen im In- und Ausland, der Besteuerung von Finanzdienstleistungen, Fusionen und Übernahmen sowie der ‘Post Deal Integration’ und ‘IPO’s’. Er berät Schweizer und internationale
Unternehmen und ist ‘Global Relationship Partner’ mehrerer Kunden. Andreas leitete die Steuerund Rechtsabteilung von PwC Schweiz und war acht Jahre lang Mitglied der Geschäftsleitung von PwC Schweiz. Seit dem 1.Juli 2018 ist Andreas CEO von PwC Schweiz.