Es bracht Macher, die auch mal «out of the box» denken können.

Die Verkaufs- und Vertriebsleiter von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) müssen pragmatische Macher und Allrounder sein, denn sie können – anders als ihre Konzernkollegen – viele Aufgaben nicht an Spezialisten delegieren. Zudem wird die Qualität ihrer Arbeit stark am kurzfristigen Ertrag gemessen.

Endlich ist es so weit: Der neue Vertriebs-und Verkaufsleiter tritt seine neue Stelle in einem KMU an. Vorbei ist die monatelange Suche nach einem geeigneten Kandidaten, die das KMU viel Zeit und Geld kostete. Alle Beteiligten sind glücklich: der Firmeninhaber, weil er einen Top-Mann an Land zog – einen echten Profi, der zuvor jahrelang als Vertriebsleiter
für Konzerne arbeitete, und der neue Vertriebs-und Verkaufsleiter, weil er endlich eine Stelle gefunden hat, die ihm mehr Gestaltungsspielräume verspricht.

Nicht selten Flops
Ein Monat später: Den Firmeninhaber plagen erste Zweifel, ob er den richtigen Mann eingestellt hat, denn der Neue verschanzt sich tagelang im Büro, statt sich ins Auto zu setzen und Kunden zu besuchen. Endlos brütet er über Konzepten – zum Beispiel Marketingstrategien, um neue Kundengruppen zu erschliessen. Und dauernd wird er beim Firmeninhaber mit Ideen vorstellig, die viel Zeit und Geld kosten, aber keinen Umsatz bringen – zum Beispiel ein Marktforschungsinstitut damit zu beauftragen, eine Marktanalyse durchzuführen.

Auch den neuen Vertriebsleiter haben erste Zweifel gepackt, ob seine Jobwahl richtig war. Denn immer wieder schmettert der Chef seine Vorschläge mit Aussagen wie «Dafür haben wir kein Geld» ab. Oder: «Darüber können wir nachdenken, wenn unsere Erträge wieder stimmen.» Und um jeden Kleinkram muss er sich selbst kümmern, weil keine Spezialisten da sind, an die er Aufgaben delegieren könnte.

Drei Monate später: Die Wege des Unternehmens und des neuen Vertriebsleiters haben sich wieder getrennt, noch bevor die vereinbarte Probezeit vorüber war. Denn der Vertriebsleiter war zunehmend frustriert, dass sich seine Gestaltungsfreiräume weitgehend nur auf den operativen Verkauf bezogen, mit dem er im Konzern kaum etwas zu tun hatte. Ausserdem sollte er alles selbst machen – vom Verfassen der Werbebriefe bis hin zum Akquirieren von Aufträgen.

Und der Firmeninhaber? Er war enttäuscht, dass der Neue in drei Monaten keinen «nennenswerten» Auftrag an Land zog. Im Gegenteil: Stammkunden beschwerten sich: «Von euch hört man ja nichts mehr. Habt Ihr unsere Aufträge nicht mehr nötig?» Das Fazit des Firmeninhabers: «Der konnte ohne Unterstützung nicht mal einen Werbebrief schreiben. Und wie man verkauft, davon hatte er keine Ahnung.» Also sagte er dem Verkaufs- und Vertriebsleiter «goodbye».

Sie ticken anders
Solche Prozesse beobachtet man oft, wenn KMU Verkaufsprofis engagieren, die zuvor bei grossen Playern arbeiteten. Dann ist der Frust vorprogrammiert. Denn in der Regel unterschätzen alle Beteiligten, wie verschieden die Arbeitsbedingungen im Vertrieb und Verkauf in Grossunternehmen und in Klein- und Mittelbetrieben sind. Einige Unterschiede seien genannt:
1. Grossunternehmen haben oft die erforderliche (Markt-)Macht, um ihren Markt aktiv zu gestalten. KMU können dies in der Regel nur, wenn sie in Marktnischen oder regional tätig sind. Häufig sind sie jedoch als Zulieferer oder Dienstleister von wenigen Schlüsselkunden abhängig und stehen in einem scharfen Wettbewerb. Entsprechend flexibel und kundenorientiert müssen sie agieren, um weiterhin die Gunst ihrer Kunden zu geniessen.
2. Grossunternehmen haben meist eine dicke Kapitaldecke. Deshalb können ihre Vertriebskonzepte langfristig (strategisch) angelegt sein. Sie können zudem einige Flops verkraften. Bei KMU hingegen ist die Kapitaldecke oft dünn. Deshalb müssen ihre Marketing- und Vertriebsmassnahmen kurzfristiger die gewünschten Umsätze und Erträge einfahren.
3. In Grossunternehmen gibt es in der Regel zahlreiche Fachabteilungen, an die man Aufgaben delegieren kann. Sie beschäftigen zudem ein Heer von Spezialisten. Und stehen
diese nicht intern zur Verfügung, dann engagieren sie externe Dienstleister wie Marktforscher und Produktdesigner. Anders ist dies bei KMU: Bei ihnen ist die Arbeitsteilung geringer ausgeprägt. Sie beschäftigen zudem weniger Spezialisten, an die Aufgaben delegiert werden können. Oft fehlen ihnen sogar die Mittel, um externe Spezialisten zu engagieren. Also wird vieles mit «bescheidenen Bordmitteln» gemacht.
4. Grossunternehmen beschäftigen meist ein Heer von Vertriebsmitarbeitern und Verkäufern. Zudem kooperieren sie oft mit Partnern, die ihnen Vertriebsaufgaben abnehmen. Deshalb können sich ihre Vertriebsverantwortlichen auch mal ein, zwei Tage ins Büro einschliessen, um an Konzepten zu feilen. Denn ihre operativen Vertriebsaufgaben beschränken sich weitgehend darauf,
> die Beziehung zu den Schlüsselkunden zu pflegen und
> dafür zu sorgen, dass die Vertriebsteams die Zielvorgaben erreichen. KMU hingegen haben oft nur eine Handvoll Verkäufer. Zuweilen besteht der Vertrieb sogar nur aus einem Mitarbeiter: dem Verkaufs- und Vertriebsleiter. Deshalb sind ihre Vertriebsleiter viel stärker in den operativen Verkauf involviert als ihre Konzernkollegen und die Qualität ihrer Arbeit wird stärker am (kurzfristig) erzielten Umsatz gemessen.

Andere Typen sind gefragt
Obige Ausführungen verdeutlichen, wie verschieden die Arbeitsbedingungen sind. Deshalb brauchen die Vertriebs- und Verkaufsleiter von KMU eine andere Persönlichkeit und andere Fähigkeiten als ihre Konzernkollegen. Folglich benötigen sie auch eine andere Ausbildung. Deutlich zeigt sich dies, wenn Vertriebsverantwortliche von Unternehmen unterschiedlicher Grösse gemeinsam ein Seminar besuchen – beispielsweise zum Thema Neukundenakquise. Danach sind die Konzernmanager oft begeistert, weil sie so viele neue Impulse erhielten. Die Vertriebsverantwortlichen der KMU hingegen sagen enttäuscht: «Das abgehobene Zeug, das uns in dem Seminar erzählt wurde, lässt sich nicht mal ansatzweise auf unser Unternehmen übertragen.»

Oder umgekehrt: Die Vertriebsverantwortlichen der KMU sind begeistert, weil ihnen erläutert wurde, wie sie mit bescheidenen Bordmitteln neue Kundengruppen erschliessen
können. Die Vertriebsverantwortlichen der Konzerne hingegen sagen enttäuscht: «Das war reine Zeitverschwendung. Zu dem Seminar hätte ich besser einen unserer Marketingexperten geschickt. Mit einem so operativen Kleinkram beschäftige ich mich im Alltag nicht.»

Macher mit «Bauchgefühl»
Analysiert man, welche Verkaufs- und Vertriebsleiter KMU benötigen, dann stellt man rasch fest: In ihnen sind eher Macher als strategische Denker gefragt – Macher, die sich auch nicht zu schade sind, mal selbst ein Mailing zu versenden oder eine News auf LinkedIn zu posten und sich spontan ins Auto zu setzen, wenn es bei einem Kunden brennt.

Zudem brauchen ihre Verkaufs- und Vertriebsleiter einen guten Draht zur Zielgruppe des Unternehmens und müssen deren Sprache sprechen – nicht nur, weil sie aktiv im Verkauf mitarbeiten, sondern auch weil sie keine Heerscharen von Marktforschern beauftragen können, um zu ermitteln:
> Wie entwickelt sich unser Markt?
> Wo ergeben sich neue Chancen und Risiken?
> Was brauchen / wünschen unsere Kunden? Und:
> Wo sollten wir folglich aktiv werden?

Sie müssen vielmehr weitgehend auf ihren «Bauch» vertrauen, also auf ihr Gespür, was wichtig, sinnvoll und erfolgversprechend ist. Deshalb sollten sie auch risikofreudiger als ihre Konzernkollegen sein. Denn sie können ihre Entscheidungen nicht mit Stapeln von Marktanalysen und -daten (scheinbar) absichern.

Eher Allrounder als Spezialist
Die Vertriebs- und Verkaufsleiter von KMU brauchen auch andere Fähigkeiten als ihre Konzernkollegen, denn sie müssen in der Regel nicht nur die für einen erfolgreichen Vertrieb erforderlichen Strategien und Strukturen entwickeln. Sie sind auch für den Verkauf selbst verantwortlich. Sie müssen also mehr Zeit in das Führen ihrer Verkaufstruppe investieren (sofern diese existiert). Sie können diese Aufgabe nicht an Team- oder Bereichsleiter delegieren. Ausserdem müssen sie häufiger selbst verkäuferisch aktiv werden. Folglich brauchen sie auch mehr verkäuferisches Know-how und mehr praktische Verkaufserfahrung als ihre Konzernkollegen – zumal ihr Können von ihren Vorgesetzten und Mitarbeitern stark an diesen Fähigkeiten gemessen wird.

Doch Verkaufserfahrung allein genügt nicht, denn die Vertriebs- und Verkaufsleiter von KMU sind meist auch für das Marketing und die Werbung zuständig. Also müssen sie auch in diesen Bereichen ein solides Fachwissen und Praxiserfahrung haben – in Tätigkeitsfeldern also, bei denen ihre Konzernkollegen sagen würden: «Dafür haben wir Fachabteilungen und Experten.» Die KMU-Vertriebsleiter hingegen müssen sich im Alltag auch um «profane» Dinge wie das Konzipieren von Mailingaktionen und die Gestaltung des Webauftritts kümmern. Bezogen auf diese Aufgaben benötigen sie zwar oft keine Durchführungskompetenz – sie müssen also zum Beispiel nicht selbst Websites gestalten und Social-Media-Kanäle pflegen können. Sie brauchen aber eine sogenannte Beurteilungskompetenz, damit sie zum Beispiel Werbeagenturen adäquat briefen und ihnen zu ihren Konzepten und Entwürfen ein qualifiziertes Feedback geben können: «So nicht, weil …» Dies ist auch nötig, damit sich die Verkaufs- und Vertriebsleiter von den Agenturen nicht zu Entscheidungen verleiten lassen, die beispielsweise im Online-arketing-Bereich zwar «en vogue» sind, aber nicht dem Bedarf von im B2B-Bereich tätigen KMU entsprechen. Die Verkaufs- und Vertriebsleiter von KMU sollten also praxiserfahrene Allrounder mit Bodenhaftung sein. Und sie müssen bereit sein, sich im Arbeitsalltag vielfach bewusst mit 80-Prozent-Lösungen zufrieden zu geben, statt stets nach der 100-Prozent-Lösung zu suchen, mit der man Marketingwettbewerbe gewinnt.

Einfache Instrumente
Entsprechend sollten auch die im Vertriebsalltag genutzten Instrumente sein. Ihre Auswahl und Gestaltung sollte sich an folgender Maxime orientieren: «Keep it simple and smart» (KISS) – auch um die Verwaltung und das Controlling nicht unnötig aufzublähen. Hierfür ein Beispiel: Für einen Konzern mit Hunderten von Verkäufern mag es unabdingbar sein, sich ein komplexes CRM-System zuzulegen. Ein KMU hingegen, für das nur zwei, drei Verkäufer arbeiten und dessen Schlüsselkunden sich an wenigen Händen abzählen lassen, kann sich hingegen durchaus fragen:
> Können wir uns nicht auch künftig mit Excel-Listen einen Überblick darüber verschaffen, welche Kunden wir mal wieder kontaktieren sollten? Oder:
> Genügt es nicht, unsere Kundendaten wie bisher in Outlook oder einer Access-Datei zu erfassen und zu verwalten?

Mit solchen «antiquierten» Konzepten zur Marketingbearbeitung kann man als Vertriebs-und Verkaufsleiter zwar auf keinem Kongress brillieren, sie entsprechen aber nicht selten dem Bedarf von KMU, die primär von der guten persönlichen Beziehung zu ihren Kunden leben.

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