Schlagworte wie Ethik, Unternehmensphilosophie, Image oder Reputation sind schwer zu greifen, und wer Leitbilder von Unternehmen liest, kommt oft in den Modus der Langeweile, da sie austauschbar wirken. Im folgenden Interview begeben wir uns auf die Sinnsuche.

Geschäftsführer: Heute hat fast jedes Unternehmen ein Leitbild oder eine Unter­nehmens­philosophie. Ich habe den Eindruck, das klingt oft austauschbar und ist auch schnell geschrieben. Täuscht dieser Eindruck?
Bernhard Bauhofer: Er täuscht zum Teil. Unternehmen nehmen sich sehr viel Zeit, um ihr Leitbild, ihre Vision oder Mission Statement als Ausdruck ihrer Werthaltung und Unternehmenskultur zu formulieren. Das Problem ist: Die Vorschläge werden endlos diskutiert, und am Schluss bleibt ein generischer, austauschbarer und meist banaler Satz übrig. Es ist in der Tat eine Herausforderung und harte Arbeit, in den Kern eines Unternehmens vorzudringen, diese Unverwechselbarkeit herauszuschälen und mit Blick in die Zukunft in Worte zu fassen. Denn in der Tat zeichnet jedes Unternehmen eine Einzigartigkeit aus, die über die Jahre in Vergessenheit zu geraten droht.

Warum entwickeln so viele Firmen eine oberflächliche Philosophie, die dem Begriff – klassisch verstanden – in keiner Weise gerecht wird?
Ich bin gegen den Begriff «Philosophie» im Wirtschaftskontext – er ist genauso wie «Ethik» ein zu weicher und diffuser Begriff. Was heute im Zeitalter der alles überlagernden Transparenz zählt, sind Governance und ein Code of Conduct, das heisst, klare, unmissverständliche Verhaltensinstruktionen – und damit verbunden Sanktionen – positiver wie negativer Art. Aus meiner Sicht wird die Gratifikation der Mitarbeitenden viel zu stark an wirtschaftliche Ziele gebunden, nicht aber an werthaltiges Handeln als Repräsentanten eines Unternehmens, das seine Verantwortung vollumfänglich wahrnimmt. Hier liegt noch viel Potenzial. Europäische Unternehmen sind in Sachen Vision und Mission den amerikanischen hinterher. Es fehlt der Mut zum grossen Wurf.

Unternehmen beschreiben oft nur das Offensichtliche und beantworten nicht die Frage nach den Wurzeln, dem Sinn und dem Spezifischen?
Auch hier – es fehlt der Mut. Die Leitideen sind nicht von Gründern und wahren Visionären formuliert, sondern von angestellten Managern, weichgewaschen durch die Kommunikationsabteilung und auf Herz und Nieren geprüft durch die alles dominierende Compliance. In dieser Angst- und Kontrollkultur kann nichts herauskommen, das Menschen berührt.

Ich muss den Sinn eines Unternehmens schnell und schlüssig beantworten können?
Der Sinn eines Unternehmens besteht in erster Linie darin, Geld zu verdienen und sich im Wettbewerb zu behaupten. Das klingt banal, in der Realität ist das aber sehr anspruchsvoll, da das Unternehmen neben wirtschaftlichen auch ökologischen und sozialen Anforderungen gerecht werden muss. Und das in einer total vernetzten Welt.

Ist das eine das oberflächliche Image und das andere die tiefschürfende Reputation?
Sie nennen zwei Begriffe, die grundlegend verschieden sind, aber leider zu oft identisch behandelt werden. Ein Image kann man sich relativ schnell und ohne Beweisführung zulegen – eine Reputation verfestigt sich erst über Jahre durch ein konsequentes Handeln. Beim Reputation Management geht es um das Management von Erwartungen – und zwar der aller Stakeholder und hinsichtlich wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Faktoren. Werden zu hoch gesetzte Erwartungen über längere Zeit hinweg nicht erfüllt, droht ein Reputationsproblem. Die Reputation ist zwar ein weicher Wert, der in den Köpfen der Stakeholder beziehungsweise in den Beziehungen zu diesen ruht, sein Fehlen kann aber knallharte Konsequenzen und gravierende Folgen nach sich ziehen.

Und warum kommt man mit Reputation weiter? Wann entwickelt sich die Unternehmenskultur zum Treiber der Unternehmensreputation, und wie festigt man eine krisenresistente Unternehmenskultur?
Die Unternehmenskultur ist in der Tat das alles bestimmende Element, weil sie tief in den Menschen, Teams, Beziehungen und den Abläufen des Unternehmens verankert ist – und es gibt keine schwierigere Aufgabe, als eine Unternehmenskultur zu verändern. Mit unserem 360°-Reputation-Management-Programm haben wir ein Werkzeug dafür entwickelt. Unternehmen, die Reputation Management praktizieren, stehen tagtäglich in engem Kontakt mit allen Stakeholdern. In Abgrenzung zu Shareholder-Value-Unternehmen nenne ich sie Stakeholder-Value-Unternehmen. Ein praktiziertes Reputation Management ist ein fein austariertes Beziehungsmanagement. Stakeholder – Kunden, Medien, Nichtregierungsorganisationen – haben jeweils ihr ganz eigenes Set an Erwartungen an das Unternehmen, die Unternehmen vor einen Zielkonflikt stellen können. So erwartet das Grand der Aktionäre eine hohe Profitabilität, ohne dass sie die Externalitäten der Wertschöpfung wirklich interessieren, während ökologische Aktivisten eine maximale Erfüllung der Umweltanforderungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette fordern – auch dort, wo Teile der Wertschöpfung an unab­hängige Partner ausgelagert werden. Die Kunst des Managements ist, die von Verantwortung und Transparenz bestimmte Kultur über die Grenzen des Unternehmens auf das Partnernetz zu übertragen. In diesem Kulturverbund sichert man eine nachhaltige und krisenresistente Wertschöpfung.

Auch die Steuervermeidungsstrategie unterschiedlicher Unternehmen hat Schlagzeilen produziert. Warum muss das am Ende des Tages schieflaufen?
Es sieht nicht danach aus, als ob diese vor allem von US-Konzernen praktizierte Strategie in absehbarer Zeit zu Ende geht. Vor diesem Hintergrund sind die philanthropischen Aktivitäten der Tycoone wie Mark Zuckerberg nicht nur in positivem Licht zu sehen. Es wäre fairer, transparenter und korrekter, wenn eine Umverteilung über den Steuermechanismus und nicht über einer, dem individuellen Gutdünken unterliegenden philanthropischen Wohltätigkeit erfolgen würde. Zu Recht wächst der Unmut in der Bevölkerung gegenüber Unternehmen, welche die Vorzüge des Landes – wie Infrastruktur und Bildung – in Anspruch nehmen, aber lächerlich wenig Steuern bezahlen. Der Hohn ist, dass sich diese Unternehmen im Rahmen der Corporate-Citizenship-Philosophie auf die Fahne schreiben, ein Teil von Gesellschaft und Gemeinschaft zu sein, der seiner Verantwortung entgegenkommt. Schlussendlich muss diesem Missstand durch eine Harmonisierung der Standort- und Steuer­politik ein Ende bereitet werden.

Was kann man im Vorfeld dagegensetzen?
Die Globalisierung hat einen ruinösen Wettbewerb in der Standortpolitik entfacht, bei dem Länder und Kommunen die grossen Konzerne umwerben und ihnen dabei solche Zugeständnisse machen, dass am Schluss kaum ein wirtschaftlicher Nutzen übrig bleibt. Diese Wertschöpfung ist fiktiv und geht am Volk vorbei. Die Schweiz macht hier mit der Pauschalbesteuerung bei Personen eine gefährliche Politik, welche die Ungleichheit zementiert. Es wird immer schwieriger, einem kleinen Steuerzahler oder einem KMU diesen Missstand zu verklickern.

Könnten auch die «Big Five» der Unternehmenswerte (Qualität, Kunden, Innovation, Passion und der Mensch) eine Grundlage bilden?
Diese Werte sind nach wie vor der Schlüssel zum Erfolg – deren Umsetzung ist jedoch zunehmend anspruchsvoll. Selbst mit Qualität zum attraktiven Preis-Leistungs-Verhältnis kann man sich nicht mehr von der Konkurrenz abheben. Innovativ zu sein schreibt sich jedes Unternehmen auf die Fahne, jedoch sind die meisten Innovationen inkremental – selbst Apple kann kaum mehr Wow-Erlebnisse bieten. Sich mit Leib und Seele einer Sache verschreiben, das tun die meisten Menschen nur noch in ihrem Privatleben.

Weitere Informationen: www.sparringpartners.ch