Einige Schweizer Unternehmen setzten bereits auf elektrifizierte Lastenvelos, um Waren auszuliefern.

Sind Elektroautos in der Gesellschaft angekommen oder sind sie noch weit davon entfernt? Es kommt darauf an, wie man die Zahlen betrachtet. Die Chancen der Elektromobilität für KMU liegen auf jeden Fall auf der Hand – und das nicht nur, was Elektroautos betrifft, sondern auch alternative Fahrzeugkategorien.

Seit rund zehn Jahren dominiert insbesondere ein Megatrend die Debatten um die Zukunft der Automobilität: der Einzug des Elektroantriebs in den Individualverkehr und die gleichzeitige Abkehr von der rund einhundertjährigen Dominanz des Verbrennungsmotors. Doch dieser Wandel, so behaupten seine Kritiker, fände eher auf den Seiten wohlmeinender Automobilmagazine und in den Köpfen einiger weniger Enthusiasten und Pioniere statt. Beim Kunden und auf der Strasse sei vielleicht das Elektrovelo, aber längst noch nicht das Elektro­auto angekommen. Während in der Schweiz derzeit knapp jedes dritte neu verkaufte Velo einen Elektro­motor hat, kommen nur rund drei Prozent der neu zugelassenen Personenwagen an einen Ladestecker.

Zeit für alternative Antriebe
Angesichts der vielen guten Gründe für den Umstieg vom Verbrenner auf einen Stromer erscheint dieser Anteil an den Schweizer Neuverkäufen auf den ersten Blick enttäuschend. Trotz sinkender Batterie- und Anschaffungspreise, welche zu einer weiteren Verringerung der elektrischen Kilometerkosten führen, trotz einer deutlich geringeren Gesamtumweltbelastung im Vergleich zu allen anderen Antriebstechnologien, trotz des wachsenden und immer leichter zugänglichen öffentlichen Ladenetzes in der Schweiz und trotz einer rasant wachsenden Modellpalette bei nahezu sämtlichen Herstellern nehmen die Neuzulassungen bei Steckerfahrzeugen im Jahresdurchschnitt seit 2012 nur um 200 Prozent zu.

Also eben nicht «nur»! Denn mit diesen Raten ist der Elektroantrieb mit Abstand der am stärksten wachsende Antrieb. Auch gerade deswegen, weil sämtliche anderen Alternativantriebe – allen voran die Erdgasfahrzeuge – auf immer weniger Interesse stossen, was Angebot und Nachfrage angeht. Zu hoch sind die Kosten für den Ausbau eines flächendeckenden Erdgastankstellennetzes oder den Neubau eines Wasserstofftankstellennetzes. Auch sind die tatsächlichen Umweltvorteile dieser Antriebsarten zu marginal, hinzu kommt das grösstenteils maue Interesse der Käufer. Folgerichtig ist der Elektroantrieb schon heute der erfolgreichste alternative Antrieb in der Schweiz.

Ziele für Elektromobilität
Wächst der Markt für Elektrofahrzeuge in den kommenden Jahren weiter so stark, ist es für den Bund kein Problem, das selbstgesteckte Ziel von 15 Prozent neu zugelassenen Elektrofahrzeugen im Jahr 2022 zu erreichen. Hinzu kommt, dass auto-schweiz, die Vereinigung der offiziellen Automobil-Importeure, verspricht, bereits im Jahr 2020 auf einen zehnprozentigen Neuverkaufsanteil bei den E-Fahrzeugen zu kommen.

Was treibt diese Entwicklungen voran? Das sind einerseits übergeordnete politische Rahmensetzungen, wie der durch die EU für alle Automobilhersteller vorgeschriebene CO2-Absenkungspfad. Und andererseits der wirtschaftliche Strukturwandel im Energie- und Automobilsektor. Beide Industrien haben nach Jahren des Zauderns nun auf einen forschen Transformationskurs eingeschwenkt, dessen Richtung zunehmend durch die Nachhaltigkeits- und Geschäftsperspektiven der Elektromobilität bestimmt wird.

E-Fahrzeuge in KMU
Heute setzen politische und wirtschaftliche Entscheidungsträger einstimmig auf die Elektromobilität. Das ist auch dem Mittelstand Anlass genug, nach Chancen zu suchen, um den eigenen Betrieb fit für die Elektromobilität zu machen. Für viele beginnt diese Suche sicher zuerst mit dem Elektrifizieren der eigenen Flotte und dem Aufbauen einer Ladeinfrastruktur für geschäftlich und privat genutzte Personenwagen. Der Zeitpunkt für den Einstieg in die Elektromobilität ist besonders günstig. Investitionen sind dank erprobter und zukunftsfähiger Technologie gesichert. Gleichzeitig ist ein Einstieg in die Elektromobilität ein glaubwürdiger Beweis, dass das Unternehmen eine Vorreiterrolle im Bereich Innovation und Nachhaltigkeit einnimmt.

Einen einfachen Zugang zur betrieblichen Elektromobilität finden interessierte Unternehmen über die Initiative charge4work, welche der Branchenverband Swiss eMobility und die Plattform EnergieSchweiz gemeinsam betreiben. charge4work informiert und berät interessierte Unternehmen kostenlos und unabhängig, ebenso organisiert die Initiative Events rund um die betriebliche Elektromobilität. Weiter macht es sich charge4work zur Aufgabe, Erfolge sichtbar zu machen von Unternehmen, die Mass­nahmen im Bereich Elektromobilität geplant und umgesetzt haben. Unternehmen, welche sich elektrifizieren und an ihren Standorten Ladeinfrastrukturen errichten möchten, können sich bei Swiss eMobility entsprechend informieren.

Elektrische Lastenvelos im Stadtverkehr
Wer sich allerdings heute weniger für vierrädrige Elektrofahrzeuge interessiert und sich angesichts seiner betrieblichen Transportbedürfnisse fragt, was es sonst noch alles gibt, dem sei an dieser Stelle ein «alternatives SUV» empfohlen. Eine Alternative, die sich einer wachsenden Beliebtheit bei privaten Haushalten und Unternehmen erfreut: das elektrische Lastenvelo.

Lastenräder haben das Potenzial, in urbanen Gebieten einen bedeutenden Teil des Wirtschaftsverkehrs ressourcen- und klimaschonend abzuwickeln. Zudem weisen sie einen enormen Kostenvorteil gegenüber herkömmlichen Motorfahrzeugen vor. Im Rahmen eines Projektes unter dem Titel «Mir sattlä um!» hat das Amt für Umweltschutz der Stadt Bern das Potenzial von E-Cargo-Bikes im lokalen Wirtschaftsverkehr genauer erprobt und analysiert. Zu diesem Zweck suchte das Amt für Umweltschutz kleinere und mittelgrosse Stadtberner Unternehmen, die während einer Zeitdauer von bis zu einem Jahr ein Lastenrad testen und für die betriebliche Logistik einsetzen.

Die Resultate aus den beiden Projektstaffeln von «Mir sattlä um!» lassen sich sehen. Rund 40 Prozent aller betrieblichen Fahrten mit dem E-Cargo-Bike ersetzten Autos und Lieferwagen im gewerblichen Verkehr. Wichtiger noch: Die Unternehmen haben grösstenteils sehr positive Erfahrungen gemacht. Sie berichteten von erhöhter Flexibilität im Stadtverkehr und bei der Parkplatzsituation sowie einem Imagegewinn in der Öffentlichkeit. Gemäss Aussagen der Verantwortlichen hat sich das E-Cargo-Bike in allen Betrieben sehr bewährt. 15 der 19 Unternehmen kauften die Bikes der Stadt ab und setzen sie nun weiterhin im Wirtschaftsverkehr ein.

Elektromobilität als Chance
Diese beiden Beispiele verdeutlichen einerseits, wie umfassend der elektromobile Wandel im Verkehrssektor zukünftig ist und wie vielfältig die Einsatzmöglichkeiten des Elektroantriebantriebs in unterschiedlichen Fahrzeugkategorien sein können. Letztere reichen von der Elektrifizierung des Velos und seiner Neuerfindung als alternatives Stadtauto über die Vollelektrifizierung sämtlicher Personenwagensegmente bis hin zu batterieelektrischen «White-Vans» wie dem e-NV200 von Nissan oder dem Streetscooter der Deutschen Post.

Andererseits eröffnen sie eben auch die Chance für kleine und mittelständische Betriebe, ihre Kosten zu senken, betriebliche Logistikprozesse umzubauen, Geschäftsmodelle anzupassen, Neukunden anzusprechen und die Mobilität von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern günstiger und freudvoller zu gestalten. Und das alles im Dienste einer nachhaltigen Gesellschaft und einer enkeltauglichen Unternehmenskultur.

www.swiss-emobility.ch
www.mobilityacademy.ch

Dr. Jörg Beckmann ist Geschäftsführer bei Swiss eMobility und Direktor der Mobilitätsakademie AG des Touring Club Schweiz (TCS).