Bei der Frage der E-Mobilität ist die Analyse des Nutzerverhaltens eine wichtige Grundlage.

Beeinflusst durch zahlreiche Faktoren wie «grüne Strategien», Steuern, staatliche Subventionen oder Fahrverbote schreitet die Elektrifizierung von Fahrzeugflotten voran. Zum Mainstream ist sie aber noch nicht geworden. Bei dem aktuellen langsamen Fortschritt könnte man sich fragen, ob es zu einer breiteren Relevanz von E-Fahrzeugen innerhalb der Flotten kommen wird.

Taucht man tiefer in das Thema ein, überrascht die Palette der Möglichkeiten, die bereits heute realisierbar sind. Angesichts der hohen Bandbreite unterschiedlicher Meinungen zur Elektrifizierung, die wir in unserem Hause während unserer Projektarbeit erleben, kristallisiert sich für mich immer mehr eine Schlüsselfrage heraus: Ist Elektrifizierung neben der Bewertung rein rationaler Fakten auch eine Frage der «richtigen» Einstellung? Aus unserer Erfahrung kann man hier in zwei Gruppen einteilen: die E-Fahrzeug-Optimisten und E-Fahrzeug-Pessimisten. Deren Grundeinstellung könnte mit anderen Worten auch so beschrieben werden: «Ist die Batterie halb voll oder halb leer?» Ausgehend von der eigenen Einstellung ergeben sich häufig unterschiedliche Ansichten über die Chancen und Herausforderungen von E-Fahrzeugen, auf die ich nachfolgend näher eingehen möchte.

Die Frage nach der Reichweite
Pessimisten benennen die Reichweitenbegrenzung immer noch als «Killerargument» für jedes Elektrifizierungsprogramm. Man würde jedoch optimistisch überrascht sein, wie viele Fahrer tatsächlich in ein E-Fahrzeug-Nutzungsprofil passen. Hierzu ist es notwendig, das Nutzungsverhalten genauer zu analysieren. Wenn die vollelektrischen Fahrzeuge noch nicht den Anforderungen jeder Reichweite entsprechen, ist die Hybrid-­Technologie immer noch eine Alternative zur (zumindest teilweisen) Elektrifizierung. Diese erfordert allerdings klare Regeln, um den Anteil der Nutzung des Verbrennungsmotors so gering wie möglich zu halten.

Die Frage über die Produktbeschränkungen
Die gute Nachricht: E-Fahrzeuge sind für alle wichtigen flottenrelevanten Pkw-Segmente bereits verfügbar. Selbst im Bereich der leichten Nutzfahrzeuge findet der Flottenbetreiber inzwischen kleine, mittlere und grosse Fahrzeugmodelle mit elektrischem Antrieb. Der Pessimist wird aber sicher die verfügbare Modellpalette weiterhin als zu begrenzt betrachten. Häufig findet der Pessimist auch bei speziellen Anforderungen und Ausstattungen Hindernisse für die Elektrifizierung. Der Optimist beginnt dagegen zunächst seine Elektrolösung an die heutigen betrieblichen Anforderungen anzupassen und dann neu zu bewerten. Meist geht dann elektrisch mehr als gedacht. 

Die Frage nach den Ladestationen
Aus Sicht des Pessimisten geht dem Fahrer des E-Fahrzeugs auf seiner Fahrt fast immer der Strom aus und er wird wegen Mangel an Ladepunkten auf der Strecke liegen bleiben. Der Optimist betont dagegen, es gibt schon mehr Ladestationen, als man glaubt. Und es ist einfach erforderlich, seine Gewohnheiten minimal zu ändern und damit zu beginnen, Reisen und Ladestopps aktiv zu planen. Dies sollte keine unangemessene Hürde sein. Ausserdem finden die Fahrerinnen und Fahrer vielleicht mehr Ladestationen als erwartet. Die Frage stellt sich, ob es nicht möglich ist, Kunden oder Lieferanten anzurufen, um herauszufinden, ob Besucherparkplätze mit einer Ladestation ausgestattet sind. 

Die Frage nach dem Business Case
Der Pessimist führt standardmässig die hohen Kosten der E-Mobilität ins Feld. Er wäre wahrscheinlich überrascht über das Ergebnis, wenn er eine gründliche TCO-Analyse (Total Cost of Ownership) durchführen und auch die Auswirkungen von Steuervergünstigungen und staatlichen Subventionen berücksichtigen würde. In den letzten zwölf Monaten konnte eine enorme Verschiebung der Kostenhebel wie Restwerte, Steuerauswirkungen durch WLTP, deutlich steigende Kraftstoffpreise und verbesserte Fahrzeugrabatte festgestellt werden. Diese unterstützen massgeblich die Entwicklung, den Break-Even-Punkt für E-Fahrzeuge zu erreichen oder sogar positiv zu überschreiten. Bei gerade durchgeführten nationalen und internationalen Ausschreibungen für elektrische Flottenfahrzeuge haben wir festgestellt, dass vonseiten der Leasinggesellschaften eine breite Palette von E-Fahrzeug-Angeboten, -Fähigkeiten und -Preisen verfügbar ist. Zusammenfassend heisst dies, schlechte Nachrichten für Pessimisten: Der Trend zum vorteilhaften Business Case ist positiv.

Die Frage nach dem Komplexitätsgrad
Da die Entwicklung und Einführung einer Strategie zur E-Mobilität für eine Fahrzeugflotte ein komplexes Thema ist, sehen die Pessimisten in einer solchen Umstellung eine zu starke Belastung für die Flottenmanagementabteilung in den Unternehmen. Fakt ist aber auch, dass die Elektrifizierung nur ein Veränderungsfaktor ist, neben zahlreichen anderen Standards wie WLTP¹, IFRS16² oder intermodulare Mobilitätskonzepte, die das Flottenmanagement in Unternehmen zunehmend beschäftigen. 

Aufgrund der oben genannten fünf Aspekte neigen viele Unternehmen dazu, zögerlich oder sogar resistent zu sein, ihre «Fahrzeug-Gewohnheiten» zu ändern. Neue Themen – wie die Elektrifizierung – erfordern, dass sich die Menschen aus ihrer gewohnten Komfortzone herausbewegen, was Überzeugung und Zeit erfordert. Die Einführung eines E-Mobilitätskonzepts bedeutet daher, den Veränderungsprozess aktiv zu steuern. Die Marktfaktoren beginnen für die Elektrifizierung zu sprechen, aber die «richtige» Einstellung zur Überwindung der Herausforderungen ist der Schlüssel zum Erfolg: «Denn die Batterie ist schon halb voll.»


Erfolgreiche Beispiele

Dass es solche Optimisten in Unternehmen gibt, zeigt das nachfolgende Projektbeispiel, welches von fleetcompetence europe unterstützt wurde: Die beiden Non-Profit Spitex-Organisationen in Zürich haben auf Basis einer Ausschreibung die umfassende Fahrzeugflotte von 80 Fahrzeugen umgestellt. Die Projektleiter Daniel Boller (CFO Spitex Zürich Limmat) und Thomas Küng (CFO Spitex Zürich Sihl) gehören zu den Pionieren in Bezug auf eine nach­haltige, ökologische und wirtschaftliche Fahrzeugflotte. Sie haben bei der anstehenden Neubeschaffung mehrheitlich auf E-Fahrzeuge gesetzt; künftig sind 46 vollelektrische Fahrzeuge im Einsatz. Im Rahmen einer detaillierten Evaluierung und Testfahrtbewertung wurde der Peugeot iON active als neues elektrisches Fahrzeug ausgewählt. Aufgrund der kurzen Distanzen, welche die Fahrzeuge überwiegend zurücklegen, bot sich der Einsatz von E-Fahrzeugen an. Der Vergleich der Fahrzeuggesamtkosten (Finanzierung, Abschreibung und Betrieb) ergab, dass die Kosten der E-Fahrzeuge nur unwesentlich höher lagen. Die beiden Pflege-Organisationen schultern zudem die Installation der Ladein­frastruktur, auch um ein Zeichen für die Umstellung auf eine nachhaltige Flotte zu setzen. Finanziert und verwaltet wird die E-Flotte von der Leasinggesellschaft Auto-Interleasing.

www.fleetcompetence.com

Thilo von Ulmenstein ist Managing Partner der fleetcompetence europe.

 

 

 

 

 

 

Anmerkungen
[1] Harmonisierte Testverfahren für Leichtfahrzeuge. Es ist eine Norm zur Bestimmung der Schadstoffwerte
und der CO2-Emissionen, des Kraftstoff- oder Energieverbrauchs und der elektrischen Reichweite.
[2] International Financial Reporting Standard