Der Köder muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler. Das gilt auch in der Geschäftsmodellinnovation. Die Wirtschaftspsychologie erweitert den bislang starken Fokus des Innovationsmanagements auf mehrheitlich interne betriebswirtschaftliche Prozesse wie Leistungsdefinition, Geschäftsmodelle oder Wertschöpfungsketten – und zeigt, wie die Psychologie die Entwicklung von Geschäftsmodellinnovationen passgenauer fördern kann.

Unsere Wahrnehmung von starken Marken wie beispielsweise Apple, Google oder Facebook beeinflusst den Unternehmenserfolg [1]; sie macht sogar 30 Prozent der Marktkapitalisierung der «Standard & Poor’s 500»-Firmen aus [2]. Das bedeutet, dass Psychologie eine grosse Rolle spielt. Deshalb sollten wir die Gefühle, Gedanken und Bedürfnisse unserer Zielgruppen genau analysieren und kennen, um in einem nächsten Schritt die Positionierung und die Differenzierung von Marken planen und steuern zu können. Das gilt auch für erfolgreiche Geschäftsmodellinnovationen. Das Problem aus wirtschaftspsychologischer Sicht ist, dass dieses in Forschung und Umsetzung bisher vernachlässigt oder nicht ausreichend präzise vorgenommen wird. In der Folge wird die Innovation nicht zielgenau umgesetzt. Die mit der Erneuerung verfolgte Wirkung bleibt aus. Wirtschaftspsychologie wird vielleicht deshalb nicht stärker einbezogen, weil es sich bei psychologischen Faktoren um weniger greifbare Aspekte handelt als beispielsweise vorhandene Märkte, Technologien oder regulatorische Veränderungen. Um in der Eisberg-Analogie zu schreiben: Es wird an der offensichtlich sichtbaren Eisbergspitze gearbeitet – das, was unter Wasser liegt und trägt, wird aus wirtschaftspsychologischer Sicht vernachlässigt.

Idealtypischer Prozess
Die Digitalisierung und die digitale Transformation zwingen zum Umdenken, damit Kundenbedürfnisse unter Einbezug digitaler Möglichkeiten noch besser befriedigt werden können als durch existierende Geschäftsmodelle. Geschäftsmodelle sind letztlich Systeme, mit denen beantwortet wird, mit wem, mit was und auf welche Art und Weise Wert generiert wird [3]. Oft wird eine neue Geschäftsmodellstrategie in vier Phasen entwickelt [4]:

  1. Initiierung: Hier wird expliziert, welches die Kernelemente des Geschäftsmodells sind. (a) Wer die Zielkunden aktuell sind («Wer»), (b) was man anbietet («Was»), (c) wie die Leistung generiert wird («Wie») und (d) damit dann auch den «Wert».
  2. Ideenfindung: Hier können durch die Kombination der vier Kernelemente «Wer» (Zielgruppe), «Was», «Wie» und «Wer» neue Geschäftsmodellkombinationen erstellt werden. Mindestens 55 Kombinationen werden aktuell diskutiert. Dabei werden verschiedene Veränderungen der Kernelemente des Geschäftsmodells durchgedacht.
  3. Integration: In dieser Phase wird geprüft, ob Kundenbedürfnisse mit den Ergebnissen der Ideenfindung einhergehen und Kundenprobleme gelöst werden. Zudem wird analysiert, ob das neu gedachte Geschäftsmodell gut in das geschäftliche Umfeld samt zukünftigen Entwicklungen passt.
  4. Implementierung: Interne Ressourcen werden für die Umsetzung der neuen Geschäftsmodellstrategie eingeplant.

Psychologische Faktoren werden nur zu 20 Prozent in diesen Phasen abgedeckt. «50 Prozent der Wirtschaft sind Psychologie», erkannte aber bereits Erhard, ein früherer deutscher Wirtschaftsminister. Dieser Anteil sollte also auch im Rahmen der Geschäftsmodellinnovation gelten. Menschen werden nicht nur aufgrund gut funktionierender Innovationen zu Kunden, sondern weil die Innovationen bei ihnen Gefühle und Gedanken, Bedürfnisse und Megatrends ansprechen [5].

Rationale und emotionale Entscheidungen
Wir kaufen innovative Produkte nicht nur, weil sie etwas effektiv auslösen oder Gutes für uns tun. In der Wirtschaftspsychologie werden zwei Aspekte unterschieden: die sogenannten «instrumentellen» und «symbolischen» Aspekte [6]. Die instrumentellen Aspekte einer Innovation sind funktional und lassen sich in objektiven, physischen oder greifbaren Attributen beschreiben («Ich kann mit XY intuitiv und rasch bestellen und Zeit sparen.»). Das hilft, den Nutzen zu maximieren oder Kosten zu reduzieren. Ein einfaches Beispiel zur Verdeutlichung: Man kauft ein Auto, weil es schnell fährt und bequeme Sitze hat.

Die symbolischen Attribute einer Innovation sind emotionaler Art. Es handelt sich  nicht um greifbare Attribute, sondern um die psychologischen Aspekte einer Innovation. Wir möchten mit solchen Attributen etwas über uns selbst aussagen. Vielleicht weil sie mit unseren Werten übereinstimmen oder zu unserer Persönlichkeit passen. Oder weil wir ein Image vermitteln möchten. Beispiel: Man kauft ein bestimmtes Auto, weil es cool oder trendig ist – und man sich selbst auch so fühlt.

Der Forschungsstand ist, dass wir uns entlang beider Dimensionen entscheiden [7]. Das heisst, selbstverständlich kaufen respektive nutzen wir Innovationen, die instrumentellen Nutzen für uns haben und funktionieren. Aber wir konsumieren eben vor allem auch Innovationen, die vermeintlich zu uns passen, mit denen wir etwas über uns aussagen können. Und je ähnlicher Innovationen respektive Entscheidungsalternativen sind, desto wichtiger werden genau solche symbolischen, psychologischen Attribute als Unterscheidungsmerkmal. Das ist die Basis, mit der Unternehmen sich in hart umkämpften Märkten vornehmlich differenzieren können, denn «es geht um die Bilder in unseren Köpfen». Es gibt drei Schritte, um diese Informationen im Rahmen der Planung und Umsetzung bei der Positionierung und Differenzierung der Innovation vorzunehmen. Diese werden mit dem üblichen Geschäftsmodellinnovationsprozess kombiniert.

Psychologische Auslegeordnung der Zielgruppen
Um Geschäftsmodellinnovationen erfolgreich vorzunehmen und positionieren zu können, werden drei psychologische Elemente in drei Teilschritten aus wirtschaftspsychologischer Sicht kurz zusammengefasst empfohlen, um das bisherige «Wer» zu spezifizieren [8]:

  1. Eigen-Analyse («Welche»): Diese fokussiert die interne und externe Perspektive und gleicht diese ab. Zum einen geht es um die Identifizierung der Eigenschaften, durch die sich die Innovation in ihrer Innensicht etwa von Geschäftsführer, Geschäftsentwickler und Innovationsmanager auszeichnet. Zum anderen bezieht sie die qualitative und quantitative Zielgruppenwahrnehmung mit ein: Wie wird die Innovation von aussen – von den Zielgruppen – wahrgenommen? Für welche Werte und Attribute steht dort die Innovation? Wodurch begeistert die Innovation aktuelle und potenzielle Zielgruppen?
  2. Kundenbedürfnisse («Weshalb»): Welche funktionalen und emotionalen Kundenbedürfnisse sind für die Zielgruppen – und damit für die Innovation – relevant?
  3. Megatrends («Wohin»): Welche Umweltbedingungen und gesellschaftlichen Megatrends sind für die Zielgruppen – und damit für die Innovation – relevant?

Alle drei Elemente lassen sich intern und extern mittels präziser, quantitativer wirtschaftspsychologischer Verfahren in diesen maximal drei Schritten effizient innert weniger Wochen erfassen. Die Ergebnisse können im Anschluss unmittelbar in gängige Geschäftsmodellinnovationsprozesse integriert werden und schärfen damit die Erarbeitung und Umsetzung der innovativen Geschäftsmodellstrategie.

Erfolgreich agieren
Es empfiehlt sich, zu Beginn eines Strategieprozesses nicht vier, sondern wie in einem Eisbergmodell der Innovation zu verfahren. Die Basis des Eisbergs bildet die Wirtschaftspsychologie (Welche, Weshalb und Wohin). Die Spitze formiert das Innovationsmanagement (Was, Warum und Wie). Diese sechs Elemente sind Schritt für Schritt zu analysieren und zu kombinieren. Dies sind die Schritte der Innovation und Wirtschaftspsychologie. Nur so wird man den Zielgruppen gerecht und kann interne und externe Schritte in der Geschäftsmodellinnovation gründlich analysieren, sinnvoll planen und dann umsetzen – und damit die Innovation erfolgreich positionieren.

Anmerkungen

[1] Aaker, D. A., & Jacobson, R. (2001). The value relevance of brand attitude in high-technology markets. Journal of marketing research, 38, 485-493.

[2] Larkin, Y. (2013). Brand perception, cash flow stability, and financial policy. Journal of Financial Economics, 110, 232-253.

[3] Chesbrough, H. (2007). Business model innovation: it’s not just about technology anymore. Strategy & leadership, 35, 12-17.

[4] Gassmann, O., Frankenberger K, &, Csik M. (2014). The Business Model Navigator: 55 Models That Will Revolutionise Your Business. FT Publishing Pearson.

[5] Fetscherin, M., & Heilmann, T. (2015). Consumer Brand Relationship: Meaning, Measuring, Managing. Palgrave Macmillan.

[6] Lievens, F., & Highhouse, S. (2003). The relation of instrumental and symbolic attributes to a company’s attractiveness as an employer. Personnel psychology, 56, 75-102.

[7] Keller, K. L. (1993). Conceptualizing, measuring, and managing customer-based brand equity. The Journal of Marketing, 1-22.

[8] Aaker, D. A. (1996). Building Strong Brands. New York et al.: The Free Press.

www.ffhs.ch