Nach dem Rekordjahr 2019 mit einem Jahresgewinn von 53 Millionen Franken landeten die Jungfraubahnen wegen Corona in der schwersten Krise ihrer Geschichte. Mit dem 2020 eröffneten V-Bahn-Projekt, das insgesamt 510 Millionen Franken gekostet hat, katapultiert sich das Unternehmen nun in neue Sphären und setzt ein Meilenstein in der Schweizer Bergwelt. Jungfraubahnen-Direktor Urs Kessler im Interview über Klischees, unternehmerische Risiken und warum ein Aktienkauf der Jungfraubahnen auch zum Erhalt eines Schweizer Kulturguts beiträgt.

Autorin: Isabelle Riederer

PRESTIGE BUSINESS: Seit 2008 sind Sie Chef der Jungfraubahnen, wie fällt Ihr persönliches Resümee aus?

Urs Kessler: Ich bin ja schon seit 35 Jahren bei den Jungfrauenbahnen und hatte bisher das Glück, dass ich nie arbeiten musste, sondern arbeiten durfte. Die Zeit als Chef der Jungfrauenbahnen von 2008 bis heute war eine sehr schöne und sicherlich auch erfolgreiche Zeit. Wir konnten den Jahresgewinn von 20 Millionen auf 53 Millionen steigern, die Besucherzahlen verdoppeln und zum Beispiel den Verkehrsertrag der Harderbahn von einer Million auf sechs Millionen steigern. Einmalig war der Bau der V-Bahn. Man kann nur einmal im Leben ein 510-Millionen-Projekt realisieren. Dieses Projekt hat mein Leben geprägt von der Ankündigung bis zu Realisation.

Es gab natürlich auch schwierige Phasen. Die Pandemie sorgte dafür, dass wir von einem absoluten Rekordjahr 2019 in die grösste Tourismuskrise der Geschichte stürzten mit einem Verlust von 9,7 Millionen im Jahr 2020. Letztes Jahr sind wir knapp aus der Verlustzone gekommen und konnten zumindest eine rote Null vor dem Komma ausweisen. Für nächstes Jahr sind wir zuversichtlich, dass wir die Talsohle durchschritten haben.

Ein Projekt wie die V-Bahn könnte man auch in den Sand setzen…

… das könnte man und das ist auch ein gutes Stichwort. Wir haben im Dezember 2012 das Projekt angekündigt. Wir hatten sehr viel Widerstand und mussten eine Gemeindeabstimmung nach der anderen abwarten und gewinnen, während dessen liefen bereits die Projektplanungsarbeiten, die schon über 12 Millionen Franken kosteten. Ob das Projekt realisiert wird oder nicht, war da noch unklar. Als im Sommer 2018 der Spatenstich erfolgte, war der Fortschritt endlich sichtbar und über die Bauzeit hinweg, sah man das Projekt wachsen. Eine grosse Herausforderung war die Fertigstellung mitten in der Pandemie, insbesondere als die UNIA Baustellen schliessen wollte. Dennoch haben wir es geschafft und bereits am 5. Dezember 2020 fand die Eröffnung statt.

Dann hatten Sie doch ein paar schlaflose Nächte?

Es war immer ein Risiko dieses Projekt, aber Entscheidungen treffen heisst auch Risiken einzugehen. Und ich bin überzeugt, ohne Innovationen und unternehmerisches Risiko gibt es auch keinen Erfolg. Und die V-Bahn ist eine solche Innovation.

Ist das das Erfolgsrezept?

Wir haben bei der V-Bahn bewusst nicht aus der Froschperspektive, sondern aus der Vogelperspektive Entscheidungen getroffen und immer darauf geachtet, was das Beste ist für die Jungfraubahnen und die Region. Das Ergebnis sind die acht integrierten Bestandteile des V-Bahn-Projekts mit dem öffentlichen Verkehr, der Nachhaltigkeit, dem Grindelwald Terminal, dem neuen Parkhaus, die neue Männlichenbahn, der neue Eiger Express und die neuen Züge für die Wengernalp- und die Jungfraubahn.

Es heisst, Sie spüren die Tourismus-Trends von morgen, was spüren Sie?

Touristinnen und Touristen wollen künftig nicht mehr einfach «nur» den Ausflug konsumieren, sie interessieren sich auch dafür, wie nachhaltig er ist, und ob das Unternehmen nachhaltig arbeitet. Das ist ein Trend, der vor der Krise begonnen hat, sich jetzt weiter verstärkt und definitiv auch in der Zukunft eine wichtige Rolle spielen wird.

Was wollen Ihre Kunden aus dem Ausland, was ist gefragt? Warum ist die Schweizer Bergwelt so beliebt?

Im Hinblick auf das V-Bahn-Projekt war der Wunsch, schneller am Ziel zu sein. Die Reisezeit sollte massiv verkürzt werden, das war das Ziel und das war es auch, was unsere wichtigsten Kunden in Asien geäussert haben. Fakt ist: Vor der Krise stammten 91 Prozent der Besucherinnen und Besucher aus dem Ausland, 70 Prozent davon aus Asien, also über 700’000 Gäste auf dem Jungfraujoch kommen aus Asien. Die Schweiz gehört als Reiseland zu den Top 7 Destinationen in Asien. Das liegt vor allem am positiven Image und daran, dass wir den asiatischen Gästen, das geben, was sie wollen.

Und was wollen sie?

Sie wollen Klischees. Sie wollen Berge, Seen, Schoggi, Uhren, Glocken, Milch und Kühe. Das ist das Idealbild der Schweiz bei den asiatischen Touristen, und das muss man ihnen dann auch verkaufen.

Aber könnte man den Technologievorsprung, den man durch das V-Bahn-Projekt gewonnen hat, nicht auch nach aussen tragen und verkaufen? Das wäre sicher auch für Ihre Geschäftspartner interessant? Und in China werden Bergbahnen aktuell im Eiltempo aus dem Boden gestampft…

Ein Geschäft ist es weniger, zumal seit der Pandemie auch in China ein Umdenken im Hinblick auf Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung stattgefunden hat. Bis vor vier Jahren war das kein Thema, doch jetzt interessieren sie sich viel mehr für unser Wasserkraftwerk und für die Energiegewinnung.

Das Thema Nachhaltigkeit wird immer wichtiger und die Welt verändern. Wie gehen die Jungfraubahnen damit um?

Wir haben 2019 ein «Corporate Social Responsibility»-Strategie verfasst und haben die Nachhaltigkeit auch neu im Geschäftsbericht aufgeführt. Wir werden 2023 beim Umweltmanagement die ISO-Zertifizierung machen, künftig werden wir nach GRI-Standards – was insbesondere für börsenkotierte Unternehmen wichtig ist – handeln und zu guter Letzt haben wir von den 17 «Sustainable Development Goals» der UNO sieben ausgewählt, zu denen wir entsprechende Massnahmen und Ziele festgelegt haben. Wir haben bereits viel Gutes getan, müssen es aber besser kommunizieren.

In dieses Thema fällt auch die globale Erwärmung. Wird das irgendwann zum Problem für Ihr Unternehmen und den Aletschgletscher?

Die globale Erwärmung spielt natürlich eine Rolle. Wir setzen alles daran, dass alles, was wir tun, möglichst nachhaltig und Ressourcen schonend ist. Das beginnt bei der Besucherlimitierung auf 5500 Gäste pro Tag, einem neuen Kältesystem für den Eispalast auf dem Jungfraujoch, energieeffiziente Beschneiungsanlagen und Pistenbullys, die mit neuster Technik wie SnowSat ausgestattet sind und so für eine optimale Verteilung der Schneemassen genutzt werden können.

Sie sind ein börsenkotiertes Unternehmen, Ihre Aktien werden frei gehandelt, warum sollte man Aktien der Jungfraubahnen kaufen?

Ich denke, die Jungfraubahnen sind auch eine Erfolgsgeschichte. 2002/2003 lag der Aktienkurs noch bei 22 Franken, 2019 lag der Kurs einer Aktie über 170 Franken. Aktuell liegt der Kurs um die 135 Franken. Mit dem V-Bahn-Projekt werden wir nach der Krise weltweit noch konkurrenzfähiger werden. Hinzukommt, dass die Jungfraubahnen ein Stück Schweizer Geschichte sind und man so ein Kulturgut bewahren kann.

Ein Wort zu der Olympiade und zum Weltcup, die Schweiz hat im alpinen Sport erneut gezeigt, was sie kann. Wie wichtig sind solche Erfolge für Ihr Unternehmen?

Für die Jungfraubahnen und die Region sind erfolgreiche Wintersportler natürlich eine super Werbung. Erfolgreiche Sportlerinnen und Sportler sind nicht nur Vorbilder und motivieren die Jungen, sie sind auch die besten Werbeträger für die Schweiz als Reiseland und diesen Aspekt darf man nicht unterschätzen, denn unser Ziel ist es, möglichst viele Gäste in die Schweiz zu holen.

Jeder Tourist möchte im Idealfall auch ein Bett für eine Übernachtung. Wie wichtig ist die Hotellerie für die Jungfraubahnen?

Sehr wichtig und wir unterstützen hier auch neue Projekte, wie die Hotelpläne beim Bahnhof Interlaken Ost. Wir wollen Investoren das Land beim Bahnhof Interlaken Ost zu attraktiven Preisen zur Verfügung stellen mit dem Ziel, dass sie dort ein Hotel bauen. Unsere Region braucht auch gute Hotels, ohne das funktioniert es einfach nicht, vor allem brauchen wir eine grosse internationale Hotelkette mit einem bekannten Namen. Eine internationale Hotelkette bringt eine globale Distribution, die wiederum die Destination in die ganze Welt hinausträgt.

Und hat es geklappt?

Es hat geklappt. Ich kann den Namen noch nicht bekannt geben, aber es ist eine bekannte internationale 4-Sterne-Superior-Hotelkette, die uns viel Freude bringen wird und für die Region und die Jungfraubahnen ein grosser Gewinn sein wird.

Luxusreisen sind gefragter denn je. Die Leute haben Geld und wollen es ausgeben, wie profitieren die Jungfraubahnen davon?

Wir haben explizit für Kunden, die ein exklusives und luxuriöses Erlebnis möchten, eine VIP-Lounge mit einer VIP-Kabine und vielen weiteren Annehmlichkeiten im V-Bahn-Projekt realisiert und die Rückmeldungen sind hervorragend.