Die Schweiz ist das Land der Bildung. Und das ist gut so. Ein hohes Niveau an Bildung und Weiterbildung sichert hier Arbeitsplätze und den Standort. Allerdings stellt sich die Frage, mit welchen Zielen Weiterbildung in Anspruch genommen wird. 

Die Schweiz ist bekannt dafür, Aus- und Weiterbildungen in der Wirtschaft ernst zu nehmen. So hat zum Beispiel jede Branche ihre Dach- und Fachverbände, in deren Rahmen Weiterbildung eine zentrale Rolle spielt. Auch die SKBF (Schweizerische Koordinationsstelle für Bildungsforschung) gibt dementsprechend – im Auftrag von Bund und Kantone – alle paar Jahre einen Bildungsbericht heraus, in dem die Bildungslandschaft Schweiz in der Entwicklung gut sichtbar wird. Zudem verfügt die Schweiz über eine grosse Trägervielfalt. Im Weiterbildungsbereich sind öffentliche und private Organisationen ebenso tätig wie Betriebe, selbständige TrainerInnen, gemeinnützige Organisationen und politische, sozialpartnerschaftliche oder weltanschauliche Organisationen. Können wir uns jetzt bequem zurück lehnen? Ich verneine diese Frage. Vorher sollten wir aber noch einen Blick in die Geschichte werfen.

Entwicklung der Bildung
Noch vor 30 Jahren waren die sozialen Hürden zwischen den gesellschaftlichen Schichten sehr hoch. Es war fast unmöglich, bei einer verpassten Matur oder fehlenden Studium jemals Chancen für Beförderung oder Einstellung auf Kader/Führungsniveau auf dem Arbeitsmarkt zu erhalten. In der Bildungslandschaft heute können Menschen ohne oder nur mässiger akademischer Ausbildung im beruflichen Umfeld Verpasstes oder neu entstandene Potenziale mit einem erweiterten Abschluss nachholen. Was durchaus Sinn macht, denn Menschen im Berufsleben werden im 21. Jahrhundert mit allerlei neuen Arbeitsfeldern in immer schnellerem Rhythmen konfrontiert. So sucht der eine oder andere häufig die Möglichkeit, mit einer Weiterbildung, einem weiteren Abschluss (durchaus akademischer Natur) oder einem Kompetenznachweis mitzuhalten. Auf Tertiärstufe der Bildung (Höhere Berufsbildung) wurden im Jahr 2000 bei den Diplomen der höheren Fachschulen noch 3 068 Abschlüsse registriert. Im Jahr 2013 waren es bereits 7 627. Hingegen wurden bei den eidgenösischen Diplomen ein Rückwärtstrend vermerkt, im Jahr 2000 waren es 3 233 und im Jahr 2013 nur noch 2 786.1

Dies spiegelt auch die Wirtschaft, immer mehr Mitarbeitende bilden sich im Laufe des Berufslebens weiter und legen weniger Wert auf eine solide Grundausbildung. Soweit so richtig und wichtig.

Die Sicht von Human Ressources
Neue Mitarbeitende zu finden ist heute eine herausfordernde Tätigkeit. Wie kann zum Beispiel eine Kompetenz in der Phase der Rekrutierung sichergestellt werden? Wir begeben uns dazu in eine praktische Situation. Auf dem Stapel der Bewerbungsdossiers findet sich die Bewerbung einer Kandidatin mit drei verschiedenen, auf einander aufgebauten Abschlüssen auf Niveau höhere Fachausbildung. Die Berufserfahrung liegt bei fünf Jahren. Ein weiterer Kandidat hat 15 Jahre Berufserfahrung im selben Themenbereich mit zwei Beförderungen und eine Weiterbildung auf Niveau eidgenössisches Diplom. Beide im selben Alter. Natürlich werden beide zu einem Erstgespräch eingeladen, denn Sozialkompetenz, Empathie und innere Haltung sind in den Dossiers kaum ersichtlich. Und schliesslich ist es doch eine Sache des Bauchgefühls, der Sympathie und des Augenblicks – so eine mit mir befreundete Personalentwicklerin. Die oft schwierig zu durchschauenden Weiterbildungstürme werden so emotional entschieden.

Innere Motivation oder notwendiges Übel
Gleichzeitig bekommt das Thema Weiterbildung aber oft schon einen inflationären Charakter. Liegt es an der Schnelllebigkeit der Wirtschaft, an den vertieften Anforderungen, an der Lust auf Wissen, dass immer mehr berufstätige Menschen während des Berufslebens sich weiterbilden? Als Trainerin und Coach begegne ich Mitarbeitenden in Unternehmen mit unterschiedlichen Motivationen, denn oft werde ich von den Mitarbeitenden gefragt, wie sie sich zu den Trainingsthemen (im Speziellen: Kommunikation, Verkauf und KundInnenorientierung) weiterbilden können. Auf meine Frage, was sie denn dazu motiviert oder wie sie ihr erlangtes Wissen durch eine Weiterbildung anwenden wollen, höre ich bei vier von fünf Aussagen, sprich 80 Prozent die Antwort im Bereich «mehr verdienen können», «in der heutigen Zeit bist du niemand ohne Weiterbildung» und ähnliche Argumentationsfiguren. Auffällig ist die Häufung der Mitarbeitenden, die die Hirarchieleiter erklimmen wollen, obwohl sie auch Ambitionen auf eine Selbstständigkeit haben. Weiterbildung wird so zum reinen Treibsatz, um die Karriereleiter schneller bewältigen zu können. Mich wundert das, ich finde so nur einen Aspekt berücksichtigt.

Der Auftrag des Unternehmens
Ich komme nicht umhin, mir darüber Gedanken zu machen. Was ist gesellschaftlich und in den Unternehmen sowie bei den Führungskräften passiert, dass der mitarbeitende Mensch sich so vordergründig an rein äusseren Kriterien orientiert? In den Trainings erlebe ich die Mitarbeitenden mit ihren Geschichten, ihrer Laufbahn und ihrer daraus entstandenen Haltungen als erfahrungs- und erlebnisreich, egal in welchem Alter sie sich befinden. Denn Mitarbeitende in der Kommunikation mit KundInnen und LieferantInnen oder Führungskräfte im Kontakt zu ihren Mitarbeitenden brauchen viel an Sozialkompetenz und Empathie und haben sich die auch in grossem Mass aufgebaut. Bei den obengenannten Trainings zeigen sich die meisten Teilnehmenden mit ihren Haltungen, Meinungen und – nicht selten – ihre Beweggründe über die Weiterbildung das Wissen erlangen zu wollen. So erstaunt es mich umso mehr, dass von der Haltung und Motivation zur Weiterbildung meist nur monetäre Ziele oder Anerkennung bleiben. Ist das eine Generationenfrage und ein deutlicher Hinweis auf das Ausmass der Leistungsgesellschaft?

Das Wecken der inneren Motivation
Ich erinnere mich an eine Aussage eines jungen Mannes mit zwei kleinen Kindern. Sichtlich gezeichnet von schlaflosen Nächten und fordernden Situationen sagte er mir, er sei dafür, dass Eltern auch eine Weiterbildung zur Befähigung ihrer Kompetenzen als Vater oder Mutter machen müssten. Er staune, dass er sich als Arbeitskraft überall beweisen muss bevor er einen Job bekommt, sei es mit Erfahrung oder mit Weiterbildung – noch besser mit beidem, aber Vater oder Mutter können alle ohne Leistungs- oder Kompetenznachweis werden. Ich schmunzle bei der Aussage und komme ins Nachdenken, speziell was Führungskräfte betrifft. Was verändert sich, wenn die Motivation für eine Weiterbildung nicht über Leistungsausweis und angestrebte Beförderung gehen würde, sondern massgeblich vom inneren Bedürfnis oder gar Grundbedürfnis geweckt wäre (wie eben Vater- oder Mutterschaft)? Welche Auswirkungen hätte das auf die Arbeitswelt? Wie würden sich die Unternehmen präsentieren? Wie würden die Menschen sich darin bewegen?

Der Spielball liegt im Feld der Führungskräfte. Mit Selbstverständnis Weiterbildung vorzuleben, darf sein. Es ist gang und gäbe, dass die Geschäftsführungen an Weihnachtsfeiern und Jubiläen die Mitarbeitenden in ihren Reden wertschätzen: «Ohne Euch würden wir nicht da sein, wo wir sind», so das übliche Motto. Die Mitarbeitenden nehmen diese Äusserungen leider selten als Wertschätzung wahr. Und auf die Frage, was denn für sie wertschätzend wäre, höre ich meist orientierungslose und diffuse Aussagen. Zeigen diese Beobachtungen eine Spaltung des Systems Unternehmung an? Hier das Management, dort die Mitarbeitenden. Diese Spaltung der Blickwinkel wird mir auch vor Augen gehalten, wenn ich mit den Auftraggebenden die Lernziele des Trainings bespreche. Der Unterschied von Wissens- und Anwendungszielen ist zwar bekannt, jedoch können die Auftraggebenden in den wenigsten Fällen beurteilen, was für ihre Mitarbeitenden angemessen oder realisierbar ist.

Was würde Motivation wecken können? Wie lässt sich das persönliche und eigenmotivierte Bedürfnis zu lernen, sich zu entwickeln und weiterzubilden bestätigen? Wie kann das Vertrauen an den Transfer der Kompetenzen in den beruflichen Alltag gewonnen werden?

Mir fällt da Antoine de Saint Exupéry ein: «Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trom­mle nicht Männer zusammen um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.» Und wenn die Sehnsucht erst mal geweckt ist, kommt ein Zusammenspiel von Erfahrung, Lust zur Herausforderung und Weiterbildung wunderbar zum Tragen.

Anmerkung
1 Quelle: Bundesamt für Statistik, Bildungslandschaft Schweiz, Stand Juni 2015.

Weitere Informationen: www.mdm-training.com