Amalia Zurkirchen ist Geschäftsführerin des Kaufmännischen Verbandes Zürich.

Um 1860 empfahl ein Zürcher Sekundarlehrer, die Töchter des Mittelstandes für einfache Büroarbeiten einzusetzen, damit sie ihre Familie vor der Heirat finanziell entlasten können. Es sollte noch 30 Jahre dauern, bis die Hochkonjunktur und der damit einhergehende Personalmangel den jungen Frauen den Weg in die Bürowelt ebnete – wenn auch nur für einfache und monotone Hilfsarbeiten!

Heute starten jährlich rund 14 000 Jugendliche ins KV – in die nach wie vor beliebteste Lehre der Schweiz – und etwa 55 Prozent davon sind weiblich. Doch wie ist es dazu gekommen?

Um- und Neudenken wird selten durch einzelne Ereignisse ausgelöst, so Erkenntnisse aus der Zukunftsforschung. Viel häufiger sind es sogenannte Megatrends, die tief verankerte gesellschaftliche Strukturen aufbrechen. Dieser Aufbruch findet über mindestens drei Jahrzehnte hinweg statt. Langsam, aber stetig berührt er alle gesellschaftlichen Bereiche: Kultur, Politik, Wissenschaft, Technik und Wirtschaft. Megatrends wirken in unterschiedlicher Intensität global.

Der Megatrend «Gender Shift», zunächst «Female Shift» genannt, bezeichnet die Veränderung hin zu einer Gesellschaft, in der es selbstverständlich ist, dass Mädchen, genauso wie ihre Klassenkameraden, eine Ausbildung ihrer Wahl absolvieren. Der «Gender Shift» betrifft keineswegs nur Frauen, sondern es geht um Gleichberechtigung und Wahlfreiheit für alle. Familien sollen beispielsweise wählen können, wie sie leben. Der Teilzeithausmann muss hier seinen Platz haben ebenso wie die Vollzeitberufsfrau oder umgekehrt – und alles dazwischen.

Es hat sich viel verändert, seit ich meine ersten Berufserfahrungen machte: Die jungen Frauen von heute haben ein Bewusstsein dafür, was ihnen zusteht, und fordern es selbstbewusst ein. Zu Recht: Noch nie waren Frauen so gut ausgebildet wie jetzt. Umso nachdenklicher stimmt es mich deshalb, wie stark Frauen in der Familienphase im Vergleich zu Männern beruflich reduzieren oder ganz aus dem Arbeitsprozess aussteigen. Solange eine Korrelation zwischen hohem Pensum und Karriere besteht, sind Frauen in verantwortungsvollen Positionen stark untervertreten.

Frauen, die beruflich längerfristig gefragt, gefordert und glücklich sein wollen, rate ich deshalb, dass sie ihre Träume hartnäckig verfolgen und sich immer wieder fragen, ob sie auf dem für sie richtigen Kurs sind – beruflich und privat. Elementare Faktoren für meine Karriere waren, dass ich eine Partnerschaft führe, in der wir uns gegenseitig unterstützen, damit beide ihre Ziele verwirklichen können. Meine Vorgesetzten haben mich gefördert und an mich geglaubt. Und ich habe an Orten gearbeitet, wo eine familienfreundliche Unternehmenskultur herrschte.

Wir brauchen mehr solche Arbeitgeber / innen. Der Kaufmännische Verband Zürich setzt sich deshalb seit vielen Jahren für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie für mehr Frauen in Führungspositionen ein.

In der Schweiz sind 99 Prozent der Unternehmen KMU. Sie tragen entscheidend zum wirtschaftlichen Wohlstand und der gesellschaftlichen Stabilität unseres Landes bei. Veränderungen sind mit Unsicherheit verbunden, denn wohlbekannte Pfade muss man hinter sich lassen. Unternehmen können Megatrends aber als Kompass für ihre strategische Ausrichtung nutzen. So bleiben sie für ihre Mitarbeitenden attraktiv und wettbewerbsfähig.

Meiner Meinung nach ist der «Gender Shift» ein Motor des gesellschaftlichen Fortschritts und eine grosse Chance für Unternehmen, um mutig neue Wege zu beschreiten.

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