Die vierte industrielle Revolution wird unser heutiges Verständnis von Export in der Zukunft umwerfen. KMU haben die besten Karten zu reüssieren – wenn sie rechtzeitig mitziehen. Welche Herausforderungen stellen sich? In Zeiten, in denen die Erfolgszahlen nachlassen, war dies die zentrale Frage beim diesjährigen Aussenwirtschaftsforum.

von Georg Lutz

Das Schlagwort Industrie 4.0 erfordert schnell eine Konkretisierung. Daniel Küng, CEO von Switzerland Global Enterprise (S-GE), sprang am Anfang seines Einleitungsvortrags, im Rahmen des Aussenwirtschaftsforums in Zürich, gleich in die Praxis. Es wird, so führte er aus, wie in jeder der vergangenen Industriellen Revolutionen drastische Umwälzungen geben. Er gab dafür gleich ein ­Beispiel. Noch heute würden die meisten Zahntechniker den Zahnersatz nach klassischen Modellen anfertigen. In Zukunft könnten 3-D-Drucker, die digitale Files ­direkt vom Zahnarzt bekommen, diese Aufgaben übernehmen. In der Folge verschwinden alte Geschäftsmodelle und neue entstehen.

Kommen wir zum zweiten Beispiel. ABB, ein weltweit führender Schweizer Anbieter in der Energieversorgung und Automation, hat in den USA, China und Schweden die Fertigung von Robotern aufgenommen. In Roboterproduktionsstätten sieht man direkt in der Fertigung kaum noch Menschen. Das Gleiche gilt für die Fertigung von Stromunterbrechern. Küng war in China und schilderte eindrücklich die Veränderungen in den Arbeitswelten.

Im Zukunftsszenario der Industrie 4.0 wandeln sich heutige lineare Wertschöpfungsketten zu Wertschöpfungsnetzwerken. Basis dafür sind der Austausch von Daten und die Automatisierung von Produktionsprozessen. «Daten sind das Schmiermittel der neuen industriellen Revolution», so Küng. Dies führt dazu, dass Unternehmen gemeinsam innovieren und produzieren können, weitgehend ohne Reibungsverluste zwischen den Organisationen. Für jeden Prozess ist ein Spezialist zuständig, unabhängig von Branche, Grösse oder Entfernung von den anderen Teilnehmern des Wertschöpfungsnetzwerkes.

Diese Zusammenhänge zeigt eine Studie im Auftrag von Switzerland Global Enterprise, die am Aussenwirtschaftsforum vorgestellt wurde. «Die Flexibilität und Nischenkompetenz der Schweizer KMU prädestiniert sie für die Welt der vierten industriellen Revolution. Noch nie hat es so viele Ansatzpunkte für KMU gegeben, international Geschäfte zu machen», fasst Daniel Küng zusammen

Geschäftsmodelle umbauen
Bereits heute hat die schwierige Währungssituation zu einer hohen Agilität und Effi­zienz der Schweizer KMU geführt. Ihre ­Innovationsfähigkeit, ihre hohe industrielle Wertschöpfung und der breite Technologieeinsatz rüsten sie ebenfalls gut für die vierte industrielle Revolution. Dieses Potenzial muss genutzt werden, um die Chancen des Zukunftsszenarios zu nutzen.

«Wer nicht mit der vierten industriellen ­Revolution geht, der wird gegangen. Das gilt nicht nur für die Zulieferer aus MEM und ICT, sondern für alle Branchen», so Daniel Küng. «Doch KMU können schrittweise vorgehen. Schon morgen kann ein CEO eine Weiterbildung buchen für geeignete Mitarbeiter und einen Verantwortlichen ernennen, der die Digitalisierung im Unternehmen vorantreibt. Ein zweiter Schritt ­besteht darin, bereits existierende Tools zu nutzen, um das internationale Business zu digitalisieren, etwa über die von S-GE und Google gestartete Plattform Export Digital.» Längerfristig gelte es, den Kunden im In- und Ausland besser kennenzulernen, über Branchengrenzen hinaus neue Technologien und Geschäftsmodelle zu eruieren und das eine oder andere Experiment zu wagen. Schliesslich müssten KMU auch die Beziehungen zu ihren internationalen Geschäftspartnern und Konkurrenten überdenken, um die Grundlage für mehr Austausch von Daten und Know-how zu schaffen. Je stärker sich eine Organisation digitalisiere, je dringlicher würden zudem Fragen der Sicherheit – Stichwort Cyber Security – und des geistigen Eigentums.

Konkrete Absatzchancen
Die vierte industrielle Revolution schreitet bereits heute schnell voran in vielen wichtigen Exportmärkten der Schweiz. Unabhängig von Produkt oder Service, Branche und Zielmarkt, B2B oder B2C, ergeben sich daraus neue Geschäftsmöglichkeiten für Schweizer KMU, die ihr Geschäftsmodell und ihre Produkte rechtzeitig umbauen.

Insbesondere Technologieunternehmen aus dem MEM- oder ICT-Sektor eröffnen sich in den kommenden Jahren konkrete Chancen, von Industrie 4.0 zu profitieren. Im Traditionsmarkt Deutschland werden in den kommenden Jahren 40 Mrd. Euro in Industrie-4.0-Anwendungen investiert werden, gemäss einer Studie von PwC. Die technologische Vorreiternation USA sowie die Hightech-orientierten Märkte ­Japan, Südkorea und Singapur setzen ebenfalls auf die Digitalisierung ihrer Industrie. Schweizer KMU mit ihrer Reputation für qualitative, präzise Nischenlösungen können hier reüssieren.

«Ein Pfad entsteht dadurch, dass man ihn begeht», betonte Küng am Schluss seiner Key Note. Anschliessend auf der Medienkonferenz wurden auch die Herausfor­derungen und der Druck, gerade auf die produzierenden Branchen in der Schweiz durch den hohen Franken, thematisiert. Noch halten die Schleusen, und die Innovationsfähigkeit Schweizer Unternehmer, um diesen Druck abzumildern, ist beeindruckend. Allerdings könnten die Grenzen der Zumutbarkeit bald erreicht sein. «Noch so ein Ereignis, wie die Aktion der Schweizer Nationalbank im Januar letzten Jahres, hält die Schweizer Wirtschaft nicht aus», so Küng» Dieses Ereignis könnte mit einer Annahme des Brexit in Grossbritannien sehr bald eintreten. Der Aufwertungsdruck auf den Schweizer Franken würde innerhalb kurzer Zeit nochmals zunehmen.

Wieder in der Erfolgsspur
Am Beispiel von Logitech kann man den Aufstieg, Niedergang und die gerade noch rechtzeitig eingeleitete Wende gut beobachten. Logitech war vor 15 Jahren ein Vorzeigeunternehmen der Schweiz in der Hardware-Produktion. Computer brauchten Mäuse und Tastaturen. Allerdings ruhte  man sich auf diesem Erfolg aus und verschlief die Veränderungen der letzten Jahre. Mit dem neuen CEO Bracken Darrell, der auch am Aussenwirtschaftsforum war, g­elang die Wende der umfassenden Sortimentsstraffung. Jetzt stehen aktuelle Produkte wie kabellose Lautsprecher, Computerspielezubehör und Produkte für Videokonferenzen im Mittelpunkt. Das ­stagnierende Geschäft mit PC-Zubehör gibt es weiter, Darell stellte das Geschäft aber auf mehrere Säulen auf, die auch schneller auf neue Entwicklungen reagieren. Wie entwickelt man hier als Unternehmensverantwortlicher eine Sensibilität? Am Aussenwirtschaftsforum gab Darrell seinen Zuhörerinnen und Zuhörern folgende Stichworte mit auf den Weg. Er will zurück zu einer Start-up-Mentalität. Daher lautete sein erster Ratschlag folgerichtig: «Bleibt hungrig.» Die aktuelle industrielle Revolution fordere unsre ganze Aufmerksamkeit: «Be Excited.» Auf jeden Fall sollte das Unternehmen auf der Höhe der Zeit agieren. Dazu braucht es Energie und ­finanzielle Mittel: «ReinventYourself». Dabei sollte immer in Szenarien gedacht und eine Auswahl getroffen werden: «Be Selective» Klassische Unternehmenstanker sind für Darrell uninteressant: «Small is great.»

Die Gewinner sind …
Eine Preisverleihung an Unternehmen, die sich erfolgreich auf ausländischen Märkten bewähren und im Zeichen der neuen industriellen Revolution agieren, gab es last but not least am Aussenwirtschaftsforum ebenfalls. Die Züger Frischkäse AG und die Sky-Frame AG gewinnen den Export Award 2016 von Switzerland Global Enterprise (S-GE) für ihre exzellenten Exportprojekte in Deutschland und den USA.

Die Sky-Frame AG aus Frauenfeld ist Spezialist für rahmenlose Schiebefenster, die unsere heutigen Neubauten zunehmend prägen und eine beeindruckende Architektursprache ermöglichen. Das Motto des Unternehmens aus Frauenfeld lautet «A View not a Window». Das Schweizer Unternehmen eröffnete 2014 seine US-Filiale mit ­eigenem Showroom. Für diesen Markteintritt vergab die unabhängige Jury aus ­Wirtschafts-, Wissenschafts- und Medienvertretern den Export Award in der Kategorie «Step In». Amerikas Bauherren mit hohen Ansprüchen an Design und Qualität lieben die rahmenlosen Schiebefenster «made in Switzerland». Bis fünf Meter hohe Fensterfronten sind möglich. Für den US-Markt musste Sky-Frame diverse neue aufwändige Zertifizierungen erlangen.

Für seinen langfristigen Exporterfolg wurde in der Kategorie «Success» die Züger Frischkäse AG ausgezeichnet. Seit 2008 beliefert die Firma aus Oberbüren SG den deutschen Bio-Fachhandel mit laktosefreien Biomilch-Produkten: Mozzarella, Frischkäse, Quark, Mascarpone, Hirtenkäse und Butter. Der markante grüne ­Balken mit der Aufschrift «laktosefrei» auf den Züger-Produkten hat sich als Markenzeichen für den beschwerdefreien Konsum von Milchprodukten etabliert. Etwa 60 Millionen Franken oder 40 Prozent des Umsatzes erzielt der fünftgrösste Milchverarbeiter der Schweiz heute im Ausland. Die jährlichen Wachstumsraten sind zweistellig.

Weitere Informationen:
www.s-ge.com