Sascha Meier ist Head of Sales & Partnerships Compliance Services bei der EQS Group AG.

Während Whistleblower in der Europäischen Union durch die EU-Hinweisgeberrichtlinie mittlerweile einen besonderen Schutz geniessen, haben sie in der Schweiz wohl auch in Zukunft einen schweren Stand, wenn sie illegales oder unethisches Verhalten im Unternehmen melden. Der Nationalrat folgte im Jahr 2020 nicht dem EU-Vorbild und lehnte einen entsprechenden Gesetzentwurf zum zweiten Mal ab. Dennoch sollten auch Unternehmen in der Schweiz nicht auf ein Hinweisgebersystem verzichten.

Der offizielle Name der EU-Hinweisgeberrichtlinie, die am 16. Dezember 2019 in Kraft trat und bis zum 17. Dezember 2021 durch die EU-Mitgliedsstaaten in nationales Recht umgesetzt werden muss, ist ein wenig sperrig: «Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz von Personen, die Verstösse gegen das Unionsrecht melden». Die Botschaft dahinter ist jedoch eindeutig: Unternehmen sind verpflichtet, Massnahmen zu ergreifen, um Mitarbeitern – aber auch externen Anspruchsgruppen wie Lieferanten oder Kunden – die Möglichkeit zu geben, auf unethische oder illegale Verhaltensweisen hinzuweisen, ohne Sanktionen bis zur Entlassung oder andere Repressalien befürchten zu müssen. Zentrale Massnahme ist dabei ein vertraulicher Meldekanal, den Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitern in der EU einrichten müssen.

Dass die nationale Gesetzgebung keinen Hinweisgeberschutz fordert und die EU-Hinweisgeberrichtlinie keinen Einfluss auf die Tätigkeit von Schweizer Unternehmen innerhalb der eigenen Landesgrenzen hat, bedeutet jedoch nicht, dass diese die EU-Regelungen ignorieren können. Ganz im Gegenteil: Vor allem für international agierende Konzerne in der Schweiz, die Niederlassungen mit mehr als 50 Mitarbeitern im EU-Ausland unterhalten, besteht dringender Handlungsbedarf. Denn sie unterliegen mit ihren Auslandstöchtern EU-Recht und müssen damit bis Ende des Jahres 2021 einen internen Meldekanal einrichten, über den Compliance-Verstösse anonym gemeldet werden können.

Um einen einheitlichen Standard im Unternehmen sicherzustellen, sollte dies jedoch nicht nur in den ausländischen Niederlassungen geschehen, sondern im ganzen Unternehmen. Folglich sollten auch Angestellte in der Schweiz die Möglichkeit haben, Missstände zu melden, ohne dabei ein unkalkulierbares Risiko einzugehen. Denn aktuell müssen diese weiterhin befürchten, aufgrund von Verstössen gegen die arbeitsrechtliche Treuepflicht, den Datenschutz oder Geheimhaltungspflichten zur Verantwortung gezogen zu werden.

Durch die Einführung einer internen Meldemöglichkeit demonstriert ein Unternehmen zudem eine gute Corporate Governance, eine umfassende Risikominimierung und die Schaffung einer Unternehmenskultur, die ein hohes Mass an Ethik und Vertrauen in ihre festgelegten Unternehmenswerte fördert. Und darüber hinaus erfüllen Schweizer Unternehmen damit die Erwartungen und Ansprüche der Konzerne aus der Europäischen Union an die Compliance ihrer Zulieferer und Geschäftspartner.

Wie wichtig Good Governance für die Schweizer Konzerne ist, zeigt auch die zunehmende internationale Kritik am Umgang der Schweiz mit Whistleblowern. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) beschreibt in ihrem Bericht zur Implementierung der Anti-Korruptions-Konvention (März 2018) die Situation in dieser Hinsicht als «kritisch» und den rechtlichen Schutz von Hinweisgebern als «ungenügend». Der Europarat stösst ins gleiche Horn und empfiehlt, einen gesetzlichen Rahmen zum Schutz von Hinweisgebern und gegen deren missbräuchliche Kündigungen zu schaffen.

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