Im April 2019 hat Thomas Christen die operative Leitung der Andermatt-Urserntal Tourismus GmbH übernommen. Christen kennt Andermatt seit Kindsbeinen und weiss, dass es sich stark verändert hat. Das kleine Bergdorf wandelt sich zur internationalen Bergdestination. Mit dem ägyptischen Investor Samih Sawiris hat der Aufschwung im Urner Oberland begonnen mit dem US-Investor Vail Resorts soll er weitergehen. Thomas Christen im Interview über US-amerikanischen Lifestyle, ursener Gemütlichkeit und die Angst vor der Übertreibung.

Autorin: Isabelle Riederer

PRESTIGE BUSINESS: Herr Christen, mit welchen Schlüsselherausforderungen sind Sie als Tourismus-Direktor von Andermatt in den kommenden Jahren konfrontiert?

Thomas Christen: Es gibt viele Schlüsselherausforderungen, die in den nächsten Jahren auf uns zukommen. Wenn man für eine Destination wie Andermatt arbeiten darf, die sich in einem ständigen Aufwärtstrend befindet und sich von einem ruhigen, beschaulichen Ort hin zu einer immer grösser werdenden, internationalen Destination wandelt, sind die Herausforderungen vorgegeben. Dazu gehören das Siedlungsbild und die Verkehrssituation. Diese Themen müssen wir zusammen mit unseren Kooperationspartnern, der Gemeinde, mit Vail Resorts, mit Andermatt Swissalps und der Bevölkerung angehen, damit unsere Destination gesund weiterwachsen kann.

Mit Vail Resorts ist in Andermatt ein sehr bekannter US-Investor eingestiegen. Es ist das erste Mal, dass Vail Resorts in Europa tätig wird. Was bedeutet das für Andermatt?

Zu dem stetigen Prozess des Wandels, den wir in Andermatt in den letzten Jahren vollzogen haben, kommt mit Vail Resorts ein neuer Partner hinzu – ein Partner, der bisher in Europa noch nicht Fuss gefasst hat, der eine andere Kultur mitbringt. Ob es positiv oder negativ für Andermatt ist, kommt immer auch darauf an, mit wem man spricht. Grundsätzlich ist es aber sehr spannend und wir freuen uns, dass mit Vail Resorts neue und kreative Ideen kommen, aber auch harte Diskussionen, die auf eine komplett andere Schweizer Kultur treffen. Selbstverständlich gibt es auch Herausforderungen, bei denen man sich vielleicht nicht einig wird, aber der Deal ist in trockenen Tüchern und die «Vailer» installieren sich jetzt sukzessive hier. Wir haben alle das gleiche Ziel, eine bestmögliche Partnerschaft miteinander aufzubauen. Das ist unsere Aufgabe und wir alle sind daran interessiert, langfristig zu funktionieren.

Sie sprechen die kulturellen Unterschiede an. Es gibt Stimmen, die befürchten, dass Andermatt zu einem alpinen «Disneyland» verkommen wird. Was sagen Sie dazu?

Es gibt ganz viele Visionen, die Menschen haben, und es gibt Menschen, die lieben Disneyland, und andere Menschen nicht. Ich gehe aber nicht davon aus, dass Andermatt zu einem Disneyland wird. Einerseits gibt es Gesetze, an die wir uns halten müssen, diese betreffen bauliche und ökologische Vorschriften. Zudem haben wir Vereinbarungen im Bereich Umweltschutz und Kulturschutz, die seit vielen Jahren bestehen und auch in Zukunft bestehen werden. Sicher ist, in Andermatt wird es kein Disneyland geben, dennoch muss man auch beachten, dass wir Investoren haben, darunter auch Samih Sawiris und seine Partner, die bald 1.8 Milliarden Franken investiert haben werden, und dann zu glauben, dass sich nichts verändern wird, wäre leicht naiv. Es werden Wachstumsveränderungen auf uns zu kommen. Es werden neue Hotels und Zweitwohnungen gebaut, in zwei Jahren wird bereits ein weiteres toppmodernes Hotel eröffnet. Damit kommen auch mehr Leute in unsere Region.

Aber Investoren sind natürlich auch interessiert daran, Gewinn zu machen …

Wir alle verdienen Geld, entweder als Arbeitnehmer, als Unternehmer, als Aktionär oder als Investor. Wir leben in einem monetären System, das ist nichts Neues. Ich glaube nicht, dass es eine Tatsache ist, dass unsere Investoren Gewinne machen wollen, sondern die Angst, dass man übertreibt. Diesbezüglich ist es wichtig, dass wir zusammen mit den Partnern aufmerksam bleiben und im richtigen Moment auch Stopp sagen können. Als Aktiengesellschaft hat man auch eine Verantwortung gegenüber seinen Aktionären und wird am Gewinn gemessen, das ist nun mal so. Die Schweiz ist durch dieses System reich geworden und wir geniessen diesen Reichtum auch – wo Licht ist, kann auch Schatten sein.

Wie wichtig ist der Fremdenverkehr als Wirtschaftszweig für Andermatt?

Es ist der Hauptwirtschaftszweig. Der Kanton Uri hat bisher noch keine Studie in Auftrag gegeben, der die Wertschöpfung des Tourismus genauer analysiert, wir arbeiten aktuell aber daran. Wenn man jedoch die letzten Jahre und die Entwicklung der Gemeinden im Urner Oberland im Speziellen anschaut, sind diese teilweise komplett entschuldet oder sogar im Plus. Zum Beispiel hat die Gemeinde Realp einen Pro-Kopf-Gewinn von erfreulicher Höhe und Andermatt bezahlt mittlerweile rund eine Million Franken Finanzausgleich an den Kanton Uri und ist damit der stärkste Finanzausgleichszahler im Kanton. Diese Zahlen machen klar: Durch den Aufschwung, den Samih Sawiris zusammen mit zahlreichen anderen angestossen hat, die ebenfalls investieren, floriert das Urner Oberland zu Gunsten des ganzen Kantons.

Welche Rolle spielen Bergbahnen für Andermatt?

Das ist ein bisschen wie Yin und Yang. Alle Bergdestinationen, die Bergbahnen haben, sind mit diesen auf Gedeih und Verderb verknüpft. Sie schaffen so viele Arbeitsplätze und bieten enormes touristisches Potenzial für Sport- und Freizeitaktivitäten. Es ist eine Symbiose in den Bergen, weshalb auch zahlreiche Destinationen an defizitären Bahnen festhalten, weil man weiss, dass gesamtwirtschaftlich gesehen der Schaden kleiner ist, wenn man ab und zu eine Finanzspritze gibt, anstatt die Bergbahn aufzugeben. Hinzu kommt je nach Standort, dass ein Fehlen einer Bergbahn zu massiven Preisabschlägen bei Immobilien führen kann und die Standortattraktivität fällt.

Zahlreiche Destinationen versuchen, das ganze Jahr über Besucherinnen und Besucher anzulocken. Ist Andermatt eine Ganzjahresdestination?

Grundsätzlich ja, wir haben Schwankungen innerhalb eines Jahres, die wir mit Zusatzangeboten ausgleichen möchten. So versuchen wir gerade in den schwächeren Monaten April, Mai oder November, die Menschen mit Events, Seminarangeboten oder Konzerten in unsere grossartige Konzerthalle nach Andermatt zu holen. Das ist übrigens auch eine der grossen Herausforderungen, welche alle Gebirgsdestinationen haben, die Natur der Jahreszeiten spielt da mit.

Nachhaltigkeit und Umweltschutz spielen auch im Tourismus eine immer wichtigere Rolle. Wie gehen Sie diese Themen an?

Wir sind uns bewusst, dass Lippenbekenntnisse nicht mehr ausreichen. Wir haben uns klar für einen nachhaltigen Tourismus ausgesprochen, aber auch Andermatt Swissalps hat sich dafür ausgesprochen und ein konkretes Programm erarbeitet. Wir müssen aber auch ehrlich sein, der Tourismus verursacht nun mal einen gewissen Schaden, wie auch der Pendlerverkehr oder das Bauen von neuen Immobilien. Wir versuchen, diesen Schaden zu minimieren oder zu optimieren, das ist die grosse Herausforderung zusammen mit unseren Partnern. Wir wissen, dass wir hier noch viel Arbeit vor uns haben, und stehen auch dazu. Wir wollen keine Augenwischerei betreiben, aber man muss sich auch bewusst machen, dass nachhaltige Projekte nicht von heute auf morgen umgesetzt werden können.