Versicherungen und ihre Produkte gelten als konservativ. Jetzt sind sie aber mitten in einem Umbruchprozess angekommen. Zentrales Stichwort ist hier die digitale Transformation. Wie bekommt man die konservative Grundlage mit dem innovativen Zeitgeist zusammen? Wir führten nicht nur dazu ein Interview mit Reto Näscher, dem CEO der prosperity company, unter dessen Dach sich auch die Liechtenstein Life Assurance AG befindet.

Viele, auch ich, kennen Ihr Haus als Liechtenstein Life Assurance AG. Das ist ein Anbieter für fondsgebundene Produkte wie Lebensversicherungen zur Altersvorsorge und Risikoabsicherung. Sie sind dort mit Partnern als Investor eingestiegen. Für mich haben Lebensversicherungen eine sehr konservative Tönung. Sie haben trotzdem eine innovative Chance gesehen. Warum?

Als wir vor fünf Jahren eingestiegen sind, haben wir uns diese Frage auch gestellt. Lebensversicherungen hatten in der Vergangenheit immer wieder mit einer teilweise negativen Wahrnehmung bezüglich Transparenz, Kosten und Komplexität zu kämpfen. Wir haben aber in der Situation eher die Chancen gesehen.

Aus welchem Grund?

Das Thema Altersvorsorge ist eines der wichtigsten Themen, dem sich die Gesellschaft der Schweiz stellen muss. Und das Thema wird in den kommenden Jahren, unter anderem durch den demografischen Wandel, noch stärker an Brisanz gewinnen. Wir bieten unter anderem in der Schweiz 3a- und 3b-Altersvorsorgeprodukte an und haben dadurch die Möglichkeit, mit unseren Produkten Teil der Lösung dieser Herausforderungen zu sein. Gleichzeitig zielen unser Ansatz und unsere Philosophie darauf ab, Lebensversicherungen und andere Altersvorsorgeprodukte in ein positives Licht zu stellen. Es geht beispielsweise um hohe Transparenz, Kundennähe und klare Gebührenstrukturen. Jetzt kann man diskutieren, ob das innovativ oder selbstverständlich ist. Bei Lebensversicherungen zählt leider das erste Stichwort. Aus diesen Gründen haben wir mit einem anderen Ansatz eine Chance gesehen. Daher sind wir 2016 eingestiegen. Wir wollten und wollen ein Anbieter mit einfachen, klaren und fairen Produkten sein. Dabei ist für uns das Thema Digitalisierung ein Schlüsselelement.

Jetzt haben Sie sich zu einer Plattform entwickelt und sprechen von einem «digitalen Ökosystem». Das gilt es zu erklären.

Das Ökosystem besteht bei uns aus mehreren Komponenten. Wir haben eine Beziehung zum Broker und zum Endkunden. Operativ haben wir eine Plattform für den Endkunden geschaffen. Dort kann er mithilfe einer App seine Police verwalten und weitere Aktionen, beispielsweise Zuzahlungen in seine Altersvorsorge, tätigen. Gleichzeitig haben wir eine Plattform für den Broker erstellt. Über diese erhält er vertriebsunterstützende Services sowie Datenanalysen – selbstverständlich digital. Zudem gibt es Beratungsbereiche und Verknüpfungen zur Kundenplattform. Das ist für uns ein digitales Ökosystem.

Können Sie uns, was die Verknüpfungen angeht, ein Beispiel aufzeigen?

Wenn der Kunde bei uns eine Adressänderung tätigt, dann ist der Broker über das Brokerportal auch mit an Bord. Der Kunde kann jederzeit mit seinem Broker kommunizieren und beide sind auf gleicher Augenhöhe informiert.

Im Zusammenhang mit Ihrem Hause fällt ein weiterer Begriff, den es zu erklären gilt: «Reversed Start-up».

Lichtenstein Life ist kein Start-up, sondern seit Jahren auf dem Versicherungsmarkt tätig. Aber das Unternehmen, welches die App sowie das Brokerportal entwickelt hat und betreibt, schon. Es gibt in unserer Dachkonstruktion mit verschiedenen Unternehmen einige Start-ups, aber auch etablierte Player. Daher kommt der Begriff «Reversed Start-up». Das heisst, wir haben uns zuerst an einem etablierten regulierten Unternehmen beteiligt und danach um das Unternehmen Start-ups gegründet. Es geht dabei aber nicht nur um den Zeitpunkt der Gründung, sondern – viel wichtiger – um ein Mindset. Als Versicherung sind wir eher konservativ aufgestellt. Im Rahmen der digitalen Transformation mit unseren Start-ups kommt es aber auf Innovation und Kreativität an. Es geht hier, um es mal auf den Punkt zu bringen, auch um «thinking out oft the box». Da brauchen wir andere Teams mit anderen Fähigkeiten als bei klassischen Versicherungsfragen. Die Kunst ist nun, beides unter einem Dach produktiv zu versammeln.

Nochmals zum Thema «Reversed Start-up». Kennen Sie Unternehmen aus der Finanzbranche wie N26 oder wefox?

Sind das Fintechs?

Das sind Beispiele für die neuen digitalen Marktteilnehmer unserer Branche. Bei N26 geht es um Kontoführung via Smartphone. Zuvor haben die Verantwortlichen eine Plattform und Apps erstellt und dann erst ein reguliertes Unternehmen erworben. Bei uns war es umgekehrt. Wir hatten zunächst ein klassisches reguliertes Unternehmen übernommen und sind dann in die digitale Welt vorgedrungen.

Sie sprechen in diesem Zusammenhang auf Ihrer Webseite von einem kulturellen Wandel. Beinhaltet dieser nicht Fliehkräfte, die die Statik des Unternehmens ins Wanken bringen können? Ich habe in Ihrer Branche immer noch den jungen konservativen Mann im Kopf, der jetzt plötzlich ganz anders ticken muss. Zudem ist ja der Homo sapiens ein Gewohnheitstier. Jetzt steht er aus meiner Sicht nicht nur vor einem kulturellen Wandel, sondern einer Kulturrevolution. Wie gehen Sie damit um?

Dieser Wandel ist tatsächlich nicht nur unsere grösste Herausforderung. Da geht es um Menschen. Über die letzten Jahre haben wir unterschiedlichste Mittel und Tools eingesetzt. Das reicht von Schulungen bis zur Darstellung von Prozessen. Dabei stand der Mehrwert für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Vordergrund. Nur wenn man hier erfolgreich agiert und die Mitarbeiter von der digitalen Transformation überzeugt, kommt man weiter, sonst sind Misserfolge vorprogrammiert. Gleichzeitig gilt es auch, den Kunden und Brokern den Mehrwert der digitalen Transformation klar aufzuzeigen. Das ist die Grundlage für den Erfolg. Sie mindern dann bei den meisten Beteiligten die Angst und die Vorurteile und wecken in der Folge die innovativen Potenziale. Es gibt eine Minderheit, die erkennt, dass es nicht ihr Weg ist. Das ist leider so, trägt aber auch zur Klarheit bei. Bei den Neueinstellungen achten wir auf die Kompatibilität mit dem Mindset und die Offenheit gegenüber dem Wandel.

Welche Auswirkungen hatte die Pandemie?

Die Pandemie hat ja der Arbeitswelt nochmals einen Stoss in Richtung digitalen Change verpasst. Da können wir uns nur bestätigt fühlen. Lassen Sie mich dazu nur noch ein Beispiel erwähnen. Mittlerweise beschäftigen sich rund 30 Prozent unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Datenanalyse und IT. An solch einem Punkt erkennt man den Weg, den wir schon vorangekommen sind.

Das Wettbewerbsumfeld Ihrer Branche ist anspruchsvoll. Da sind einige Player mit grossen Kriegskassen unterwegs. Auch dort steht Digitalisierung auf der Agenda. Was macht Sie zuversichtlich?

In der Tat gibt es viele sehr grosse Tanker in unserem Marktumfeld, die auch finanziell gut aufgestellt sind. Aber wenn man auf so einem Tanker ein IT-Projekt umsetzen will, braucht das Aufwendungen, die alle viel Zeit kosten. Da sind wir, um im Bild zu bleiben, lieber auf einem Schnellboot unterwegs, welches flexibler und schneller manövrieren kann. Auch die Datenqualität spielt hier eine Rolle. Das hat sich gerade im Zeichen der Pandemie gezeigt. Wir konnten Partnern, die stark von den Lockdowns betroffen waren, schnelle Lösungen und Massnahmen anbieten.

Es geht hier also nicht nur um das Reagieren, sondern auch um das Agieren?

Exakt, es geht darum, unseren Partnern proaktiv Lösungen für ihre Herausforderungen anzubieten.

In Ihrer Branche liest man immer mehr von Nachhaltigkeit und grünen Produkten. Sie haben hier sicher auch Angebote?

Ja, wir haben im Frühjahr 2021 unsere erste grüne Police an den Start gebracht. Es geht dabei um nachhaltige und ESG-konforme Produkte (Environment, Social und Corporate Governance). Uns ist es aber wichtig, nicht nur grüne Produkte im Angebot zu haben, sondern auch hier das Mindset selbst zu leben.

Sie wollen nicht in die Greenwashing-Falle treten?

Ja, denn es geht um Umwelt- und Sozialstandards bei uns selbst. So kompensieren wir unseren CO2-Ausstoss. Wir vermeiden Plastikflaschen und kaufen Früchte mit Fair-Trade-Siegel. Auch die Geschäftsreisetätigkeit nimmt bei uns ab. Das sind einzeln betrachtet Peanuts. In der Summe verändern wir aber etwas in den Köpfen. Von Kundenseite gibt es beide Sichtweisen. Es gibt einige, die auf einen Trend setzen, und andere, die sich wirklich mit dem Thema auseinandersetzen. Bei einem Vorsorgeprodukt habe ich ja einen Horizont, der über mehrere Jahrzehnte reicht. Da habe ich eigentlich ein Interesse daran, dass diese Welt auch in der Zukunft lebenswert ist. Der Markt für grüne Produkte wird drastisch steigen. Das Bewusstsein ändert sich und dadurch auch die Handlungsoptionen. Ökologie ist heute kein Thema mehr für wenige Bürgertöchter und -söhne. Die Auswirkungen des Klimawandels sind ja jetzt schon sichtbar.

Kommen wir zum Thema Zukunft. Wohin wird sich der Markt Ihres Hauses verändern?

Altersvorsorge und Versicherungsfragen beziehen sich auf komplexe und sehr private Fragestellungen. Daher wird es in absehbarer Zukunft auch noch den Broker mit seinen ganzen Kompetenzen geben. Allerdings wird die digitale Transformation weiter an Fahrt gewinnen. Der Beratungs- und Abschlussprozess bekommt viel mehr digitale Komponenten.

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