Im Rahmen der Kreislaufwirtschaft ergeben sich spannende Geschäftsmodelle.

Die Abfallberge steigen. Ursachen sind stetiges Wachstum von Bevölkerung und Wirtschaft im Rahmen eines linearen Wirtschaftsmodells, Industrialisierung, Urbanisierung und immer kürzere Produktezyklen. Dabei werden über 80 Prozent der Abfälle heute entsorgt. Die Kreislaufwirtschaft kann dieser Entwicklung einen nachhaltigen Impuls entgegensetzen. Ziel ist es, den Wert von Produkten, Stoffen und Ressourcen möglichst lange im Wirtschaftssystem zu halten.

Das internationale Experten-Panel des UN-Umweltprogramms schätzt die Menge an Ressourcen, die jedes Jahr der Erde entnommen werden, auf die kaum vorstellbare Menge von 70 Milliarden Tonnen. Trotz aller Bemühungen um eine effizientere Nutzung dieser Ressourcen wird diese Menge bis zum Jahr 2050 auf 200 Mrd. Tonnen ansteigen – mit absehbar katastrophalen Folgen für die Umwelt in Form von Klimawandel oder Verlust von Biodiversität und ebenso für den Menschen, wenn Trinkwasser und nutzbare landwirtschaftliche Ackerfläche immer knapper werden. Ein zentraler Treiber ist dabei unser lineares Wirtschaftsmodell: Wir produzieren Rohstoffe, nutzen sie für eine oft erschreckend kurze Zeit, um sie anschliessend zu entsorgen.

Vor diesem Hintergrund ist die Transformation zur Kreislaufwirtschaft, in der der ökonomische Wert und die enthaltenen Ressourcen von Produkten am Ende ihrer Nutzungsphase so gut wie möglich erhalten bleiben, eine unabdingbare Notwendigkeit für eine tatsächlich nachhaltige Entwicklung. Die Europäische Kommission hat einen Aktionsplan Kreislaufwirtschaft mit ambitionierten Zielen vorgelegt, infolge dessen haben verschiedene Mitgliedsstaaten eigene Kreislaufwirtschaftsstrategien entwickelt. Auch in der Schweiz gibt es dazu konkrete Überlegungen. Am 1. Oktober analysierte das 32. Life Fair Forum die Potenziale. Um eine solche Vision einer Ressourcen-effizienten Kreislaufwirtschaft jedoch tatsächlich in der Praxis umzusetzen, wird eine umfassende Transformation unserer Produktions- und Konsummuster notwendig sein – die Grössenordnung des notwendigen Wandels scheint den Beteiligten dabei erst langsam bewusst zu werden. Ein Teil der Aufmerksamkeit, die der Kreislaufwirtschaft in den vergangenen Jahren zuteil geworden ist, liegt mit Sicherheit auch in der scheinbaren Einfachheit des Konzepts. Betrachtet man jedoch die bisher weitgehend erfolglosen Bemühungen genauer – noch immer kommen nur circa 14 Prozent unserer Rohstoffe aus Recyclingprozessen –, so zeigt sich immer deutlicher die Kunst eines solchen Transformationsprozesses als koordinierte Veränderung auf verschiedensten Ebenen.

Leihen statt kaufen
Eine tatsächliche Kreislaufwirtschaft wird dabei weit über Verbesserungen im Abfallmanagement und der Abfalltechnik hinausgehen müssen, wie sie über Sammel- und Recyclingquoten erreicht werden können – stattdessen werden neue Kreislauf-orientierte Geschäftsmodelle notwendig werden. Und tatsächlich wurde die Kreislaufwirtschaft in den letzten Jahren insbesondere von ökonomischen Faktoren beziehungsweise möglichen Kosteneinsparungen getrieben, wie sie zum Beispiel von McKinsey errechnet wurden: So sollen die europäischen Unternehmen durch eine konsequente Kreislaufwirtschaft bis zu 600 Milliarden Euro pro Jahr einsparen und damit ihre globale Wettbewerbsfähigkeit sichern können. Der Ansatz der Abfallpolitik lag dabei lange auf der Einbindung der Hersteller über die sogenannte «erweiterte Herstellerverantwortung»: Indem die Hersteller für die Nachnutzungsphase ihrer Produkte verantwortlich gemacht wurden, indem sie zum Beispiel für die Sammlung und Verwertung von Verpackungsabfällen sorgen müssen, sollten Anreize für ein Recycling-freundliches oder langlebiges Produktdesign gesetzt werden. Wenn die Kosten für den Müll nicht mehr wie früher von der Gesellschaft getragen werden, sollten sich damit auch ganz neue Geschäftsmodelle rechnen: Wenn sich der Gewinn eines Unternehmens aus dem simplen Verkauf immer neuerer Produkte ergibt, sind besonders langlebige Produkte natürlich Gift fürs Geschäft. Rentiert sich dieses Geschäftsmodell nicht mehr, weil das Unternehmen für die Entsorgung dieser Schrottprodukte bezahlen muss, mag es stattdessen viel rentabler sein, hochwertige und langlebige Produkte nur zu verleihen oder sie gemeinschaftlich nutzen zu lassen. Beim Konzept der «Mud Jeans» kauft man beispielsweise keine Hose, sondern leiht sie für 7.50 Euro im Monat und gibt sie zurück, wenn man sie nicht mehr weiternutzen will – damit kann sie entweder weitergenutzt oder hochwertig recycelt werden.

Datenmanagement und Abfall
Für viele ähnliche Produkte und insbesondere auch für den Einsatz von recycelten Materialien scheinen die ökonomischen Anreize für zirkuläres Wirtschaften damit eigentlich gegeben, das Geld scheint praktisch auf der Strasse zu liegen – trotzdem setzen die allermeisten Hersteller noch immer auf lineares Design und lineare Geschäftsmodelle. Gewohnheit und Investitionen in bestehende Anlagentechnik mögen hierfür Gründe sein, es lässt sich aber insbesondere feststellen, dass Wirtschaften in Kreisläufen neue und zusätzliche Informationsbedürfnisse schafft: Wo bleiben meine Produkte, die ich wieder zurückhaben möchte? Wann werden sie als Abfall anfallen, sodass ich die darin enthaltenen Rohstoffe wieder einsetzen kann? Wie garantiere ich die Qualität von Sekundärrohstoffen, die ich aus Abfällen zurückgewinnen kann? Bei Primärrohstoffen stellen sich ähnliche Fragen, sie sind jedoch einfacher zu beantworten: Die Kostenvorteile der Kreislaufwirtschaft werden damit häufig durch das Sammeln und Evaluieren von Informationen und Daten aufgefressen. In der simplen Welt des Homo oeconomicus sind Informationen jederzeit und kostenfrei zugänglich, in der Realität sind es solche Transaktionskosten, die dazu führen, dass wir zu 86 Prozent auf neue Rohstoffe setzen und damit noch weit entfernt sind von einer echten Kreislaufwirtschaft.

Gleichzeitig zeigt sich genau hier das enorme Potenzial, das die Digitalisierung für die Kreislaufwirtschaft haben könnte: Das Sammeln und Management von Daten wird durch immer bessere Sensoren wie durch effizientere Datenverwaltung immer billiger, wodurch sich das Denken und Produzieren in Kreisläufen zunehmend schneller rechnen könnte. Sollte es zum Beispiel in Zukunft gelingen, die Daten über die exakte stoffliche Zusammensetzung eines Produktes über den gesamten Lebenszyklus hinweg mitzutransportieren und nicht wie bisher am Werkstor «vergessen» zu lassen, so wüsste der Recycler viel genauer, wie er aus diesem Produkt ein möglichst hochwertiger Sekundärrohstoff herstellen lassen könnte. Die Industrie 4.0 wird damit auch die Kreislaufwirtschaft revolutionieren – kaum etwas sagt so viel über einen Menschen aus wie seine Mülltonne: was er isst, was er für Hobbys hat, wie viel Geld er verdient … Diese Daten werden in der Informationsökonomie zu einem Schatz, den die Abfallwirtschaft in Zukunft bergen wird. Deutschland und die Schweiz sind zu Recht stolz auf ihre technische Abfallinfrastruktur; wir müssen jedoch dringend deutlich mehr aus unserem Abfall machen – da liegen mittlerweile Länder wie die Niederlande, England oder Frankreich vor den alten «Recyclingweltmeistern». Mit die spannendsten Abfall-Start-ups entstehen mittlerweile im Silicon Valley – so zumBeispiel Rubicon, das als prominentestes Beispiel eines IT-Abfallunternehmens mit einer Verknüpfung von Datenmanagement und Abfalldienst­leis­tungen auf über eine Milliarde Dollar Börsenwert geschätzt wird. Gleichzeitig suchen deutsche Start-ups verzweifelt nach Investoren, die den Wert solcher Technologien in einem Land verstehen, das meint sein Müllproblem längst technisch gelöst zu haben …

Zielvorgaben setzen
Damit wird auch bereits klar, dass es die neuen Geschäftsmodelle alleine nicht richten werden. Solange die Preise für Primärrohstoffe weit davon entfernt sind, die «ökologische Wahrheit» zu sagen und in vielen Teilen der Welt nach wie vor die ungeregelte Deponierung es so billig und einfach macht, Abfälle loszuwerden, wird sich die Kreislaufwirtschaft nicht von selbst durchsetzen. Die Idee einer Kreislaufwirtschaft ist ein gigantisches und im Erfolgsfall hoch rentables Investitionsprojekt, dass die Zukunftsfähigkeit unserer Industrie sichern kann – damit die dafür notwendigen Investitionen in Forschung & Entwicklung und notwendigen Infrastrukturen auch tatsächlich getätigt werden, bedarf es langfristig klarer Zielvorgaben und der tatsächlichen Umsetzung bestehender Gesetze in allen europäischen Mitgliedsstaaten. Gesucht werden daher dringend die kreativen Unternehmer, die den Handlungsdruck auf die Politik mit überzeugenden Kreislauf-Konzepten weiter erhöhen und sich gleichzeitig in einem der spannendsten Zukunftsmärkte positionieren.

www.wupperinst.org 

Dr. Henning Wilts ist Leiter der Abteilung Kreislauf­wirtschaft am Wuppertal Institut in Wuppertal (D).