Es ist das rebellische Kind in Richemonts Portfolio: Roger Dubuis. Laut, unkonventionell und spielerisch. Und mit ihm im Sandkasten sitzt Sadry Keiser als Marketing- und Kommunikationsdirektor. PRESTIGE Business traf den kühnen CMO auf dem Spielplat der Uhrenindustrie, der Genfer Schmuck- und Uhrenmesse «Watches & Wonders». Im Interview teilt Keiser Einblicke in seine vielseitige berufliche Laufbahn, in die Bedeutung von persönlichen Beziehungen in der Markenkommunikation und in die Identität von Roger Dubuis, die auf einem tiefen Gefühl der Zugehörigkeit basiert.
PRESTIGE BUSINESS: Herr Keiser, Sie haben einen vielseitigen beruflichen Hintergrund, der vom Eventmanagement über den Handel bis hin zur technischen Seite der Uhrenherstellung reicht. Wie beeinflusst diese Vielfalt Ihre Herangehensweise an Marketing und Kommunikation bei Roger Dubuis?
Sadry Keiser: Zunächst einmal bin ich ein reines Uhrenkind. Ich habe meine gesamte Karriere in der Uhrenindustrie verbracht, zwar in verschiedenen Verantwortungsbereichen, anfangs im Marketing, dann bin ich auf die dunkle Seite der Industrie gewechselt, die viel industrieller und technischer ist. Dort blieb ich fast 15 Jahre. Auch wenn ich kein Techniker bin, habe ich in dieser Zeit gelernt, was eine Uhr wirklich auszeichnet, und habe eine regelrechte Leidenschaft dafür entfesselt. Und jetzt, da ich wieder bei meiner ersten Liebe, dem Marketing, bin, geht es darum, wie wir diese Leidenschaft und Obsessionen
so nah wie möglich an das Publikum, die Kunden, die Fans heranbringen können. Meine Mission ist es, die Türen zu öffnen, Gespräche zu führen und unsere Identität zu erklären, um eine Verbindung zu potenziellen Kunden herzustellen.
Diese Türen halten Sie aber manchmal auch gerne etwas verschlossen. Roger Dubuis verzichtet im Gegensatz zur Konkurrenz auf grosse Kampagnen und Werbegesichter. Ein bewusster Marketingzug, nehme ich an?
Du kannst Millionen für Werbekampagnen ausgeben, aber das hat kaum Einfluss auf potenzielle Kunden. Deswegen investiere ich lieber in Beziehungen als in einseitige Marketingaktivitäten. Wenn man Zeit mit Menschen verbringt, entstehen qualitative
Gespräche. Es gibt keine riesigen Werbetafeln für Roger Dubuis, gemeinsame Zeit ist viel wertvoller. Wir setzen uns dafür ein, dass sich die Kunden bei uns wohl fühlen und wir ihnen erklären können, warum wir anders als unsere Konkurrenz sind. Es geht darum, eine Bindung zu unserer Zielgruppe aufzubauen.
Sie bezeichnen Ihren Kundenstamm gerne als «Tribe». Könnten Sie uns näher erläutern, welcher Idee diese Bezeichnung zugrunde liegt und wie Sie die Beziehung zu Ihren Kunden aufbauen und pflegen?
Es geht um ein Gefühl der Zugehörigkeit. Dieses Konzept ist tief in den Werten des Unternehmens verwurzelt und geht zurück auf die ersten Uhren von Roger Dubuis, die mit dem Schriftzug «Just For Friends» graviert waren. Sogar hier in unserer Lounge bei
«Watches&Wonders» ist dieser Slogan zu finden. Dieses Gefühl, die Tatsache, dass wir alle zur selben Familie gehören, ist ein wichtiger Teil, selbst aus Arbeitgebersicht. Das Team und das Dasein sind von grosser Bedeutung. Die gleiche Authentizität und Nähe suchen wir auch zu unseren Kunden. Wir setzen nicht auf grosse prominente Ambassadors, denn für unsere Kunden ist es wichtiger, sich als Teil einer Gemeinschaft zu fühlen, als oberflächliche Begegnungen mit Berühmtheiten zu haben. Unsere Kunden sind in irgendeiner Form alle erfolgreich, und wir wollen keine Diskrepanzen. Der Stammesgedanke ist also entscheidend für uns.
«Es geht nicht darum, Tradition abzulehnen, sondern darum, ihr eine Chance zu geben, sich weiterzuentwickeln.»
Und diesem Stamm beizutreten, ist nicht besonders einfach. Ihre Uhren sind streng limitiert und meist in kürzester Zeit ausverkauft.
Die begrenze Distribution und Produktion unserer Zeitmesser gehören zu unserer Identität. Natürlich ist es einfacher, zum selben Preis zehn Uhren zu verkaufen als 100 Uhrenpaare, aber wir benötigen viel Zeit für die Herstellung dieser komplizierten Uhren, was die Idee der Seltenheit unterstützt. Es ist eine objektive Seltenheit, nicht künstlich erzeugt. Selbst mit den modernsten Technologien könnten wir nicht mehr produzieren, als wir es bereits tun. Es gibt eine Nachfrage, aber aufgrund unserer künstlerischen Ausdrucksweise kann es manchmal länger dauern, bis die richtigen Kunden gefunden werden. Es ist wie eine menschliche Beziehung: Manchmal entsteht sofort eine Verbindung, während es in anderen Fällen mehr Zeit braucht. Und es ist in Ordnung, wenn es mal länger dauert, den richtigen Kunden zu finden, solange wir unsere ästhetischen Standards nicht kompromittieren. Das gehört dazu.
Suchen Sie also auch effektiv nach den richtigen Käufern?
Absolut. Dies trägt zu dem Gefühl der Zugehörigkeit bei, von dem wir zuvor
gesprochen haben. Denn wir wissen, dass die glücklichen Besitzer der Uhren zumindest einige gemeinsame Werte teilen, auch wenn sie geografisch, national oder kulturell verschieden sind.
Welche Werte sind das?
Sie sind sozial und lieben Interaktionen, schätzen ihre Persönlichkeit und möchten,
dass unsere Marke zu ihrer Individualität beiträgt. Wenn eine Uhr sie einzigartiger
macht, ist das für sie wertvoll, ansonsten nicht. Es geht also eher um das psychologische Profil unserer Kunden als um typische Merkmale wie Geschlecht, Alter und Nationalität. Beim Kauf von Luxusgütern geht es immer um Emotionen und weniger um Funktionen. Aber Trends der emotionalen Intelligenz vorherzusagen, ist beinahe unmöglich, was gleichzeitig die Schönheit unserer Industrie ausmacht.
Ist eine Uhr nun ein Accessoire oder die Definition der Persönlichkeit?
Früher war es einfacher, anhand einer Uhr auf die Persönlichkeit einer Person zu
schliessen. Da hiess es: «Zeig mir deine Uhr und ich sag dir, wer du bist.» Heute ist es
komplexer, da wir nach unserer eigenen Individualität suchen. Unsere Persönlichkeit
wird durch eine Kombination aus Gegenständen, Verhaltensweisen und Werten definiert. Die Herausforderung besteht darin, zu verstehen, wie eine Uhr zur persönlichen Ausdrucksweise und zum Gesamtbild einer Person beiträgt.
«Unser rebellisches Verhalten ist eine Art, voranzukommen und den Status quo herauszufordern.»
Ist eine Messe wie die «Watches&Wonders» der richtige Ort, um mit Ihrer Zielgruppe in Kontakt zu treten?
Messen wie diese bieten eine ideale Gelegenheit, mit der Zielgruppe in Kontakt zu treten, da die Besucher bereits ein Interesse an Uhren haben und offen dafür sind, neue Marken zu entdecken. Die Messeumgebung ermöglicht es, Gespräche zu beginnen und die Marke vorzustellen, ohne die grundlegenden Informationen über die Uhrenproduktion betonen zu müssen.
Bei ihrer Marke bedarf es also noch häufig einer Vorstellung?
Auf jeden Fall. Neun von zehn Personen, die hier die Sicherheitskontrolle passieren, wissen nicht, wer wir sind. Und dann beginnen die spannenden Gespräche. Warum sind unsere Uhren anders? Ist das Design interessant? Welches Fachwissen steckt dahinter? Die Redaktionen der Besucher darauf, ihre Vorschläge und Kritiken nehmen wir zwar dankbar
an, berücksichtigen tun wir diese aber grösstenteils nicht. Wir versuchen, unserem künstlerischen Ansatz treu zu bleiben. Wenn Sie ein Künstler sind, malen Sie etwas, das ihre eigene Kunst repräsentiert. Sobald Sie dies aufgrund einer reinen Marktnachfrage tun, befinden Sie sich nicht mehr im künstlerischen Prozess. Genau diese Distanz versuchen wir zu wahren. Wir folgen unserem eigenen Weg.
Das passt zu Ihrem Image, dem Rebellen der Uhrenindustrie.
Es stimmt, manchmal bezeichnen wir uns als das wilde Kind in unserem Umfeld oder sogar im Portfolio von Richemont. Dies bedeutet jedoch nicht, dass wir zerstörerisch sind oder gegen Regeln rebellieren. Unser rebellisches Verhalten ist eher eine Art, voranzukommen und den Status quo herauszufordern. Wir sind eine noch sehr junge Uhrenmarke und obwohl wir die traditionelle Uhrmacherei schätzen, versuchen wir, unsere eigene Persönlichkeit zu finden. Das mögen manche als schockierend empfinden, aber trotzdem verdienen wir dafür Respekt.
Spielt Ihnen das bei der Vermarktung der Marke in die Karten?
Für mich ist es eine Stärke des Unternehmens, sich immer wieder neu zu erfinden und seine eigene Vorgehensweise zu überdenken. Die Frage, ob es eine Herausforderung oder ein Vorteil ist, eine Marke zu fördern, die sich von anderen unterscheidet oder die Grenzen verschiebt, ist komplex. Es ist sicherlich beides. In einer sich schnell verändernden Welt müssen alle Unternehmen agil bleiben. Heutzutage zählen das Handwerk und die Authentizität, weniger die historische Langlebigkeit. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Vergangenheit nicht wichtig ist. Aber auf unseren Schultern lastet keine 200-jährige Geschichte, keine lange Tradition, die den Wert des Unternehmens symbolisiert.
Dass Roger Dubuis kein Traditionshaus ist, heisst nicht, dass Sie keine Geschichte schreiben können. Welche Ziele haben Sie für das Unternehmen?
Nun, ich habe keine Kristallkugel, aber wir sind bestrebt, an vorderster Front unserer Branche zu kämpfen. Wir haben keine klare Vorstellung von der Zukunft und wir sind stets darauf bedacht, neue Gebiete zu erkunden. Zwischen 2005 und 2008 lancierten wir erstmals unsere Skeleton-Uhren mit einfachem und doppeltem Tourbillon, die den Markt schockierten. Jetzt sehen wir, dass die Konkurrenz diese Idee adaptiert, was uns dazu zwingt, über das nächste grosse Ding nachzudenken. Es ist ein kontinuierlicher Prozess, der interne Herausforderungen mit sich bringt, aber es zahlt sich aus, da wir uns als einzigartiger Uhrenhersteller etablieren.
«Die Herausforderung besteht darin, zu verstehen, wie eine Uhr zur persönlichen Ausdrucksweise und zum Gesamtbild einer Person beiträgt.»
Sie bewegen sich zwischen Innnovation und Tradition. Ein Balanceakt?
Tradition ist für alle Akteure in dieser Branche wichtig. Daraus lässt sich Inspiration schöpfen und althergebrachtes Fachwissen in die moderne Zeit transferieren. Ein dynamischer Prozess, wodurch man nicht in der Vergangenheit stecken bleibt, sondern sich mit der Zeit bewegt und gleichzeitig seine Identität und Herkunft im Blick behält. Neuen Technologien darf man sich nicht verschliessen. Wer heute noch mit Feder und Tinte
schreibt, verliert schnell den Anschluss. Es geht nicht darum, Tradition abzulehnen, sondern darum, ihr eine Chance zu geben, sich weiterzuentwickeln. Ein gutes Beispiel dafür ist das
«Poinçon de Genève», ein traditionelles Zertifizierungssiegel. Die Philosophie dahinter ist Authentizität und handwerkliche Qualität. Vor 50Jahren konnten nur edle Materialien zertifiziert werden. Heute besteht die Welt der Uhren aus vielen verschiedenen Materialien, die nicht zwingend edler Natur sind. Folglich hat Roger Dubuis vorgeschlagen, die Definition von Wertigkeit zu überdenken und das Zertifikat auch für Verbundmaterialien zu öffnen. Das zeigt, wie wir Evolution und Technologie in eine traditionelle Branche integrieren. Ähnlich wie bei Künstlern gibt es verschiedene Techniken, um etwas zu erschaffen. Und
genauso wie moderne Künstler zur Evolution der Kunst beitragen, nutzen auch wir verschiedene Techniken, um unsere Kreationen zu gestalten.