Die Partys in Showrooms von Autohäusern sind vorbei.

Aufgrund der Corona-Pandemie werden voraussichtlich die Pkw-Verkäufe 2020 weltweit um 29 Prozent einbrechen, was eine Gewinnreduktion von 90 Prozent zur Folge hat. Während der chinesische Markt sich bereits wieder erholt, stehen Europa und Nordamerika erst am Anfang der automobilen Rezession. Die Regierungen sollten daher den Einbruch schnell abfedern, damit Hersteller und Zulieferer ihre Cash- und Kostenprogramme weiter intensivieren können. Zudem können die Unternehmen dadurch bisherige Strukturhürden überwinden und durch richtige Weichenstellungen gestärkt aus der Krise kommen.

Die weitreichenden Beschränkungen des Wirtschaftslebens in der Corona-Krise erfasst die Automobilindustrie stärker als erwartet. Der weltweite Pkw-Markt bricht 2020 im wahrscheinlichsten Szenario um 29 Prozent ein, wenn keine staatlichen Gegenmassnahmen eingeleitet werden. Überdurchschnittlich stark betroffen sind Europa und Nordamerika, während China den Höhepunkt der Krise zunächst hinter sich hat und derzeit eine zweite Ausbruchswelle zu verhindern versucht. In diesem Szenario könnte die Auto industrie 2020 im Schnitt um bis zu 90 Prozent an Profitabilität einbüssen. Dazu kommen noch die erforderlichen Mittel für das erwartete höhere Rabattniveau nach der Lockdown-Phase. Zu diesem alarmierenden Ergebnis kommt eine aktuelle Branchenanalyse der internationalen Unternehmensberatung Bain & Company. «Die Automobilbranche steckt in ihrer wahrscheinlich schwersten Krise überhaupt», betont Dr. Klaus Stricker, Bain-Partner und Co-Leiter der globalen Praxisgruppe Automotive und Mobilität. «Die Regierungen sollten diese Schlüsselindustrie in Deutschland und Europa umfassend unterstützen, um die Liquidität der Unternehmen zu sichern – insbesondere im Zuliefer- und Händlerbereich.» Darüber hinaus braucht es staatliches Eingreifen, um den Markt kurzfristig zu stimulieren und mittelfristig erforderliche Strukturinvestitionen wie den Ausbau der Ladeinfrastruktur zu fördern.

Starke Absatzrückgänge zu erwarten 
Die durch Covid-19 ausgelöste Rezession wird der Bain-Analyse zufolge mindestens so stark sein wie diejenige im Zuge der Finanzkrise 2008 / 09. Doch wie wirkt sich dieser weltweite Konjunktureinbruch auf die Autoindustrie aus? Unter den vier möglichen Szenarien «Quick Rebound», «Short Setback», «Prolonged Slowdown» und «Deep Recession» scheint aktuell die dritte Variante die wahrscheinlichste. Demnach würde der Markt nach zwei Quartalen langsam wieder zurückkehren, wäre jedoch von einer anhaltend hohen Unsicherheit geprägt. Ohne staatliche Gegenmassnahmen hiesse das: Die Automobilhersteller würden weltweit 2020 statt der erwarteten 90 Millionen Pkw nur 64 Millionen verkaufen – ein Minus von 29 Prozent. Zur Analyse des erwarteten Kundenverhaltens führt Bain regelmässig eine Covid-19-Kundenbefragung in China sowie in den USA und Europa durch. Der chinesische Automarkt zeigt erste Erholungstendenzen. Der Pkw-Absatz nimmt bereits seit März langsam wieder zu und wird im Gesamtjahr 2020 auf etwa 19 Millionen Stück kommen. Angesichts der vor der Krise prognostizierten 26 Millionen wäre dies ein Rückgang um rund ein Viertel. Deutlich stärker trifft die Corona-Rezession hingegen Europa. Mit elf Millionen verkauften Pkw wird für 2020 ein Minus von 30 Prozent erwartet. Noch heftiger trifft es Nordamerika. Dort dürfte der Aufwärtstrend für das laufende Jahr erst im Frühsommer einsetzen. Gerechnet wird mit einem Absatz von 13 Millionen Fahrzeugen, was bei ursprünglich für 2020 prognostizierten rund 20 Millionen einer Verringerung von fast einem Drittel entspräche.

Mit klaren Strategien gegen die Krise 
Die Bain-Analyse zeigt drei strategische Handlungsfelder auf, die Automobilhersteller und Zulieferer angesichts der Corona Krise angehen müssen: zuerst die Mitarbeiter schützen, Cashflow sichern und Neu start vorbereiten. An erster Stelle steht die Sicherheit der Belegschaft, und ein striktes Cash-Management sieht unter anderem den Einsatz flächendeckender Kurzarbeit vor. Die Verschiebung von Fahrzeugprojekten ist auch zu prüfen. Zudem gilt es, verstärkt Kaufanreize für Kunden zu schaffen und das Händlernetz zu stabilisieren. Zweiter Punkt ist, die Krise zu nutzen, um Strukturhürden zu überwinden. Die Komplexität im Unternehmen sollte drastisch reduziert werden. Das betrifft beispielsweise Modellvarianten, Antriebe und Ausstattungen. Das Investitionsportfolio gehört auf den Prüfstand, Effizienzprogramme müssen weiter beschleunigt und intensiviert werden. Ebenso müssen der Online-Absatz ausgebaut und das Vertriebsnetz optimiert werden. Drittens sollten die strategischen Weichen gestellt werden, um gestärkt aus der Krise zu kommen. Gut positionierte und stabil finanzierte Unternehmen haben in der Krise die Chance, neue Profitpools zu erschliessen. So können sie – etwa durch gezielte Übernahmen – wichtige Zukunftskompetenzen aufbauen. Diese umfassen unter anderem die Bereiche E-Mobilität, Konnektivität und digitale Dienste oder autonomes Fahren. «Trotz der hohen Anforderungen, Einsparungen zu realisieren, darf die Zukunftsfähigkeit der Unternehmen nicht auf der Strecke bleiben», stellt Bain-Experte Stricker fest. Mehr denn je müssen die Mittel für Forschung und Entwicklung sowie für Investitionen in Einklang mit der Unternehmensstrategie eingesetzt werden. So werden künftige Schlüsselbereiche ausreichend ausgestattet, während an anderen Stellen konsequent gespart wird. Darüber hinaus müssen sich Automobil- und Mobilitätsunternehmen auch auf bleibende Veränderungen im Kundenverhalten – also auf eine neue Normalität – einstellen. Durch im Lockdown erprobte Alternativen könnten beispielsweise in Zukunft persönliche Treffen durch Videokonferenzen ersetzt und damit Geschäftsreisen reduziert werden. «Neben dem akuten Krisenmanagement sollten die Automobilhersteller den Markteinbruch auch nutzen, um strukturelle Wachstumshindernisse zu beseitigen», resümiert Ralf Kalmbach, Bain-Partner und Co-Leiter der globalen Praxisgruppe Automotive und Mobilität. «Unternehmen, die gestärkt aus der Krise kommen wollen, leiten jetzt die strategischen Veränderungen ein, mit denen sie sich nachhaltig vom Wettbewerb absetzen können.»

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