Wenn Experten standortübergreifend gemeinsam an der bestmöglichen Lösung eines Problems arbeiten – sei es für die eigene Organisation oder Kunden – dann ist Vertrauen ein zentraler Erfolgsfaktor. Das gilt es bei der Auswahl der Personen, die solche virtuellen Teams leiten, und bei der alltäglichen Zusammenarbeit zu beachten.

von Katrin Koch

Aufgrund der Globalisierung der Wirtschaft und der flexiblen Arbeits­welten werden in den Unternehmen immer häufiger Problemlösungen in virtuellen Teams erarbeitet – also Teams, bei denen die Mitglieder an unterschiedlichen Orten und teils sogar in verschiedenen Ländern und Kulturen arbeiten. Erleichtert und teils sogar erst ermöglicht wird diese Form der Zusammenarbeit durch den Fortschritt der modernen Informations- und Kommunikationstechnologie.

Virtuelle Teams haben gegenüber konventio­nellen, wenn es um das Lösen bestimmter Aufgaben geht, eine Reihe von Vorzügen Sie ermöglichen zum Beispiel eine grössere Kundennähe. Zudem können «die besten Köpfe» an den unterschiedlichen Standorten in die Suche nach einer Problemlösung eingebunden werden, was oft zu besseren Lösungen und zu einer höheren Akzeptanz von ihnen führt. Und: Sie tragen zu einer standortübergreifenden Netzwerkbildung bei, was die Identifikation mit dem Gesamtunternehmen erhöht.

Diesen Vorteilen stehen Nachteile gegenüber So ist zum Beispiel die Kommunikation in virtuellen Teams schwieriger als in Teams, deren Mitglieder am selben Ort ihren ­Arbeitsplatz haben. Ausserdem ist aufgrund der räumlichen Distanz und weil man sich nicht spontan mal kurz als Team besprechen kann, eine stringentere Planung nötig. Deshalb stellt das Führen von vir­tuellen Teams an Führungskräfte höhere Anforderungen als das Führen konventioneller Teams.

Anforderungen an die Verantwortlichen
Die Leiter virtueller Teams müssen selbstverständlich auch die klassischen Auf­gaben einer Führungskraft erfüllen – wie Ziele vereinbaren und (im Team) erreichen sowie Mitarbeiter motivieren, fördern und entwickeln. All diese Aufgaben nehmen sie jedoch unter anderen Rahmenbedingungen als die klassische Führungskraft wahr. Und hieraus resultieren auch andere (Kompetenz-)Anforderungen.

Ein zentraler Erfolgsfaktor beim Führen virtueller Teams ist Vertrauen. Denn bedingt durch die Distanz erhält die Führungskraft weniger Detailinformationen und informelle Informationen, als wenn man sich regelmässig auf dem Flur begegnet und ein paar Worte miteinander spricht. Also ist auch weniger Kontrolle möglich, was wirklich passiert. Führung muss sich folglich lockerer gestalten. Das heisst in der Konsequenz: Die Teammitglieder müssen mehr Verantwortung übernehmen. Also muss auch die Vertrauensbereitschaft der Führungskraft grösser sein.

Hieraus resultieren unter anderem folgende Anforderungen an die Kompetenz und Persönlichkeit der Frauen und Männer, die virtuelle Teams führen. Sie müssen unter anderem ein positives Menschenbild und deshalb ein niedriges Kontrollbedürfnis haben. Sie müssen zudem eine klare und die Mitarbeiter motivierende ­Vision davon haben, wie sie die Zusammenarbeit gestalten und von welchen Werten das Miteinander geprägt sein soll. Ausserdem müssen sie sehr sensibel für die Wertesysteme und Bedürfnisse anderer Menschen sein – insbesondere dann, wenn diese eventuell aus anderen Kul­turen stammen.

Darüber hinaus müssen sie über die Fähigkeit verfügen, mit ihren Mitarbeitern realistische Ziele zu vereinbaren und ihnen ein konstruktives, ihre Entwicklung förderndes Feedback zu geben. Zudem müssen sie gute Kommunikatoren sein und eine hohe Affinität zu den modernen Kommunika­tionstechnologien haben.

Zusammenfassend kann man sagen, die wichtigen Führungsaufgaben der Leiter virtueller Teams sind:

  • geeignete Teammitglieder aussuchen beziehungsweise qualifizieren,
  • Vertrauen aufbauen
  • die Kommunikation sicherstellen
  • Arbeitsroutinen etablieren
  • das Team entwickeln

Alle diese Aufgaben gestalten sich bei virtuellen Teams anders als bei konventionellen Teams, da die Rahmenbedingungen andere sind.

Die Auswahl der Teammitglieder
Das Arbeiten in virtuellen Teams stellt nicht nur höhere Anforderungen an die Führungskräfte, sondern auch an die Teammitglieder. Daraus, dass die Teamleitung mehr Verantwortung abgeben muss, folgt: Die Teammitglieder müssen diese Verantwortung professionell wahrnehmen können. Sie müssen

  • unabhängig arbeiten
  • ihre Handlungs- und Entscheidungsspielräume effektiv nutzen
  • sich selbstständig vernetzen

können. Deshalb sind Mitarbeiter, die einer engen Führung bedürfen, in virtuellen Teams schlecht aufgehoben. Die Teammitglieder sollten zudem – wie die Teamleitung – eine hohe Affinität zur modernen Informations- und Kommunikationstechnologie sowie eine gewisse Kompetenz im Umgang mit ihr haben. Bei Teams, deren Mitglieder in verschiedenen Kulturen zu Hause sind, ist zudem eine interkulturelle Kompetenz nötig.

Vertrauen aufbauen
Die wichtigste Komponente für das Funktionieren virtueller Teams ist das Vorhandensein von Vertrauen. Dieses gilt auch für ­konventionelle Teams. In virtuellen Teams ist es jedoch deutlich schwieriger, Vertrauen aufzubauen. Zugleich ist jedoch aufgrund der Entfernung zwischen den Mitgliedern ein höheres Mass an Vertrauen nötig.

Beim Vertrauen gilt es, zwischen

  • dem Vertrauen in die fachliche und persönliche Kompetenz der anderen Teammitglieder
  • dem persönlichen Vertrauen zwischen den Teammitgliedern

zu unterscheiden. Das Vertrauen in die Kompetenz lässt sich durch eine entsprechende Auswahl der Teammitglieder realisieren. Sollte bei einzelnen Teammitgliedern noch ein Defizit bei der Kompetenz bestehen, dann muss diese entwickelt werden.

Persönliches Vertrauen lässt sich nur aufbauen, indem man den Teammitgliedern eine Gelegenheit gibt, sich persönlich kennenzulernen und ein Gespür dafür zu entwickeln, wie der jeweils andere «tickt». Wie verhält er sich? Was ist ihm wichtig?  ­Deshalb sollte, bevor virtuelle Teams ihre Arbeit aufnehmen, ein Kick-off stattfinden, bei dem die Mitglieder sich «beschnuppern» und Auge in Auge miteinander ­kommunizieren können, sodass sie den jeweils anderen auch als Individuum ­wahrnehmen. Zudem sollten regelmässige Treffen – zum Beispiel halbjährlich – stattfinden, bei denen die Teammitglieder nicht nur über die gemeinsame Arbeit sprechen, sondern auch ihre persönliche Beziehung vertiefen. Je besser sich die Teammitglieder bereits kennen, umso seltener sind solche Treffen nötig.

Vertrauen entwickelt sich stets mit der Zeit und durch eine regelmässige Kommunikation. Sich gut informiert zu fühlen, ist eine wichtige Voraussetzung für Vertrauen. Hilfreich ist es auch, wenn dem Team eine Plattform für die informelle Kommunikation zur Verfügung steht. Diese Funktion können soziale Netzwerke, Chat-Tools und ähnliche Instrumente erfüllen.

Die Kommunikation sicherstellen
Eine Kernaufgabe der Teamleitung ist es, für eine regelmässige, offene und umfassende Kommunikation zu sorgen. Hierfür ist es nötig, Kommunikations- und Informationsroutinen zu etablieren, die vom Team angenommen und unterstützt werden. ­Regelmässige virtuelle Team-Meetings ­gehören ebenso dazu wie Vier- und Mehr-Augen-Gespräche. Wie offen und von Vertrauen geprägt die Kommunikation ist, hängt stark von der Teamführung ab.

Für eine effektive, das heisst regelmässige sowie zielorientierte Kommunikation ist das Vorhandensein der erforderlichen ­Informations- und Kommunikationstechnik eine wesentliche Voraussetzung. Sie sollte unter anderem folgende Funktionen ermöglichen oder erfüllen:

  • gemeinsame Datenhaltung, die eine Konsistenz der Daten ermöglicht
  • unkomplizierte Terminabstimmung
  • verteilte Besprechungen
  • informelle Kommunikation

Es gibt immer mehr Tools, die eine oder mehrere dieser Funktionen abdecken. Die gemeinsame Datenhaltung wird zunehmend über Cloud-Systeme realisiert. Die Daten der verschiedenen Teammitglieder werden mit der Cloud synchronisiert, sodass diese immer Zugriff auf die jeweils aktuellsten Daten haben.

Ein Synchronisieren der Terminpläne und -kalender ermöglicht zahlreiche Kollaborations-Software-Programme. Microsoft Exchange, Lotus Notes sind Beispiele hierfür. Für verteilte Besprechungen gibt es eine wachsende Anzahl an Lösungen, die unterschiedliche Funktionen anbieten. Webex, Netviewer, Vitero, Lync sind einige Beispiele hierfür. Sie ermöglichen etwa folgende Funktionen:

  • Audiokonferenz
  • Videokonferenz
  • Moderationstools
  • File Sharing
  • simulierte Kartenabfragen
  • Brainstorming-Tools
  • Umfragen

Viele Funktionen einer traditionellen Besprechung können also mit ihnen abgedeckt werden.

Am schwierigsten gestaltet sich die informelle Kommunikation. Für den privaten ­Bereich gibt es viele Apps, die eine informelle Kommunikation über Distanz ermöglichen. Als Beispiele seien Skype, Facebook, Twitter, WhatsApp und WeChat genannt. Auch im Businessbereich finden solche und ähnliche Lösungen zunehmend Verbreitung, denn die Unternehmen erkennen immer stärker, wie wichtig die informelle Kommunikation für eine gute Zusammenarbeit in verteilten Arbeitsumgebungen ist.

Entwicklung von virtuellen Teams
Wie traditionelle Teams durchlaufen auch virtuelle Teams teamdynamische Prozesse. Die vier Entwicklungsphasen nach Tuckman (forming, storming, norming, performing) werden auch hier durchlebt (siehe Kasten). Bei virtuellen Teams ist die Gefahr jedoch grösser, dass das Team in der Storming-Phase stecken bleibt – insbesondere dann, wenn die nun auftretenden Konflikte nicht nachhaltig bearbeitet werden.

Das Bearbeiten der in jedem Team auftretenden Konflikte ist der Dreh- und Angelpunkt für die Effektivität von Teams. In virtuellen Teams werden vorhandene oder sich anbahnende Konflikte jedoch oft erst spät von der Teamleitung wahrgenommen. Deshalb ist es wichtig, dass in ihnen eine Kultur der Offenheit, des konstruktiven Feedbacks sowie des Respekts besteht. Denn wenn eine gesunde Vertrauensbasis existiert, können

  • bereits vorhandene Konflikte
  • Interessengegensätze sowie unterschiedliche Wahrnehmungen und Einschätzungen, aus denen Konflikte erwachsen könnten

leichter angesprochen und bearbeitet werden. Dessen ungeachtet muss die Teamleitung für eventuelle Unstimmigkeiten im Team sehr sensibel sein, denn diese artikulieren sich in virtuellen Team oft versteckter (zum Beispiel in Mails und Memos) als bei konventionellen Teams, bei denen die Teammitglieder sich Tag für Tag begegnen und einander schwieriger aus dem Weg gehen können.

Fazit
Virtuelle Teams stellen höhere und teils ­andere Anforderungen an die Teammit­glieder und die Teamleitung als traditionelle Teams. Da in ihnen die Teammitglieder aufgrund ihrer räumlichen Entfernung eigenständiger arbeiten, ist Vertrauen ein wichtiger Erfolgsfaktor. Werden diese Besonderheiten beim Zusammensetzen der Teams und bei der Teamführung ­bedacht, dann können virtuelle Teams eine zentrale Rolle bei der Zielerreichung von Unternehmen spielen – unter anderem, weil in ihnen standortübergreifend die besten Experten mitarbeiten. Deshalb können in ihnen nicht nur die für die einzelnen Standorte oder verschiedenen Märkte, sondern auch die für das Gesamtunternehmen besten Lösungen erarbeitet werden.

Die vier Phasen einer Teamentwicklung
Jedes Team durchläuft, bevor es voll leistungsfähig ist, einen längeren Prozess der Selbstfindung.

Er gliedert sich in die vier Phasen «Forming» (Orientierungsphase), «Storming» (Konfliktphase), «Norming» (Organisationsphase) und «Performing» (Integrationsphase).

Forming: In der «Forming-Phase» beschnuppern sich die Teammit­glieder wechselseitig. Sie versuchen zu ermitteln: Was können die «neuen Kollegen»? Welche Interessen verfolgen sie, und ist eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit ihnen möglich? In dieser Phase empfindet sich das Team noch nicht als Team.

Storming: Die «Storming-Phase» ist von Auseinandersetzungen geprägt. In ihr werden sozusagen die Rangkämpfe ausgefochten. Nun geht es unter anderem darum: Wer hat welche Aufgabe und Rolle im Team? Wie stark werden die unterschiedlichen Interessen berücksichtigt?
In dieser Phase kochen oft unter­schwellige Konflikte zwischen den Bereichen und Funktions­gruppen im Unternehmen hoch, und die Team­mitglieder sind stärker mit Status-­Kämpfen als mit ihrer Aufgabe beschäftigt.

Norming: In der «Norming-Phase» glätten sich die Wogen allmählich. Nun entwickeln die Teammitglieder zum Beispiel Spielregeln für den Umgang miteinander; ausserdem vereinbaren sie erste Maximen, an die sich alle beim Lösen der Aufgabe halten. Erst wenn ein Team diesen Punkt erreicht hat, entfaltet es allmählich seine Vorzüge.

Performing: In der «Performing-Phase» ist aus den einzelnen Teammitgliedern (beziehungsweise der Arbeitsgruppe) ein Team geworden, das sich gemeinsamen Werten und Zielen verpflichtet fühlt. Nun werden im Team bessere Ergebnisse erzielt, als wenn seine Mitglieder alleine arbeiten würden.

Weitere Informationen:
www.mticonsultancy.com