«Less is more, heisst die Philosophie.»

In den letzten Monaten haben wir kulturelle Umbrüche erlebt, die Lebensrealitäten verändert haben. Grosseltern skypen und zoomen mit ihren Enkeln, oder Beziehungen agieren online – die Corona Krise hat aber auch die Digitalisierung der Geschäftswelten explodieren lassen. Im folgenden Interview mit Michael Hollauf von der MeisterLabs GmbH wagen wir eine Einordnung. 

Digitalisierung ist ein für mich inzwischen sehr unscharfer Begriff aus Talkshow und politischen Sonntagsreden geworden – ähnlich wie mit dem Begriff Nachhaltigkeit. Jeder versteht etwas anderes darunter. Versuchen wir den Begriff zu schärfen. Was ist für Sie Digitalisierung, nur ein neues Werkzeug oder das Zeichen für eine neue Epoche?
Der Begriff hat sich gewandelt. Für mich umfasst der Begriff Digitalisierung immer noch den Einsatz von neusten Technologien in unseren Geschäftswelten. Das Internet hat ja das Arbeitsleben komplett verändert. Und dieser Trend wird anhalten. Wir arbeiten immer mehr mit digitaler Hard- und Software. Das ist die Werkzeugebene.

Und jetzt gibt es weitere Ebenen?
Ja, aufgrund der Corona-Krise stehen wir vor Herausforderungen, die unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Zusammenarbeit verändern. Das ist
eine kulturpolitische Ebene. Wir wissen noch nicht, wohin die Reise geht. Aber die Welt wird sich anpassen müssen. Es geht dabei nicht nur um das Arbeiten, sondern auch darum, wie und wann wir reisen oder wie und wo wir lernen.

Ist das jetzt nur ein Beschleuniger von bisherigen Trends? Oder kommt es im Zeichen der Pandemie zu einem Bruchmoment?
Technologie kann nicht von heute auf morgen aus dem Boden gestampft werden. Wenn wir via Zoom jetzt sehr viel kommunizieren, gab es die Technologie dazu in den entsprechenden Unternehmen ja schon vor Monaten oder Jahren. Jetzt gibt es einen Bruchmoment, weil weltweit plötzlich die Nutzungszahlen bei Videokonferenzen fast explodieren. Die IT-Entwickler sind aber sehr schnell dabei, Features nachzuliefern. Auch die IT-Infrastruktur muss die gestiegene Nutzung aushalten. Da arbeiten einige Expertinnen und Experten sehr schnell und sehr professionell im Hintergrund. Komplett neue Technologien, die aus dieser Situation geboren werden, sehen wir erst in einem guten Jahr, und ob sie dann marktreif sind und angenommen werden, ist noch eine andere Frage. Diese Krise wird ohne Frage auch ein Nährboden für Start-ups und neue Technologien mit neuen Lösungen sein. Krisen bedeuten eben nicht nur einen ökonomischen Abschwung in vielen Branchen, sondern auch an anderer Stelle einen Startmoment. Beispielsweise merken die Menschen im Home Office, dass es einfach nicht effizient ist, sich ständig verschiedene Versionen von Excel-Listen hin und her zu mailen. Für effiziente remote Teamarbeit braucht es andere Formate und Technologien.

Da können wir anknüpfen. Versuchen wir, uns dem Thema praktisch zu nähern. Wo liegen die zentralen Handlungsfelder? Es gibt ja die angesprochenen Kommunikationsplattformen, aber auch vergleichbare Lösungen für den Verkauf oder für das Marketing. Die IT-Landschaften sind zerklüftet. Wo setzen Sie an?
Wir setzen auf unsere Kernkompetenzen. Die Vereinfachung der ortsunabhängigen Team-Arbeit und der internen Kommunikation sind unsere Themen.

Das hätte ich gerne etwas konkreter?
Das ist kein Problem. Das Produkt «MindMeister» ist beispielsweise eine OnlineProjektplanungssoftware, die für die Zusammenarbeit in Echtzeit entwickelt wurde. Es geht darum, Pläne, Roadmaps und Strategien schnell und effizient zu erstellen. «MindMeister» ermöglicht so kollaboratives Online-Mindmapping. Sie können Mindmaps unkompliziert mit Freunden, Kollegen und Kunden teilen und mit ihnen in Echtzeit an Ihren Maps arbeiten. Ob Sie sich im Meetingraum gegenübersitzen oder Tausende Kilometer voneinander entfernt sind, spielt keine Rolle. Teammitglieder haben immer und von überall den Überblick über ihre Projekte.

Hat sich mit der Corona-Krise etwas verändert?
Ja, die Nachfrage nach webbasierten Tools wie unseren ist enorm gestiegen, das hat sich während der vergangenen Monate an unseren Neuanmeldungen gezeigt.

Der Handlungsdruck für Unternehmen hat sich offensichtlich erhöht. Aber es gibt doch sicher Hürden?
Wir integrieren uns in die bestehende ITLandschaft, die der Kunde schon hat. Die heutigen Cloud-Lösungen ermöglichen das sehr einfach.

Das funktioniert mit einem neuen technologiegetriebenen Start-up. Aber funktioniert das auch im Rahmen eines klassischen KMU mit seiner historisch wild gewachsenen IT-Landschaft? Dazu kommen ja auch noch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und eine klassisch aufgestellte Geschäftsleitung, die überzeugt werden muss.
Wir sind keine klassischen Top-Down-Verkäufer, die bei den Kunden mit unseren Lösungen aufschlagen. Ich habe das selbst vor 20 Jahren gemacht, als Bittsteller mit einer Vertriebsmannschaft in den Geschäftsräumen aufzutauchen. Das hat mir nicht mehr gefallen und ist aus meiner Perspektive nicht mehr zeitgemäss. Unser Vertrieb läuft unter dem Stichwort Self-Service. Das ist eine transparente Art und Weise der Entscheidung, wenn eine neue Software im Unternehmen eingeführt werden soll. Jeder, der in der Firma arbeitet, kann zum Einkäufer werden. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Teams erkennen selbst die Defizite der vorhandenen Lösung und kommunizieren diese auch an die ManagementEbene. Sie erfahren von Kolleginnen und Kollegen aus anderen Unternehmen, dass es bessere Lösungen gibt, und dann ist der Weg nicht mehr weit zu nächsten strategischen Schritten. Die Geschäftsleitung stellt sich da sehr selten komplett gegen die Wünsche ihrer Mitarbeiter.

An dieser Stelle können wir dann aber schon von einem Kulturbruch sprechen?
Ja, der Einkauf einer neuen Software funktioniert heute ganz anders als noch vor fünf Jahren. Teams oder Mitglieder einer Abteilung tun sich zusammen und schlagen dem Chef eine neue Lösung vor. In diesem Suchprozess ist manchmal in den ersten Schritten der Chef oder die Chefin gar nicht eingebunden. Wir merken das immer dann, wenn sich mehrere Menschen aus der gleichen Firma bei uns Test-Accounts angelegt haben. Einer unserer Vertriebsmitarbeiter nimmt Witterung auf und tritt mit den Beteiligten in Kontakt. Die Führungsetage ist aber noch immer nicht involviert. Dann wird auf einem zunächst niedrigen und unverbindlichen Niveau kommuniziert. Das ist ein sehr demokratischer Prozess. Natürlich gibt es noch einen klassischeren Ansatz, beispielsweise bei expliziten Ausschreibungen. Für mich ist aber der spannendere und auch nachhaltigere Weg, wenn sich Beteiligte in den Unternehmen selbst auf den Weg machen. Diese Kollegen sind auch viel motivierter. Die altbackene Überzeugungsarbeit mit Marketingslogans schafft sich nach und nach selbst ab, da die Idee beim Kunden selbst geboren wurde.

Das entspricht dem, was in den letzten Jahren in Personalabteilungen zunehmend gepredigt wurde: «Setzt auf flache Hierarchien, übergebt Verantwortung und Chefs moderieren fast nur noch.» Das Silodenken ist out. Im Zeichen der Corona-Krise habe ich aber einen Wandel erlebt. Jetzt heisst es wieder: «Die Chefetage muss führen und klare Signale setzen.» Wie sehen Sie die Situation?
Wir waren lange im Home Office, und das braucht eine gewisse Führung und Orientierung von oben. Aber eine offene und transparente Kommunikation insgesamt wurde in dieser Zeit viel wichtiger. Autokratische Führungsstile machen, zumindest in meiner Branche und auch im Zeichen unserer Unternehmensphilosophie, überhaupt keinen Sinn mehr. Stellen Sie sich mal vor, Sie agieren als klassischer Patron in einer Videokonferenz und niemand ausser dem Chef kommt zu Wort – das ist für mich nicht vorstellbar.

In der Corona-Krise haben Regierungen viel mehr Macht bekommen. Erfreut Sie das oder überwiegt Ihre Skepsis?
Staatliche Regulierungsvorschriften haben uns bei der Umsetzung von Digitalisierungslösungen immer wieder Steine in den Weg gelegt. Das trifft auf die gesamte DACH-Region zu. Jetzt könnte man die These wagen, dass diese Tendenz sich verschärft. Ich sehe aber durchaus auch eine Chance. Die Regierung hat Oberwasser, wenn man sich die Umfragewerte von Kanzler Kurz und Kanzlerin Merkel anschaut. Da könnte es auch sein, dass man sich von Regierungsseite mehr traut, um notwendige Massnahmen, auch beim Voranbringen der Digitalisierung, durchzuboxen. In der Bildungspolitik und im Zeichen von Home Office wird sich auf jeden Fall Handlungsdruck aufbauen.

Lassen Sie uns nochmals in die Praxis springen. Wo sehen Sie die zentralen Stolpersteine bei der Entscheidung für eine neue Software?
Unsere Hausphilosophie lässt sich mit dem Satz «Less is more» zusammenfassen. Unser Fokus liegt auf dem Thema Einfachheit. Gerade in KMU-Welten muss ich auf Klarheit setzen. Es darf bei der Bedienung des Tools keine Verwirrung aufkommen. Dann kann auch das Tool mit dem Nutzer wachsen. Nutzungszahlen bei Videokonferenzen sind am Explodieren.
Dieses Konzept heisst bei uns «Progressive disclosure». Je besser ich das Tool kenne, desto komplexer kann ich agieren.

Ihr Haus versteht sich eher als ITHandwerker?
Ja, es geht um einfache Tools, die auch optisch klar daherkommen. Wir verbringen sehr viel Zeit mit dem Design von einzelnen Features, damit diese von den Nutzern intuitiv verstanden werden. Daher sind unsere Lösungen auch bei Betrieben aus bislang eher wenig digitalisierten Branchen wie beispielsweise dem Handwerk erfolgreich. Bei der Komplexität der Lösungen und den Informationswellen, mit denen sich Arbeitnehmer heutzutage konfrontiert sehen, gewinnt die klare Sprache, Einfachheit und verständliche Optik an Bedeutung.

Mit ihrem «Half-Remote-Ansatz» wollen Sie die Rückkehr in den Arbeitsalltag im Büro erleichtern, ohne in alte Muster zurückzufallen. Können Sie diesen Ansatz kurz skizzieren?
Wir beobachten, dass sich nach den vielen Wochen im Home Office zwei grobe Gruppen von Mitarbeitern herauskristallisieren: diejenigen, die ihren Büroalltag mit dem direkten Austausch unter Kollegen und inspirierenden Gesprächen an der Kaffeemaschine vermissen. Und auf der anderen Seite die Mitarbeiter, die im Home Office richtig aufgeblüht sind, weil sie sich in der Stille ihrer eigenen vier Wände besser konzentrieren können. Bei Meister beginnen wir nun auf freiwilliger Basis mit einer langsamen Rückkehr in unsere Büroräume – sofern die Kollegen das möchten. Diese schrittweise Normalisierung erfolgt natürlich unter besonderen Vorsichtsmassnahmen, sodass wir beispielsweise in Meeting-Räumen immer darauf achten, genügend Abstand zueinander einzuhalten und Mund-Nase-Masken zu tragen. Dieser Ansatz funktioniert für unser Unternehmen sehr gut und lässt sich sicher auch für andere Betriebe so oder ähnlich durchführen.

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